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Lesbische Aktivistin über die DDR„Toleriert uns doch einfach“

Sylvia Thies wuchs als Lesbe in der DDR auf und engagierte sich nach der Wiedervereinigung für Lesben und Schwule und die Rechte von Prostituierten.

Sylvia Thies, Mitorganisatorin des Frankfurt-Slubice-Pride Foto: Wolfgang Borrs
Uta Schleiermacher
Interview von Uta Schleiermacher

taz: Frau Thies, am vergangenen Sonntag war Pride in Frankfurt (Oder) und der polnischen Nachbarstadt Sł ubice. Wie war es?

Sylvia Thies: Toll, ich war angenehm überrascht, wie viele da waren. Ich hätte mir aber gewünscht, dass auch Heteros vorn am Mikro gestanden hätten. Es waren ja viele dabei, die uns unterstützt haben.

Im Interview: Sylvia Thies

Der Mensch Sylvia Thies, geboren in Lanke bei Bernau im Oktober 1951, lebt seit den 1970er Jahren offen lesbisch. Nach einem Fluchtversuch im Oktober 1969 von der DDR in die BRD saß sie zwei Jahre im Gefängnis. Später Ausbildung in der Tierproduktion zum Zootechniker. Ende der 80er gründete sie in Frankfurt (Oder) mit dem Club GL den ersten lesbisch-schwulen Club der Stadt. Ab 1990 arbeite Thies für das Frauenzentrum Belladonna und das erste autonome Frauenhaus in Frankfurt (Oder).

Die Pride Ein Zusammenschluss aus polnischen und deutschen Gruppen rief erstmals im September 2020 zu einer grenzüberschreitenden Pride in Frankfurt (Oder) und dessen polnischer Nachbarstadt Słubice auf. Die Or­ga­ni­sa­to­r*in­nen wollen auf die Probleme queerer Menschen aufmerksam machen und fordern für beide Städte Beratungsangebote, besonders für Jugendliche. Die zweite Pride fand am 5. September 2021 statt. (taz)

Es war die zweite Pride in Frankfurt (Oder) nach dem Auftakt im vergangenen Jahr. Wenn es nach Ihnen gegangen wäre, hätte es aber schon früher eine gegeben, oder?

Na aber sicher. Gleich nach der Wende wäre das schon toll gewesen.

Warum kam es nicht dazu?

Ich glaube, ich bin nicht so ein Organisationstalent. Ich halte mich auch hier aus den Orga-Treffen raus, die sind auch meist auf Englisch, das stört mich. Das „queer“ geht mir schon gegen den Strich.

Was stört Sie an dem Ausdruck?

Auch das Englische. Otto Normalverbraucher kann damit überhaupt nichts anfangen. Um den geht es ja aber gerade, bei dem werben wir um Toleranz. Wenn wir immer „queer“ sagen – das wird doch nichts. Ich habe nicht mal diese Abkürzung im Kopf (gebräuchlich ist etwa LGBTIQ+, Anmerkung der Red.), weil mir das völlig Bockwurst ist. Ich möchte zeigen: Hier sind Lesben und Schwule, und wir möchten so leben, ohne dass uns jemand ans Bein pinkelt. Toleriert uns doch einfach.

Sie sind als lesbische Frau in der DDR aufgewachsen. Wie war das?

Ich hatte absolut kein Problem damit. Der Paragraf 175 war ja in der DDR schon Ende der 1960er Jahre abgeschafft worden (der Paragraf stellte sexuelle Handlungen unter Männern unter Strafe und galt in der BRD bis 1994, Anmerkung der Red.). Ich konnte von Anfang an dazu stehen, alle Menschen, die mir wichtig waren, wussten es. Aber jedem konntest du es auch nicht sagen, manche waren mir gegenüber den Heteros zu loyal. Ich war dann auch verheiratet.

War das nur pro forma?

Das war keine Alibi-Ehe, das kann ich nicht sagen. Ich habe einen wirklich guten Freund geheiratet. Später hat sich herausgestellt, dass er auch schwul war. Ein ganz lieber Bursche, eigentlich zu lieb für mich. Ich habe mein Leben dann ausgelebt, er nicht. Und dann ging das bei mir mit der Ehe irgendwann nicht mehr. 1977 habe ich mich geschieden, und seitdem war für mich klar: Männer kommen nicht mehr infrage in Liebesbeziehungen.

