Lidokino: Bomberjacke und zu enge Jeans
■ Von GAP-Beuteln und anderen Bodybags: In Venedig führt Hugo Boss bei den Pressetaschen, Nina Proll bei den Darstellerinnen
Nach all den fabelhaft schönen Frauen, die nicht unerheblichen Anteil am Traumzeitgefühl und an der Eleganz von Stanley Kubricks „Eyes Wide Shut“ haben, fand ich heute doch ausgerechnet Nina Proll absolut anbetungswürdig. Sie schaut gar nicht fabelhaft schön aus. Und trotzdem ist sie einfach hinreißend, in ihrer grünen Bomberjacke und den viel zu engen Jeans, für eine nicht ganz perfekte Figur. Denn sie spielt – nomen est omen? – die Proll-Tante aus der nördlichen Arbeitervorstadt Wiens, genauer dem in den 70er Jahren entstandenen 21. Bezirk, so präzise, dass auch 40 Takes nichts verbessert hätten. Ihre Jasmin in Barbara Alberts „Nordrand“ darf vielschichtig sein, ungeschickt, grob, anrührend, charmant, unglücklich, gehemmt und schließlich auch sexy. Und so ist der Film, auch wenn er von den Mühseligen und Beladenen handelt, von Unterschichtsfrauen und Kriegsflüchtlingen aus dem ehemaligen Jugoslawien (Deutsch ist wirklich nur eine Arbeitssprache unter vielen anderen), kein Problemfilm und kein Sozialdrama. Dafür ist die Atmosphäre des garstigen Lebens am „Nordrand“ zu urban, zu weltläufig; das heißt auf ganz beiläufige Weise großartig optimistisch.
Es mag vermessen sein, von Nina Proll gleich auf all die weiblichen Stars zu sprechen zu kommen, die im Programm der Filmfestspiele vertreten sind. Aber DIE Liste ist doch wirklich beeindruckend: Uma Thurman, „Wild at Heart“-Laura Dern, sweet Melanie Griffith, Mama und Tochter Deneuve respektive Mastroianni, Isabelle Huppert, Charlize Theron, Helena Bonham-Carter, Tilda Swinton, Valeria Bruni Tedeschi, Holly Hunter, Chloe Sevigny, Cameron Diaz, Natacha Regnier, Merryl Streep und Angela Bassett.
Und weil ich nun schon dabei bin und das Pressefach dieses Mal ganz umstandslos gefunden, wenn auch nicht ganz umstandslos aufgekriegt habe – noch eine Liste: Die fünf besten Pressetaschen. Kommt man zwangsläufig drauf, wenn einem da wieder so ein Ding in die Hände fällt. Alora, numero uno: Hugo Boss von der Männermodemesse in Florenz. Das Label, klein, transparent, neon-orange, prangt vorne auf einer DJ-Tasche aus elefantengrauem, schlabbrigem Plastikmaterial, das sich so fantastisch glitschig anfasst, dass man es auch dauernd anfasst. Number two: eigentlich keine Pressetasche, aber weil der Kollege Fricke den minimalistischen GAP-Beutel aus dunkelblauem Nylon schon die ganzen 2.000 Jahre mit sich herum schleppt, die wir nun bald hinter uns gebracht haben werden, und weil er alle Kataloge, auch die fettesten, darin unterbringt und der Beutel trotzdem nicht totzukriegen ist, wird er hiermit zur Pressetasche geadelt. Nummer drei muss der elegant blau-weiß gestreifte Cannes-Matchsack werden mit der von Palmwedeln umkränzten Jahreszahl 1998. (Heuer gab's eine poplige Aktentasche, in die nichts reinging). Nummer vier: Sony's Friendfactory-Rucksack. Fragen Sie mich bitte nicht, was die Friendfactory ist, hängen Sie vorne www und hinten .de an, und Sie werden aufgeklärt; der Rucksack jedenfalls taugt. Stabil, nicht allzu hässlich und ziemlich geräumig. Gut, dass ich ihn, vorgewarnt aus Cannes, dabeihabe. Denn Nummer fünf, die neue Venedig-Tasche von Tele Plus, ist zwar voll listenfähig, weil als so genannte Bodybag (tauchte dieser Begriff nicht schon unter dubioseren Umständen auf?) modisch hochaktuell. Aber wie bitte soll man in einem schräg geschnittenen, dreieckigen Teil, das sich um die Hüfte biegt, viereckige Presseunterlagen in steifen Pappfoldern unterbringen?! Haben die Biennale-Leute sich das je überlegt?
Nina Proll kann man übrigens aus „Kommisar Rex“ kennen. Und anderen schrecklichen deutschen TV-Serien. Genau so wie Sky Dumont, der bei Kubrick den angegrauten ungarischen Beau spielt, der gleich zu Beginn Nicole Kidman umgarnt. Das macht er nicht schlecht. Schließlich sieht er gewissermaßen fabelhaft ungarisch aus.
Brigitte Werneburg
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen