Press-Schlag: Leverkusener Tugenden
■ Der Trend geht zum Ostsee-Brasileiro
Zeter und Mordio in Dortmund, glänzende Augen in Kaiserslautern und Leverkusen, business as usual bei den Münchner Bayern, Tristesse in Schalke, gepolsterte Träume in Mönchengladbach – die Weichen für die Bundesligasaison 97/98 scheinen gestellt. Aber Vorsicht! Ein Blick auf den ersten Spieltag der letzten Saison zeigt, daß dort zwar Meisterschaft (Bayern – Kaiserslautern 0:1) und ein Teil des Abstiegs (Bochum – Bielefeld 1:0) entschieden, aber auch trügerische Hoffnungen genährt wurden. So starteten zwei der späteren Absteiger mit Siegen, der KSC gegen Werder Bremen und der 1. FC Köln mit einem 3:2 gegen Duisburg. Schütze des Siegtores: Toni Polster. So viel zu Borussia Mönchengladbach.
Die Stunde der Auguren schlägt dennoch am ersten Spieltag, und diese sehen sich vor allem durch Bayern München bestätigt. „Wir wußten nicht genau, wo wir stehen“, begründete Stefan Effenberg den müden Auftritt seiner neuen Mannschaft. Er kann beruhigt sein. Auch mit ihm und Hitzfeld steht der Vizemeister da, wo er immer stand: auf der sicheren Seite. Kein Fußball reicht allemal dazu, designierte Absteiger wie den VfL Wolfsburg in deren Stadion glücklich, knapp und unverdient zu bezwingen. Die Meisterschaft ist greifbar.
Streitig machen kann sie den Bayern weder Schäfer-Vorfelders VfB Stuttgart noch der 1. FC Kaiserslautern. „Am Anfang weiß man nicht, wohin der Weg geht“, bewies Trainer Rehhagel geistige Effenberg-Nähe, deshalb würden da nur die Punkte zählen und „keine Schönspielerei“. Ein solches Wort in Otto-Mund, das kann nur eines heißen: Es geht abwärts.
Durch Schönspielerei überzeugte neben den Freiburgern die brasilianische Exklave in Leverkusen, die den Kampf gegen den Berti-Faktor im deutschen Fußball beherzt aufgenommen hat. Da werde „ein sehr schwerer Fußball“ gespielt, befand Neuzugang Zé Roberto, eigentlich dazu ausersehen, mit den Kollegen Emerson und Rink die Leichtigkeit des Kickens endlich auch hierzulande zu verbreiten. Angenehm in diesem Zusammenhang, wie resolut Trainer Daum der verderblichen Theorie zuleibe rückt, daß Deutsche nun mal keine Brasilianer seien. „Der beste Mann ist kein Brasilianer, sondern ein Deutscher, lobte er den zweifachen Torschützen Beinlich und fügte leicht volksverhetzend hinzu: „Sogar einer aus Rostock.“ Ein Ostsee-Brasileiro, gewissermaßen, und natürlich bertiverschmäht. Ein anderer Ostsee- Anrainer geht sogar noch weiter in Sachen Internationalismus. „Ich mag es nicht, wenn man sagt, das sind die Brasilianer, das die Kroaten und so weiter“, doziert Rostocks „Ostsee-Otto“ Ewald Lienen, „das sind Leverkusener Spieler, die sollen die Leverkusener Spielweise annehmen und keine brasilianische.“ Die berühmten Leverkusener Tugenden als Rettung des deutschen Fußballs. Das könnte interessant werden. Matti
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