In dieser Zeit sind Sie aus Sachsen nach Frankfurt (Oder) gekommen – warum?

Durch eine Freundin, die ich in Lugau kennengelernt hatte. Ich war zehn Jahre mit ihr zusammen. Anfangs war es für mich hier schwierig, weil ich wegen meiner Vorstrafe kaum eine Wohnung bekommen habe. Aber das Gute in der DDR war, wenn du Arbeit hattest, hattest du auch ein Recht auf Wohnraum. Also habe ich mir einen Job gesucht, in der Milchviehanlage Kliestow. Da war dann alles klar, ehe meine Stasi-Akte da war. Denn als die kam, hätten sie mich am liebsten rausgeschmissen.

Was war das für eine Vorstrafe?

Na, Republikflucht. Vorbereitung zum illegalen Grenzübertritt, Paragraf 213, innerhalb einer Gruppe.

Warum wollten Sie fliehen?

Wir hatten das für den Tag geplant, an dem die Stones auf dem Hochhaus des Springer-Verlags in Westberlin spielen sollten. Wir dachten, das ist eine gute Gelegenheit, denn da ziehen die eh alle Grenzer ab

Ich wollte nicht aus politischen Gründen abhauen. Ich habe mich nicht mit meiner Mutter verstanden. Wir hatten das für den Tag geplant, an dem die Stones auf dem Hochhaus des Springer-Verlags in Westberlin spielen sollten. Wir dachten, das ist eine gute Gelegenheit, denn da ziehen die eh alle Grenzer ab. Der Staatsanwalt war später der Meinung, die Rolling Stones seien schuld, weil die mich verseucht hätten mit ihrer Musik.

Und war das so?

Nein. Und die Flucht ging auch schief. Mit einem Kumpel und noch zwei anderen wollte ich rüber, der eine hat uns aber vorher schon angeschissen, wahrscheinlich hatte er kalte Füße gekriegt. Dann sind wir hopp genommen worden.

Wie alt waren Sie da?

Da war ich siebzehn. Und leugnen ging nicht. Wir waren wirklich blöd, naiv – wir hatten eine Karte aus dem Atlas dabei. Denn keiner wusste, wie es da oben an der Grenze aussieht.

Stattdessen kamen Sie ins Gefängnis. Wie ging es Ihnen da?

Ich habe unter dem Aufenthalt im Gefängnis nicht gelitten. Ich bin selbstbewusst geworden. Anfangs allerdings vor allem durchs Faustrecht. Aber dem habe ich dann abgeschworen und mir gesagt: Keine Gewalt, das will ich nicht. Es muss auch mit Worten gehen. Seitdem habe ich mich nie wieder geprügelt.

Wie lange waren Sie im Gefängnis?

Ein halbes Jahr war ich in Stasi- U-Haft, anderthalb Jahre im Zentralen Frauengefängnis Hoheneck. Da ich mit 17 eingefahren bin, kam ich mit 20 dann raus, im Oktober 1971. Im Gefängnis habe ich mich auch das erste Mal in eine Frau verliebt. Das war eine Schließerin. Ich hatte aber keinen Erfolg, leider. Aber andere Schließerinnen hatten sich in mich verliebt, und später, als ich rauskam, bin ich dann wegen meiner Flamme nach Lugau gezogen, weil ich dachte, vielleicht wird es ja was, wenn ich in Freiheit bin. Wurde aber nichts. Ich hab sechs Jahre gebraucht, um darüber hinwegzukommen.

Also kein gutes Ende.

Im Gegenteil, sie hat die anderen Schließerinnen verpetzt. Mit denen war ich später noch eng zusammen, wir haben uns immer in Karl-Marx-Stadt in der Kneipe getroffen. Nachdem das rausgekommen ist, sind sie strafversetzt worden.

Die durften sich nicht mit Ihnen treffen, weil Sie ehemalige Insassin waren?

Genau. Wir haben uns aber weiter geschrieben.

Sie haben in deren Leben ja ganz schön viel Wirbel angerichtet.

