Lernportale im Internet: Schluss mit dem Schulbuch
Wie können Kinder risikolos an die digitale Welt herangeführt werden? Das Lernportal Clixmix versucht einen kommerzfreien und unverlinkten Weg.
"Lass mich mal, Mama", fordert die 8-jährige Emma und klickt einfach mitten auf den Bildschirm, auf dem lauter große Pappschilder mit Fotos wie am Schnürchen von links nach rechts vorbeigleiten. Plötzlich stoppt das Schilder-Karussel bei einem Bild, das einen Kicker im Einsatz zeigt.
"Fußball will ich nicht" - Emma klickt auf die Pappkette. Der Curser verwandelt sich in eine Hand. "Cool", staunt sie und schiebt die Bilder so lange weiter, bis ein Pappschild mit Pferden erscheint. Als sie es anklickt, dreht und öffnet sich der Pappkarton: Sein Inhalt zeigt viele kleine Bildchen, die Angebote zum Thema Pferd präsentieren.
Spielend leicht lässt sich Clixmix erkunden, ein Wissensportal im Internet, das speziell für Kinder im Grundschulalter entwickelt wurde. "Die Navigation und der Umgang mit den Seiten ist auf das Verhalten von Kindern ausgerichtet", erklärt Redakteurin Sabrina Kuffer. Die Seite ist mit großen Bildern und wenig Text übersichtlich gestaltet. Erwachsene suchen eine Bedienungsanleitung - aber Kinder klicken auf das, was ihr Interesse weckt. Intuitiv finden sie sich zurecht, auch die, die noch nicht so gut lesen können. "Es ging uns darum, so wenig Text wie möglich zu integrieren, damit auch Schulanfänger etwas mit den Angeboten anfangen können", erklärt Projektleiterin Hana Tsutsumi.
Die Arbeitsgemeinschaft Vernetzter Kinderseiten www.seitenstark.de setzt sich für qualitativ hochwertige Kinderseiten ein. Zum Beispiel für www.rossipotti.de, ein spritziges Literaturmagazin mit dem einzig existierenden Kinderliteraturlexikon für Kinder. Super für Referate sind die klug gemachten Wissenskarten. Wer dort nicht fündig wird, fragt die "Blinde Kuh", eine Suchmaschine für Kinder. Eine übersprudelnde Quelle in Sachen Kreativität und Spielideen ist www.zzzebra.de. Und www.listen-to-our-future.de zeigt neben Filmchen über Instrumente und Musiker ein Orchester mit Lampenfieber. Das Bären-Blatt bringt peppig aufbereitet Nachrichten ans Kind, und wer mag, kann bei www.internet-abc.de seinen Surfschein machen - fürs Navigieren durch eine werbefrei und kindgerechte Kinderseitenlandschaft.
Inzwischen hat Emma entdeckt, was hinter dem Icon mit dem Bildschirm steckt: Eine interaktive Grafik, mit der man die Pferdesprache lernen kann. Auf einer Skala sind verschiedene Gemütszustände des Pferdes aufgeführt: aufmerksam, müde, wütend oder unsicher. Ihnen kann man verschiedene Arten von Wiehern, Schnauben und Prusten zuordnen. Wenn man auf Augen, Ohren oder Schnauze klickt, erfährt man, welche äußeren Zeichen mit welchem Seelenzustand des Pferdes einhergehen.
Zwar ist der Ruf danach groß, Kinder für den Umgang mit den neuen Medien zu wappnen. Doch häufig wissen weder Lehrer noch Eltern, was das bedeutet. Während manchen der Computer ebenso wie der Fernseher ein willkommener Babysitter ist, scheuen andere die Auseinandersetzung. Schließlich lauern dort Gefahren für Kinder, die mit Realitätsverlust, Gewaltbereitschaft und Pornografie zu tun haben. Wer erlebt hat, wie eine Einführung in Suchmaschinen für Grundschüler in schlüpfrige Abgründe führte, der weiß, wie erwachsen die Inhalte des World Wide Web sind.
Zwar gibt es unzählige Seiten im Netz, die um die Aufmerksamkeit von Kinder buhlen - zu jedem Spielzeug, jeder Fernseh- oder Buchserie versprechen bunte Foren ihren Fans Abwechslung und Spaß -, aber unkommerzielle, kindgerechte Wissensplattformen sind rar. Die Arbeitsgemeinschaft Vernetzter Kinderseiten www.seitenstark.de hat Clixmix mitaufgenommen. Wer sich bei Seitenstark umschaut, bekommt einen guten Eindruck von der deutschen Kinderseitenlandschaft.
Clixmix, das erst seit Mitte März im Netz ist, bietet, was bisher fehlte: ein verspieltes Wissensportal, das zugleich eine Einführung in den Umgang mit dem Computer und mit dem Internet darstellt. Kinder können sich selbst zurechtfinden. Dazu sind die Beiträge auf das Internet und seine Möglichkeiten zugeschnitten.
Mit einer übersichtlich gestalteten Optik ist dafür gesorgt, dass das Angebot vielfältig, leicht zu verstehen und navigierbar ist. Die Entwickler der Seite wurden von der Ludwig-Maximilians-Universität und vielen Kindern unterschiedlichster Münchner Grundschulen beraten. Clixmix ist eine Monade im Netz, die keinerlei Verlinkungen zu anderen Seiten beinhaltet - ein Sicherheitsbonus für verunsicherte Eltern.
Nachdem Emma sich einen Film über einen Jungen angeschaut hat, der an einem Mini-Traberrennen teilnimmt, danach einen Beitrag über einen Pferdezahnarzt geschaut und das Quiz zum Thema Pferde absolviert hat, wechselt sie zum Thema Internet. "Das Internet ist unendlich, wo da die Grenzen sind, weiß ich eigentlich gar nicht", stellt ein Junge im Kidsmix-Film fest.
Auch hier gibt es Vielfältiges zu entdecken: kurze Filme über die Erfindung des Computers, Hörbeiträge, die davon erzählen, dass das erste Computerprogramm vor 150 Jahren von einer Frau geschrieben wurde, die Ada Byron hieß und nach der heute noch eine Programmiersprache Ada heißt. Oder ein Film, der erklärt, was der Begriff Browser bedeutet, was Downloaden ist und wie man E-Mails schreibt. Außerdem erfährt man hier, warum man vom Surfen redet, wenn man sich im Internet Seiten anschaut, was übrigens auch mit einer klugen Frau zu tun hat. Emma ist erfreut.
"Nach Tests mit Kindern haben wir festgestellt, dass die Kinder keine eindeutigen Präferenzen für bestimmte Präsentationsformen haben. Deshalb haben wir uns entschieden, ein bunt gemischtes Angebot ins Netz zu stellen", berichtet Hana Tsutsumi. So gibt es moderierte Filmbeiträge, zum Beispiel wenn es um den Argentinosaurus unter der Rubrik Dinosaurier geht, aber auch solche, die Kinder in den Mittelpunkt stellen, etwa Luca, der im Themenbereich Fußball beim Blindentraining dabei sein darf.
Neben den ungefähr dreiminütigen Wissensfilmen oder Hörbeiträgen gibt es Blätter mit Bastelanleitungen, Malvorlagen oder Rätsel zum Ausdrucken, kurze Lesungen aus Kinderbüchern und Hörstücke.
Durch Clixmix surfen kann man auch auf verschiedene Arten: Entweder klickt man einfach auf ein Thema. Oder man lässt sich von einem der fünf Tiere, die im unteren Bereich des Bildschirms bereitstehen, querbeet durch die Themen führen. Sie stehen für verschiedene Formen der Weltaneignung, also auch für verschiedene kindliche Charaktere: So ist das Känguru kommunikativ, die Maus emotional und die Schildkröte eine Forschernatur, der Pelikan einer, der erfassen will, wie alles als Ganzes zusammenspielt, und der Affe ein neugieriger Entdecker.
