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■ Letzte Folge, letztes StückSayonara Triebabfuhr

Früher pflegte man, den Sonnenflecken die Schuld zu geben. Oder den Mondlandungen. Heute müssen eher das Internet und die Reizüberflutung herhalten. Aber auch Klassiker wie Nostradamus, die Qumran-Rollen oder der „vierundfünzigjährige Zyklus“ werden immer noch gerne genommen, wenn es darum geht, eine auffällige Häufung ungewöhnlicher Ereignisse zu begründen.

1999 ist es mal wieder so weit: Dieses Jahr kann sich schon jetzt rühmen, mehr als nur ein merkwürdiges Jahr zu sein – es ist ein seltsames und merkwürdiges Jahr. Und während auf dieser Seite des Ozeans einige Leute Krieg führen, andere ihr bis dahin träge und friedlich dahinfließendes Privatleben in Richtung auf einige gefährliche Stromschnellen hin umleiten, plant halb Amerika schon für den Weltuntergang, ausgelöst durch den „Y2K“-Computer-Bug, und tauscht übers Internet Survival-Tips aus. Wird die Welt wirklich untergehen? Womöglich nicht. Oder doch? Vielleicht sollte man zumindest anfangen, seine Angelegenheiten zu ordnen.

Eine regelmäßige Kolumne zu haben, in der man buchstäblich schreiben kann, was man will, gehört zu den größten Privilegien, die sich ein Autor wünschen kann. Acht Jahre (mit einer kurzen Unterbrechung) räumt mir die Hamburger taz-Redaktion nun schon diesen Platz hier ein, und ich muß mich noch nichtmal zu den brennenden Fragen des aktuellen Pop-Diskurses äußern. Nein, ich darf auch mein Privatleben hier ausbreiten, von meinen Topfpflanzen und von merkwürdigen Erlebnissen mit womöglich mutierten Fluginsekten berichten.

Und jetzt soll Schluß sein. Der Herr ist kolumnenmüde. Meine Anliegen dürften den regelmäßigen Lesern ohnehin bekannt sein: Abschaffung von Brit-Pop und Post-Rock, Abschaffung der Musikindustrie – alles Probleme, die sich auch ohne mein Zutun demnächst von selbst erledigen. In anderen Dingen rede ich anscheinend gegen Mauern: Unbeeindruckt von meinem Gezeter schreiten die alten 82er auf ihrem Marsch durch die Institutionen voran. Und der deutsche Musikjournalismus, bei dessen Kommentierung ich mich immer gezügelt habe, weil Kollegenschelte nach altem hanseatischem Handwerkskodex als unfein gilt, mag trotz meiner wiederholten Aufforderungen nicht aus seiner engen dumpfen Welt zwischen Proseminar, Altrockertum, Alt-82er-tum und Handelsmagazin-Jubelzwang hervorkriechen. Verrotte doch darin!

Habe ich noch etwas vergessen? Ach ja, Spaß hat's gemacht! Nie mußte ich meinen Ärger mit mir selbst herumtragen, nie einem Kneipenwirt auf den Tresen heulen. Magenschmerzen, schlaflose Nächte und graue Haare – nicht bei mir. Dafür mein Dank an die Herren Briegleb, Marquardt und Buß, die meiner regelmäßigen Triebabfuhr den Platz gaben.

Und jetzt? Nun, wie sagt man normalerweise: Neue Aufgaben warten. So sei es. Aber wie heißt es in der Bibel: „Rühme dich nicht mit dem, was du morgen vollbringen wirst, denn du weißt nicht, wie der Tag zu Ende geht.“ Daher sage ich jetzt mit den Worten meines Kollegen Johannes Gross: „Letzte Folge. Letztes Stück.“ Oder auf gut Deutsch: Sayonara.

Detlef Diederichsen

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