Oh ja. Es war eigentlich eine schöne Zeit. Wenn die drei Dienst hatten, das war herrlich. Dann haben wir extra Krach gemacht, damit wir rausgeschlossen werden, dann mussten wir die Turmtreppe scheuern. Natürlich haben wir nicht gescheuert, wir haben nur einen Eimer Wasser runtergekippt und dann saßen wir da und haben gequatscht und eine hatte eine Gitarre, und dann haben wir Gitarre gespielt. Kein Wunder, dass es mir dort gefallen hat. Ich wollte noch Nachschlag haben, aber das haben sie nicht gemacht.

Sie wollten freiwillig länger im Gefängnis bleiben?

Ich war ja hochverliebt! Und wenn man zum ersten Mal richtig verliebt ist, das ist ja ein Highlight, das hat gekribbelt und gekrabbelt. Bis dato wusste ich ja noch nicht mal, dass es Lesben und Schwule gibt.

Wieso nicht?

Na, im Dorf bei uns wurde über so etwas gar nicht geredet, in den 50er Jahren. Ich kannte zwar den Spruch: „Wir sind zwar warm und schwesterlich, doch warme Schwestern sind wir nicht“, aber ich konnte damit nichts anfangen, wir haben den aufgesagt und einfach nur gegrölt. Deshalb verstehe ich das auch, wenn Jugendliche manchmal irgendwas grölen: Die wissen wahrscheinlich auch nicht, was sie sagen. Ich habe es ja auch erst mit 18 erfahren.

Unterm Regenbogenschirm: Sylvia Thies Foto: Wolfgang Borrs

Wie denn?

Auch im Knast. Da saß eine auf dem Bett und hat geheult. Ich hab gefragt, warum flennt denn die? Die heult um ihre Freundin, hieß es, die kann sie eine Woche nicht sehen, die sitzt im Arrest. Und sie ist ja verliebt. Da fiel bei mir der Groschen: Warum ich in meine Lehrerin verliebt war mit 13 und warum ich so hin und weg war von der Schließerin.

Wie ging es nach der Haft für Sie weiter?

Aber ich habe eigentlich mein Leben so gelebt, wie ich es wollte. Das habe ich hingekriegt

Ich musste wieder nach Hause, für die Eingliederung, und habe ein Jahr im Spanplattenwerk gearbeitet. Dann bin ich nach Lugau gezogen und habe beim Edelstahlwerk gearbeitet. Erst in der Küche, und nebenbei habe ich die neunte und zehnte Klasse nachgeholt. Ich ging dann 1976 nach Frankfurt, hatte schon in den Marö-Werken gearbeitet, aber weil mein Mann die Scheidung noch nicht wollte, musste ich noch mal zu ihm zurück, um die Ehe aufrechtzuerhalten, so hieß das. Danach haben sie mich dort nicht mehr eingestellt, wegen meiner Stasi-Akte. Und als ich hier in Frankfurt (Oder) nachgefragt habe, wegen einer Wohnung, sagten sie, „wilden Zuzug“ können sie sich nicht leisten, und wollten mir keine geben. Ich bin also wieder auf Arbeitssuche gegangen und habe dann hier bei der LPG-Tierzucht angefangen.

Mit 20 waren Sie raus aus dem Gefängnis. Aber die Stasi-Akte hat alles Weitere komplett beeinflusst.

Die hat mein Leben verbaut, wenn man es so will. Aber ich habe eigentlich mein Leben so gelebt, wie ich es wollte. Das habe ich hingekriegt.

Sie haben dann beruflich auch noch mal was ganz anderes gemacht.

1990 habe ich mit meiner damaligen Freundin angefangen, ehrenamtlich im Frauenzentrum und für die Beratungsstelle Belladonna zu arbeiten. Anfangs lief das gar nicht, wir saßen nur rum, keiner hat mit uns gesprochen. Ich glaube, die Chefin konnte mich erst nicht leiden. Ich hatte eine Zahnlücke. Das fand sie furchtbar, und ich bin ja damals noch Motorrad gefahren, hatte Lederhosen an, das war ihr wahrscheinlich nicht fein genug. Damals war ich wie so ein Trampel, habe gleich gesagt, was ich wollte, ohne Diplomatie.

