Lesung von Simon Strauß in Cambridge: Deutsche Debatte auf Auslandsreise
Hat Simon Strauß in „Sieben Nächte“ die Agenda der Rechten bedient? Bei einer Lesung in Cambridge versucht er, sich zu erklären.
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E ine keine Gruppe Student*innen, knapp zwanzig sind es, sitzt am vergangenen Samstagabend in einem modern ausstaffierten Raum des Clare Memorial Courts der Cambridge Universität. Es sind hauptsächlich Deutsche, die sich hier versammelt haben. Alle wollen den deutschen Alumnus dieser Uni hören, der mit einem einzigen Buch zum Gesprächsthema der deutschsprachigen Literaturszene geworden ist: Simon Strauß.
Für den Autor, leger in schwarz gekleidet, mag es hier nach den Besuchermassen in Deutschland ein ungewohnt kleiner Rahmen sein. Und doch ist er extra auf Einladung der German Society der Cambridge Universität angereist, um an dem Wochenende, an dem hier die „German Societies“ von Oxford und Cambridge zu ihrem jährlichen Treffen zusammenkommen, aus seinem Buch zu lesen. Gleich nach der Lesung folgt, mitten im hundskalten März, ein „Oktoberfest“ bis in die frühen Morgenstunden. So kommt es auch, dass die Präsidentin der German Society, Ran Huo, ihren Gast charmant im feschen Dirndl vorstellt.
“Sieben Nächte“ wäre der „notwendige Ausgleich“ gegen die „Zwänge des journalistischen Schreibens“ gewesen, sagt Strauß. Und liest dann aus dem Prolog des Buches, das sich mit der Situation beschäftigt, in der sich viele der Anwesenden bald oder bereits befinden: jenem Moment zwischen dem Ende des Studiums und dem Beginn einer Karriere, der Angst vor der ungewissen Zukunft und der sich den Klischees beugen zu müssen.
Alle hören gebannt zu, während Strauß bis auf den letzten Satz nicht ein einziges Mal in die Menge blickt, voll vom Text konsumiert wird, das Buch gebannt in den Händen haltend. Es fühlt sich an, als spräche er über sich selber. Fast eine halbe Stunde liest er, bevor er mit einem ganz kurzen Lächeln endet und dann auf Fragen wartet.
Ein junger Mann im blauen Jackett aus der letzten Reihe meldet sich und fragt nach der Einordnung des Buches „als Werk dieser Generation.“ Strauß wehrt sich gegen dieses Label und kritisiert die deutsche Literatur, die seit Werther immer auf der Suche nach „dem“ Buch der Generation sei. „Es ist nicht meine Generation, die sich mit meinem Buch angesprochen fühlt“, meint Strauß, „sondern eher die Eltern dieser Generation, weil sie darin vielleicht ihre Kinder glauben verstehen zu können.“
Der Kern der Kontroversen
Andere Fragen kommen, es geht um Geschichte und Gegenwart, um das Religiöse. Es ist Zeit für ein weiteres Kapitel. „Wollt ihr Habgier oder Wollust?,“ fragt Strauß die Anwesenden, die entscheiden sich für Wollust. Strauß liest daraufhin Passagen über Erfahrungen des Nachtlebens. Applaus folgt und der Abend scheint viel zu schnell vorbei zu sein. Vorsichtshalber will Strauß noch einmal wissen, ob noch jemand was fragen will. Als sich niemand meldet, ergreift die Präsidentin der German Society, sie sitzt die ganz vorne, unvermittelt das Wort. „Sie sind doch auch ins politische Schussfeuer geraten?“
Also doch noch nicht das Ende. Strauß Antworten erscheint überlegt aber auch nicht einstudiert, ein Versuch verstanden zu werden, vielleicht endlich einmal, gerade hier in Cambridge, an seiner alten Uni. „Kunst muss nicht immer dem Guten dienen. Das hatten wir doch schon im Nationalsozialismus und im Sozialismus der DDR.“ Aber es existiere da eine Übermoral unter manchen, die glaube, dass sie so das Böse beseitigen könnten. Die Beseitigung des sexistischen Bildes bei einem der letzten Vorträge wird angesprochen. Berlins Theater seien doch voll mit Sexismus, kontert er. Man müsste, wenn man konsequent sei, dann 95-98 Prozent der Kunst abschaffen, sagt Strauss.
Strauß ist der Meinung, dass seine Position als Journalist in der Sache nicht unbedingt helfe, die künstlerische Distanz halten zu können und dies letztendlich zur Debatte über ihn beigetragen hätte, da journalistische Texte stärker der Polemik ausgesetzt seien. Rückblickend hätte ihn die Reaktion mancher Leute geärgert. Eigentlich habe er als politisch denkender Mensch nur anmerken wollen, dass man manche Dinge nicht einfach so weg denken könne, besonders nicht den Rechtspopulismus. Da ist er also: der Kern der Kontroversen der letzten Monate.
Es mag an der Luft in Cambridge im Brexit-Zeitalter liegen, dass Strauß fordert: „Man muss ihre eigenen Fakten anfassen und überwinden“, und meint damit die eben jener Rechten. Cambridge schaffe da eine andere Perspektive. Es sei ein Glück, dass man permanent miteinander in Europa zusammen sein könne. „Unsere Generation darf sich das nicht von alten, grauen Männern kaputt machen lassen, ja wir müssen uns dagegen wehren, und es nicht den populistischen Mächten überlassen!“
Und dann, nach ein paar wenigen kritischen Eingeständnissen zu Europa, aus beispielsweise italienischer oder spanischer Sicht, folgt eine Schlussbemerkung, die sich mit alledem, was Strauß über die letzten Monate vorgeworfen wurde, abrechnet: „Ich verstehe mich überhaupt nicht als konservativ oder rechts.“
So selbst verortet endet der intellektuelle Teil des Abends. Ob man darüber beim Oktoberfest später noch anstieß, weiß nur die die Dame im Dirndl.
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