Lesbische Bars in den USA: Der letzte Safe Space in Nashville
Lesbenbars sind in den USA vom Aussterben bedroht. Doch zur Lipstick Lounge in Nashville strömen Massen. Was ist da los? Ein Besuch.
Wer in der Stadt zu Hause ist, sitzt wenige Kilometer entfernt in der Lipstick Lounge im Osten Nashvilles.
Zur Heimat wird eine Stadt erst, wenn sie einen geliebten Ort birgt. Da, wo man sich trifft und wiedertrifft, wo man redet, um zu reden, und die Kellnerinnen beim Vornamen nennt. So ein Ort ist für viele Menschen die „Lipstick Lounge“, die sich „A Bar for Humans“ nennt.
Jede Woche besuchen sie etwa zweitausend Menschen. Dieses Jahr kürte die Tageszeitung USA Today die Lipstick Lounge zu einer der besten Bars im ganzen Land. Sie ist eine der letzten 31 Lesbenbars in den USA.
Freitagabend, 22 Uhr. Der Raum ist prall gefüllt mit Lesben, Heteros und trans Personen, Tourist:innen und Einheimischen, Schwarzen und Weißen, dünn und dick, jung und älter. Die Kellnerin trägt ein Käppi mit „Nipples make me simple“. Alles glitzert, flimmert und knistert wie bei einer Musicalshow: die Discokugeln, der knallrote Plastik-Kussmund an der Wand, das transparente schwarze Paillettenkostüm der Dragqueen auf der Bühne, die gerade Queen Lucinda ankündigt.
„Gebt der Kellnerin ein gutes Trinkgeld! Je mehr ihr gebt, desto betrunkener werdet ihr, und je betrunkener ihr seid, desto versauter werde ich, und das ist ein Win-win für alle!“ Lauter Applaus.
Maschas Date verspätet sich. Eigentlich sollte sie längst da sein, die schöne Dunkelhaarige von letzter Nacht. „Meinst du, sie kommt noch?“, flüstert Heather der Freundin zu. Die beiden sitzen draußen auf der Barterrasse, essen Fritten und trinken Bier. Dann steht Mascha auf und verschwindet, Zigaretten holen. Heather bleibt sitzen und schiebt einer Bekannten mit den Worten „das ist für die Queens“ einen Dollarschein zu.
Erst einsam, dann geborgen
Heather Hayden und Mascha Titova, beide Anfang dreißig, kennen sich aus der Lipstick Lounge. Heather wuchs als frommes Mädchen in einer evangelikalen Gemeinde in einem Vorort von Nashville auf, hörte Countrymusik und ging reiten. Mit Mitte zwanzig folgte der Ausbruch aus dem engen Korsett der Kirche. Heute managt Heather einen Vintage-Shop und benutzt „they“-Pronomen, sieht mit feuerroten Struppelhaaren „rather faggy“ aus.
Mascha lächelt immerzu ironisch, ihre Lippen zucken vielsagend. Sie spricht direkt und verzichtet auf amerikanische Füllwörter wie „awesome“ und „amazing“. Sie kommt aus Russland, hier macht sie ihren Post-Doc in Wirtschaftswissenschaften. Als Lesbe und queere Aktivistin kann sie nicht mehr in ihre Heimat zurück. Anfangs fühlte sie sich einsam in Nashville, dann lernte sie Heather und ihre Clique kennen.
Mascha sagt: „Heather ist so links und so gebildet, weiß alles über alles. Wenn wir abhängen, vergesse ich manchmal, dass es noch Heteros auf der Welt gibt.“ Heather sagt: „Mascha liebt Amerika und den Kapitalismus hier auf eine Weise, die ich faszinierend finde. Nach den Repressionen in Russland hat sie hier ihre Freiheit gefunden.“
Nashville, Hauptstadt von Tennessee, gilt als christliche Hauptstadt und hat mehr als 700 Kirchen. Aber sie ist stolz auf ihren Ruf als politisch liberale Oase in einem tiefroten Bundesstaat mitten im Bible Belt.
Auch wenn sich die Schlinge hier schleichend enger zieht. Kein anderer Staat in den USA versuchte im vergangenen Jahr, so viele LGTBQI-feindliche Gesetze zu verabschieden wie Tennessee. Dragshows vor Kindern wurden verboten, diesen Sommer wurde der regenbogenfarbene Zebrastreifen vor der Lipstick Lounge mit einer zähflüssigen schwarzen Masse übergossen.
Mitte des 20. Jahrhunderts gab es in US-Metropolen noch viele, überwiegend weiße, Lesbenbars, die oft als inoffizielle Underground-Orte operierten und nur eine kurze Lebensdauer hatten. Schwarze queere Frauen schufen ihr eigenes Nachtleben, organisierten Hauspartys und Veranstaltungen.
