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Leuchten der Menschheit von Barbara BollwahnGesprächmit den Eltern

Wolltet ihr auch weg aus der DDR? Habt ihr Erfahrungen mit der Staatssicherheit gemacht? Seht ihr euch als Gewinner oder Verlierer der Einheit? Bereut ihr etwas? Fast drei Jahrzehnte nach der Wende sucht die Dritte Generation Ost, geboren zwischen Anfang der 1970er bis Mitte der 1980er Jahre in der DDR, Antworten von ihren Eltern.

„Wie war das für euch? Die Dritte Generation Ost im Gespräch mit ihren Eltern“ lautet der Titel des im Christoph Links Verlag erschienenen Buches. Die drei Herausgeberinnen stehen stellvertretend für die dritte Generation Ost, 2,4 Millionen in der DDR geborenen Menschen: Die 1976 in Thüringen geborene Politikwissenschaftlerin Judith Enders, die 1976 in Sachsen geborene Soziologin Mandy Schulze und die 1979 in Ostberlin geborenene Politikwissenschaftlerin Bianca Ely. Sie führten Gespräche, Interviews und Briefwechsel mit den Eltern und anderen Zeitzeugen, baten andere Vertreter ihrer Generation, ihre Erfahrungen aufzuschreiben.

Die Suche nach Antworten ist nicht leicht, zumal die dritte Generation Schwierigkeiten hat, sich das Leben in der DDR wirklich vorzustellen. Während sie sich über die erste Arbeit im Westen freuten, wurden die Betriebe ihrer Eltern im Osten abgewickelt. Nicht wenige der Befragten beklagen die „westdeutschen Fragen“ der noch in der DDR Geborenen. Kommt es zu Gesprächen, fühlen einige Fragesteller sich wie Enkelkinder, die Opas Erzählungen aus dem Zweiten Weltkrieg lauschen. Andere bekennen, sich seit zwanzig Jahren mit den Fragen zu beschäftigen, die sie ihren Eltern stellen möchten und es doch nicht tun.

Eine 1978 in Hoyerswerda geborene Frau schreibt, dass sie sich seit vielen Jahren mit ihrer Kindheit in der DDR beschäftige, aber bis heute nicht sagen könne, „inwiefern die Wiedervereinigung Deutschlands ein Geschenk für die Menschen in der DDR war“. Die DDR – das unbekannte Wesen.

Eine 1962 geborene Frau aus Plauen, die sich in der DDR in der Opposition engagierte, Professorin der Erziehungswissenschaften wurde, es im Westen „geschafft hat“, ihrem „West“-Mann vorwirft, ihren Status zu riskieren, wenn er einen Škoda statt des Mercedes kaufen würde, wirft die Frage auf: „Was macht das Reden über die DDR so schwer?“, und nennt mehrere Gründe. „Weil Ihr die Fragen der Wessis stellt. Sie zeigen, dass Ihr Selbstverständlichkeiten der DDR-Bürger eben doch nicht kennt und wir in die Rolle kommen, diese erklären zu müssen.“

Zum anderen sei es schwierig, Diktaturerfahrung zu vermitteln. Und: „Die Kommunikation mit den Eltern kann nicht funktionieren, wenn Ausgangspunkt die über viele Jahre transportieren Klischees über Ostdeutsche sind.“ Als Beispiel führt sie ein Statement einer Tagung der Initiative Dritte Generation Ost an – „Wut und Scham darüber, dass die Eltern damals sich das Denken und Fühlen vom Staatsapparat haben abnehmen lassen – jetzt möchte man sich mit ihnen darüber austauschen und sie verweigern das Gespräch.“

Es ist die Behauptung, „dass sich die Eltern das Denken und Fühlen vom Staat haben abnehmen lassen“, die sie empört. „Ihr könnt fragen, aber die Frage darf nicht schon eine Unterstellung beinhalten.“ Sonst bliebe nur die Rechtfertigung als Ausweg, und damit komme kein echter Dialog zustande.

Der Psychoanalytiker Hans-Joachim Maaz, anerkannter Kenner ostdeutscher Befindlichkeiten, erinnert in einem Interview in dem Buch daran, dass es ein Fehler war, davon auszugehen, im Westen sei alles besser, im Osten alles schlechter. „Das Gespräch mit den Eltern ist nicht zwingend. Es ist empfehlenswert für das Verständnis der eigenen Entwicklung, für die familiären Verhältnisse.“ Entscheidend sei, die Antworten in sich zu finden. „Die Auseinandersetzung mit der eigenen Biografie und mit der der Eltern kann dazu anregen oder ermutigen, sich auch solch großen Fragen wie nach einem potenziell dritten Weg zu stellen.“

Barbara Bollwahn ist Schriftstellerin und lebt in Berlin Foto: privat

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