Eine gute Idee: Unzureichenden Einteilungen wie Altersempfehlungen oder Klassenzuweisungen ("für Erstklässler geeignet") stellt die Seite so ein neues Modell entgegen. Wenn jetzt die Formate nach verschiedenen Formen der Weltaneignung und Lerntypen unterschieden werden, kommen auch Frühentwickler und Spätzünder auf ihre Kosten. Ein Modell, das man sich auch in anderen Bereichen wünschen würde - etwa der Kinderliteratur.
Auch an den Grundschul-Lehrplänen der 16 Bundesländer orientiert sich die Seite nur zum Teil: "Wir haben lange diskutiert, ob wir ein Wissensportal machen, in dem wir den Lehrplan abbilden oder ob wir eine Plattform anbieten, wo Kinder gerne lernen. Schließlich haben wir uns für Letzteres entschieden. Wir nehmen natürlich auch Themen dran, die in der Schule vorkommen, aber beleuchten die Aspekte, für die in der Schule weniger Zeit sein wird."
Hierin unterscheidet sich Clixmix deutlich von anderen Lernplattformen, die sich auf die Fahnen geschrieben haben, den Grundschullehrplan abzufahren. Bei Clixmix dagegen werden die Gründe für die unterschiedlichen Schwimmhöhen von Fischen ebenso erklärt wie die Abseitsregel im Fußball. Bisher stehen neun Themen-Kartons zur Verfügung, doch monatlich soll je ein neues Thema dazukommen. Hana Tsutsumi erklärt: "Wir streben eine Mischung an aus Jungen- und Mädchenthemen, diese Unterschiede gibt es ja leider noch, und wir wollen sie möglichst nicht jungen- oder mädchenmäßig abbilden. Daneben sollen sich Themen aus verschiedenen Bereichen, wie Technik, Natur oder Geschichte abwechseln." Und Sabrina Kuffer fügt hinzu: "Eigentlich ist jedes Thema geeignet, solange es für die Kinder interessant ist und sie gleichzeitig was Neues erfahren. Gut sind natürlich Themen, die sich eignen, multimedial aufbereitet zu werden."
Auch an der Vielfältigkeit der Darbietungsformen wird weiter geforscht, denn das junge Team scheint Spaß daran zu haben, zu entdecken, was ein Wissensportal für Kinder alles sein kann. Ist Clixmix so zwar wenig geeignet, um Schülern Informationen für normale Schulreferate zu bieten, so stellt sie mit ihrer intelligenten Repräsentationsform und der Nutzerkonformität eine gute Einführung ins Medium dar.
Obwohl Clixmix möglichst alle Kinder ansprechen will, fällt beim Durchklicken auf, dass fast ausnahmslos propere, blonde Kinder mit süddeutschem Akzent auftauchen. Produziert wird die Seite in München. "Stimmt nicht!", ruft Tom, Emmas Bruder, der inzwischen mit Clixmixen dran ist, "beim Fußball sind auch dunkelhaarige Kinder!" Das Clixmix-Film-Team hatte es nach Dortmund geschafft und war dabei, als BVB-Profispieler Patrick Owomoyela einen Nachmittag lang die Kinder der Dortmunder Straßenfußball-Liga trainierte.
Tom lacht. Er hört gerade einen Beitrag über Flitzer, die nackt oder bekleidet während wichtiger Sportereignisse über das Spielfeld rasen. Jetzt weiß er also, was das ist, was er so gerne macht. Er reißt sich die Kleider vom Leib und rennt in den Hof, wo Emma mit Nachbarskindern über die Wiese rennt - immer unterm Wassersprenger durch.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
US-Interessen in Grönland
Trump mal wieder auf Einkaufstour
Täter von Magdeburg
Schon lange polizeibekannt
Abschiebung erstmal verhindert
Pflegeheim muss doch nicht schließen
Anschlag in Magdeburg
Vorsicht mit psychopathologischen Deutungen
Insolventer Flugtaxi-Entwickler
Lilium findet doch noch Käufer
Negativity Bias im Journalismus
Ist es wirklich so schlimm?