Libyen nach der Revolution: Erste freie Wahl in Misrata
In der schwer vom Krieg getroffenen libyschen Hafenstadt wird ein neuer Stadtrat gewählt. Der Chef des Übergangsrats gibt Fehler zu und kritisiert die Milizen.
BERLIN taz | Misrata ist die erste libysche Stadt, in der nach dem Sturz und Tod Muammar al-Gaddafis freie Wahlen stattgefunden haben. Am Montag wurde die Bevölkerung an die Urnen gerufen, um einen neuen Stadtrat zu wählen.
Der Tag wurde zu einem Feiertag erkärt. Am 20. Februar 2011 hatten in der Hafenstadt mit ihren 300.000 Einwohnern die ersten Proteste gegen das Gaddafi-Regime stattgefunden. Misrata wurde vom Krieg schwer getroffen, war wochenlang belagert und wurde beschossen.
Aufgrund der gemeinsamen Kriegserfahrung herrscht in Misrata im Vergleich zu Tripolis eine Art der Kultur des Zusammenhalts und der Zusammenarbeit. Hier gibt es keine rivalisierenden Milizen wie in der Hauptstadt oder frustrierte Revolutionäre wie in Bengasi im Osten des Landes, wo der Aufstand am 17. Februar vergangenen Jahres begann, und die sich an den Schalthebeln der Macht in Tripolis nicht ausreichend repräsentiert fühlen.
Mit den Wahlen zu dem 28-köpfigen Gemeinderat wollte die Stadt ein Beispiel für den Rest des Landes setzen. Der zu Beginn der Umsturzes selbsternannte Rat wurde in die Wüste geschickt; seinen Mitgliedern wurde Untätigkeit und Korruption vorgeworfen, was diese abstreiten.
Die Stadtverwaltung setzte im Januar eine eigene Wahlkommission ein, die den Urnengang vorbereitete. Rund 100.000 von 150.000 Wahlberechtigten ließen sich registrieren; der Wahltag selbst lief ohne Zwischenfälle ab. Da sich in Libyen Parteien gerade erst bilden, traten nur unabhängige Kandidaten an. Unter Gaddafis Herrschaft waren Parteien verboten.
Drei Frauen kandidieren
Der Sprecher der Wahlkommission, Wissam al-Saghier, sagte am Dienstag der Nachrichtenagentur dpa, die Wahlergebnisse lägen bereits vor und würden bald verkündet. Unter den 219 Kandidaten seien drei Frauen gewesen. Eine vierte Kandidatin, die erst 25 Jahre alt gewesen sei, sei wegen fehlender "Bürgschaften" von der Wahlkommission abgelehnt worden. "Ich glaube nicht, dass eine der Frauen gewählt wurde", fügte al-Saghier hinzu.
Auch eine Kandidatur des bisherigen Vorsitzenden des Stadtrates, Chalifa Sawawi, hatte die Wahlkommission abgelehnt. Denn Sawawi ist von Beruf Richter und in Libyen dürfen Richter keine anderen Ämter ausüben. Die Stadträte unterstehen alle dem Nationalen Übergangsrat (NTC) unter Mustafa Abdul Dschalil. Der Übergangsrat soll nach der Wahl einer Nationalversammlung im kommenden Juni aufgelöst werden.
Dschalil gestand am Dienstag in einem Interview ein, dass die Regierung Fehler gemacht und keine Macht über die Milizen habe. Der Nachrichtenagentur dapd sagte er, ehemalige Rebellen hätten starke Milizen und lokale Verwaltungen aufgebaut, die mit der Regierung in Tripolis rivalisierten. Das Fehlen eines funktionstüchtigen Polizeiapparats und einer ordentlichen Justiz habe Individuen Tür und Tor geöffnet, Dinge in die eigenen Hände zu nehmen.
Dschalil wies zugleich darauf hin, dass Reste des alten Regimes nach wie vor eine Bedrohung seien. Sie hätten Revolutionskräfte unterwandert und zum Teil eigene Milizen aufgebaut. "Was Gaddafi uns nach 40 Jahren in Libyen hinterlassen hat, ist ein sehr, sehr schweres Erbe", sagte Dschalil in dem Interview. "Es wird kaum in ein, zwei oder sogar fünf Jahren zu überwinden sein."
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