Die Zahl der Lesbenbars in den USA geht in den vergangenen drei Jahrzehnten beständig zurück. In den 80er Jahren gab es schätzungsweise 200, im Jahr 2020, berichtete NBC News, nur noch weniger als 20.
Während der Coronapandemie rief Christa Suppan, Besitzerin der Lipstick Lounge, ihre Businesspartnerin jeden Tag an, schildert sie im Video-Call mit der taz. Zusammen weinten sie in den Hörer. Seit die beiden die Bar 2002 eröffnet hatten, kamen sie kaum über die Runden. Für ihren eigenen Lohn mussten sie selbst immer hinter dem Tresen stehen.
Jetzt befürchteten sie, endgültig schließen zu müssen. „Aber Lipstick ist eingefleischt in unser Herz, ein Teil unseres Lebens, unserer Identität. Wir konnten das nicht einfach so aufgeben.“ Auch ihre Frau hatte Suppan vor vielen Jahren hier kennengelernt.
Sechs Monate lang blieb die Bar zu, dann nahmen sie einen Kredit auf. Es kam alles anders als erwartet. „Ich dachte nie, dass ich das einmal sagen werde, aber die Pandemie hat alles verändert. Als ob ein Knoten geplatzt wäre und die Menschen begriffen: sie brauchen uns und die Gemeinschaft hier genauso sehr wie wir sie.“
Angst vor einem Angriff
Im Vergleich zu vor zehn Jahren hat sich die Zahl der Besucher:innen heute fast verfünffacht. Lesbenbars stünden vor der Herausforderung, dass lesbische Frauen oft schnell in Beziehungen rutschen, sich zu Hause ihr Nest bauen und nicht mehr weggehen würden. Aber die Lipstick Lounge ist eben nicht nur für Lesben ein Ort, an dem sie Spaß haben, sondern für alle. Das bringt einen finanziellen Vorteil mit sich. Gerade vergrößern sie ihre Fläche und eröffnen das „Chapstick“: eine Sportbar, in der Frauensport ausgestrahlt werden soll.
Jahrzehntelang sah es aus, als ob Lesbenbars aussterben würden. Seit 2020 gibt es eine Renaissance: in den USA haben ein Dutzend neue Bars eröffnet, deren Besitzerinnen queere Frauen sind. Zum Trend dieser Bars als Safe Spaces haben auch die New Yorker Filmemacherinnen Erica Rose und Elina Street beigetragen.
Als sie feststellten, dass es in den USA nur noch wenige lesbische Bars gibt, riefen sie „The Lesbian Bar Project“ ins Leben, unterstützt vom Kräuterschnaps Jägermeister. Die Dokureihe, die bestehende Bars – auch die Lipstick Lounge – vorstellt, wurde mit einem Emmy ausgezeichnet.
Mit der Lipstick Lounge eine Heimat für alle Menschen zu schaffen, ist für Suppan auch ein religiöser Imperativ. Sowohl sie als auch ihre Businesspartnerin wuchsen in einer strengen evangelikalen Gemeinde auf. Heute geht Suppan nicht mehr in die Kirche, aber sie bezeichnet sich als gläubige Christin.
Die Freude über das Aufblühen der Lipstick Lounge wird überschattet von der Ungewissheit und Sorge über die Präsidentschaftswahl – die inzwischen stattgefunden hat. Der Osten Nashvilles ist für queere Menschen der vielleicht sicherste Teil der Stadt. Als vor einigen Monaten Mitglieder der Neonazigruppe „Goyim Defense League“ auf der Partymeile Broadway im Zentrum auftauchten, bekam Suppan sofort einen Anruf.
Sie fürchtete einen Angriff auf die Bar: in Nashville ist die Lipstick Lounge eine kleine Berühmtheit, was sie auch verletzlich macht. Die Nachbarschaft schickte sofort eine Patrouille zum Schutz von Lipstick.
„Ich wünsche mir, dass dieses Land geheilt wird, sonst sind alle Verlierer. Ich habe Angst um Amerika“, sagt Suppan ein paar Tage vor der Wahl. Sie wird Harris wählen. Sie fürchtet die Konsequenzen, falls Trump verlieren sollte. Heather Hayden wird für Jill Stein, die grüne Kandidatin, stimmen, nicht für die Demokraten: zu weit sind sie in ihrer Rhetorik nach rechts gerückt.
Mascha darf nicht wählen, sie ist keine Staatsbürgerin. Mittlerweile sitzt ihr Date auf ihrem Schoß, sie hat den Arm um ihre Taille geschlungen. Die beiden knutschen so innig, als ob es keine Präsidentenwahl gäbe.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Eine Chauffeurin erzählt
„Du überholst mich nicht“
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Kompromiss oder Konfrontation?
Flexible Mehrheiten werden nötiger, das ist vielleicht gut
SPD im Vorwahlkampf
Warten auf Herrn Merz
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
Hybride Kriegsführung
Angriff auf die Lebensadern