Vieles, was wir gemacht haben, war damals neu. Wir waren die ersten, die Zwangsprostituierte im Frauenhaus aufgenommen haben, wir haben Aidsprävention im grenzüberschreitenden Raum gemacht

Wie war die Arbeit im Frauenhaus und für Belladonna?

Vieles, was wir gemacht haben, war damals neu. Wir waren die ersten, die Zwangsprostituierte im Frauenhaus aufgenommen haben, wir haben Aidsprävention im grenzüberschreitenden Raum gemacht, da haben wir brandenburgweit gearbeitet und auch in Polen. Wir haben angefangen, Schutzwohnungen aufzubauen, so dass wir auch Plätze hatten für diejenigen, die aussteigen wollten. Es gab großes Interesse der Medien an unserer Arbeit: Arte, ZDF, ARD, alle waren da. Wir hatten Verbindungen bis San Francisco: die kamen alle hier zu uns und wollten sich Rat holen und mit uns zusammenarbeiten. Schlussendlich war ich 20 Jahre bei Belladonna. Wir hätten noch super Sachen machen können.

Wie ist es geendet?

Das Frauenhaus haben wir 1997 abgegeben. Uns fehlte Geld, und das wäre zu Lasten der Frauen gegangen. Der Stadt war das auch ganz recht. Das Frauenhaus ist dann an einen Kirchenträger gegangen, das wäre dort nichts mehr für mich gewesen. Wir haben frauenorientiert gearbeitet und nicht familienorientiert.

Was ist der Unterschied?

Frauenorientiert heißt, dass wir im Sinne der Frau arbeiten und sie befähigen, alleine zu leben. Wir haben ihnen gesagt: Nimm dir eine Wohnung, bleib in deiner Wohnung. Wenn du Kontakt zu deinem Partner haben willst, dann holst du ihn zu dir. Wenn du ihn nicht haben willst, schickst du ihn nach Hause oder kannst ihn verweisen lassen. Das war unsere Art zu arbeiten. Familienorientiert ist, wenn die Mitarbeiter sagen: Probier es doch noch mal – bloß weil der Mann mit einem Blumenstrauß dasteht und sich entschuldigt. Das funktioniert nicht.

War das nicht schon als Wissen da, dass so etwas nicht funktioniert?

Von uns aus schon. Aber Christen arbeiten anders.

Müsste man nicht eigentlich mehr mit den Männern arbeiten?

Mit Männern würde ich nicht arbeiten wollen. Das sollen die Männer machen. Wenn Männer schlagen, dann sollen auch Männer sagen: So geht es nicht.

Was haben Sie dann gemacht?

Wir haben weitergemacht mit den Schutzwohnungen und der Aidsprävention. Bei schwierigen Fällen habe ich immer mit meiner Chefin zusammengearbeitet, weil die anderen vor den Zuhältern oder so Angst hatten. Es hat Spaß gemacht mit ihr. Wenn ich mal drohte, der hilflose Helfer zu werden, weil ich dachte, ohne mich geht gar nichts mehr, hat sie mich am Kragen gepackt und zurückgezogen. Aber ich hab auch ganz schön Federn lassen müssen, ich habe anfangs vieles nicht verstanden. Ich war immer der Meinung, wenn die Frauen sich schlagen lassen, sind sie selbst schuld. Dass es viele Faktoren gibt, warum sie sich nicht von ihm trennen konnten oder wollten, das war mir doch egal in dem Moment. Aber durch die Ausbildung als Quereinsteigerin in soziale Arbeit habe ich viel dazugelernt.

Gab es Situationen, in denen Zuhälter Sie bedroht haben?

Die kamen auf uns zu nach dem Motto: Was wollt ihr hier? Auch mit Baseballschlägern. Ich meinte dann: Du kannst mir doch so eine knallen, da brauchst du doch den Knüppel gar nicht. Und damit war das Eis gebrochen, und dann war auch gut. Wir haben erklärt, was wir von den Frauen wollen, dass sie sich mit Kondomen schützen und dass wir gegen Gewalt arbeiten und dass auch kein Freier kommt, wenn die Frau ein blaues Auge hat. So haben wir denen ein bisschen Honig um den Bart geschmiert und dann konnten wir freihändig arbeiten.

Auch Belladonna gibt es heute nicht mehr.

