Lidokino: Auf Filmhöhe
■ Associate me! Gegen Ende pendeln sich Film und Leben würzig am Buffet ein
W. C. Fields ließ sich ja auf seinen Grabstein schreiben: „Insgesamt gesehen wäre ich doch lieber in Pittsburgh.“ Hm, ich glaube, damit wollte ich jetzt zu einem insgesamt gesehen durchaus bedeutsamen Gedanken hinleiten. Aber irgendwie scheint er mir verloren gegangen zu sein. So wie man allmählich beginnt, die Filmanfänge und Filmenden zu verlieren. Und wenn man sie dann wieder gefunden zu haben glaubt, sind sie längst so eigenartige Verbindungen eingegangen, dass man offenbar die EINZIGE Person ist, die genau DIESEN Film gesehen hat.
So kommt es einem jedenfalls in den Gesprächen mit Kollegen vor, die sich inzwischen häufen, weil man sich immer öfter an den kleineren und größeren Buffets begegnet, die in diesem herrlichen Spätsommer plötzlich in Gärten und auf Terrassen zu sprießen beginnen. Auch die Export-Union des deutschen Films lud zu einer Garden Party ein, die sich wohltuend vom Markthallenempfang in Cannes unterschied. Es gab keine Artisten auf Stelzen, dafür Filmkünstler von normaler Höhe. Etwa Moritz Bleibtreu, der sich in der deutsch-österreichisch-russischen Koproduktion „Luna Papa“ in seiner Rolle als kriegstraumatisierter ehemaliger Afghanistankämpfer gut schlägt. „Luna Papa“ müsste eigentlich ganz der Fall von Jurypräsident Emir Kusturica sein. Denn genau wie in dessen „Schwarze Katze, weißer Kater“ (letztes Jahr am Lido) kann auch in Bakhtiar Khudojnazarovs Film kein Mensch geradeaus gehen. Ständig stolpert jeder über seine eigenen Beine und dann über andere Dinge, die unter enormem Lärm zu Bruch gehen.
Hat man sich aber erst einmal an den ganzen folkloreverliebten Zirkus gewöhnt, den der junge Regisseur auffährt, dann hat „Luna Papa“ in der Reihe Sogni e Visione seine schönen Momente, seine fantastischen Einfälle und jene poetischen Bilder, für deren Entstehung ja all dieses Gestolpere, die Gangster, die statt Mercedes Panzer fahren, die Flugzeuge, aus denen Kühe vom Himmel fallen, und der im Stangeneis eingefrorene Goldfisch sorgen sollen. Apropos – als dieses Bild auf der Leinwand erschien, stöhnte die Kollegin Stigter vom NRC-Handelsblad, Amsterdam, neben mir laut auf: „Oh nein, meine Goldfische! Jetzt genau werden sie verhungern.“ Sie sehen, jeden erreicht der Augenblick, in dem bei ihm der Film reißt. Und nachher, wie gesagt, passt alles nicht so recht zusammen.
Vielleicht gehen deshalb die Meinungen und Deinungen über die Filme inzwischen stärker auseinander als noch zu Beginn der Mostra. War für die einen „Luna Papa“ der große Film des heutigen Tages, so ist es für andere Antonio Banderas' „Crazy in Alabama“. Also blamiert hat sich Banderas mit diesem Film jedenfalls nicht. Die Geschichte nach einer Erzählung von Mark Childress unterlegt geschickt die private Tragikomödie, als die Lucilles (Melanie Griffith) mörderischer Ausbruch aus ihrem Dasein als misshandelte Ehefrau erzählt wird, mit dem öffentlichen Drama der Bürgerrechtsbewegung und der Aufhebung der Rassensegregation in den amerikanischen Südstaaten Anfang der Sechzigerjahre.
Der Plot ist zweifellos ziemlich eklektizistisch gestrickt, aber Banderas traut sich klugerweise, diesen Punkt durch die Besetzung mit Rod Steiger, Robert Wagner und Meat Loaf in signifikanten und schlechterdings selbstreferenziellen Rollen erst richtig stark zu machen. Und er findet schöne Bilder. Dafür zum Beispiel, wie der erste Schwarze im städtischen Schwimmbad (nur für Weiße) auftaucht. Indem Banderas ihn aus einer Perspektive unter Wasser fotografiert, erscheint er tatsächlich als der große schwarze Mann, der drohend seinen Schatten vorauswirft – um sich verblüffenderweise als schmächtiger Junge von vielleicht zehn Jahren zu entpuppen. Brigitte Werneburg
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