Es ist blöd geendet. Wir waren autonom, und wenn das Geld wegfällt, geht so ein Verein natürlich baden. Für mich kam noch dazu, dass die Ausbildung, die ich zur Frauenarbeit gemacht hatte, nicht anerkannt war. Ich hatte zwar Berufserfahrung, 20 Jahre Sozialarbeit. Ich habe so viele Frauen begleitet. Aber das zählte wohl nicht. Na ja, und dann wollte ich auch keinen Job mehr und habe angefangen, hier im Mehrgenerationenhaus Mikado (siehe Biokasten, die Red.) ehrenamtlich zu arbeiten, mich um die Rechner zu kümmern und die Technik. Ansonsten bin ich die gute Seele des Hauses. Und das mache ich heute noch.

Das Mikado-Haus

Das Mikado Mit dem Ende von Belladonna begann Sylvia Thies ehrenamtlich für das Mehrgenerationenhaus Mikado in Frankfurt (Oder) zu arbeiten. Das Mikado ist ein Treffpunkt für Jugendliche, Senioren und Familien mit Freizeitangeboten, Beratung, Medienzentrum und Veranstaltungsraum. In der DDR war das Haus zuvor als Pionierhaus genutzt worden, 1990 wurde daraus zunächst ein Kinder- und Jugendzentrum.

Heute entsteht in Frankfurt (Oder) so langsam eine schwul-lesbisch-queere Szene, auch mit Forderungen an mehr Beratung oder Anlaufpunkte für junge Menschen. Wie stand es denn um lesbisch-schwules Leben in Frankfurt (Oder) nach der Wende?

Anfang 1989 habe ich eine Annonce aufgesetzt mit der Frage: Wer hat Lust, mit mir einen Lesben-und-Schwulen-Club aufzubauen? Das wurde dann der Club GL – für gleichgeschlechtliche Liebe. Erst hat sich ein Volker gemeldet, den werde ich nie vergessen, dann kamen immer mehr dazu. Wir haben im Mikado einen Raum bekommen. Aber es kam auch Gegenwind: Das könne ja nicht sein, dass Kinder und Jugendliche ins Mikado kommen, während Lesben und Schwule sich dort treffen. Meine damalige Chefin hat sich dann bei den Abgeordneten für uns eingesetzt, so dass wir bleiben konnten.

Wie ist es heute aus Ihrer Sicht für junge lesbische und schwule Menschen in Frankfurt (Oder) und Brandenburg?

Ich denke, dass junge Leute viel mehr mit Vorurteilen zu kämpfen haben. Sie haben ja noch ihr ganzes Leben vor sich und sie werden immer wieder auf irgendwelche Menschen stoßen, die kein Verständnis dafür haben. Für Mädels mag es ja noch gehen. Aber Jungs haben es wahnsinnig schwer, auch für ihr Coming-out. Warum muss da heute überhaupt noch drüber geredet werden? Wir leben im 21. Jahrhundert. Warum muss ich überhaupt hingucken, wenn zwei Mädels oder zwei Jungs sich küssen? Das machen doch die anderen auch. Ich finde es toll, wenn sie offen dazu stehen, deshalb guckt man ja vielleicht auch. Aber wenn es zwei Frauen oder zwei Männer sind, fällt es immer noch auf. Und eigentlich dürfte es nicht mehr auffallen.

Was kann man dagegen tun?

Sie müssen an den normalen Bürger ran. Damals in Berlin gab es auch viele schwule Veranstaltungen – aber immer nur unter Schwulen. Ich hab gesagt: Ihr kennt doch Eure Probleme. Ihr müsst in die Heterogesellschaft rein.

Ist vielleicht leichter, sich untereinander zu treffen?

Da können sie sich erst mal schön ausheulen. Ist ja auch bei den Mädels nicht anders. Ich finde Treffen auch schön, es ist ja auch meistens dazu gedacht, eine neue Freundin zu finden oder sich mal auszutauschen. Ich war auch zwischen 1982 und 1995 viel in der Berliner Szene unterwegs. Aber ich muss auch nicht immer 100 Lesben um mich herum haben. Ich mag Männer, aber ich liebe sie nicht. Punkt. Manche der Jüngeren heute, die sind so was von radikal, die sagen „Jeder Mann ist mein Feind“ – damit kann ich nichts anfangen.

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