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Lernen vom BiberBesser nagen, als angenagt werden

Der Biber ist cool, denn er nagt an der Welt. Menschen müssen nicht bewundert, aber bemerkt werden.

Biber als Vorbild – besser an einem Baum, als an sich selbst zu nagen Foto: YayImages/imago

M eine liebsten Beschäftigungen der vergangenen zwei Wochen waren Kochen, Rummikub spielen und Joggen. Möglicherweise waren es sogar meine einzigen Beschäftigungen, abgesehen von Arbeiten und Einkaufen.

Kochen mag ich, weil Essen zubereiten und Essen essen mich glücklich macht. Außerdem hab ich während des Frühjahrs-Shutdowns gelesen, dass die haptische Erfahrung des Lebensmittelschnippelns sich positiv auf das menschliche Gehirn auswirkt und Glücksstoffe freisetzen kann – besonders, wenn Berührungen von anderen Menschen gerade zu kurz kommen.

Rummikub mag ich, obwohl es ein Gesellschaftsspiel ist. Es geht um Farben und Zahlen und Reihen und Gruppen, aber am wichtigsten ist mir das Klacken der naturweiß-glänzenden Urea(!)-Steine, wenn man sie beim Mischen über den Tisch verteilt. Und dann ist da noch Joggen. Joggen ist ein Garant für bessere Laune, bei mir meistens erst hinterher, seltener währenddessen – eigentlich. Neuerdings freue ich mich sogar schon vor dem Joggen aufs Joggen, und das liegt nicht so sehr am Sport, sondern an einem Biber.

Vor zwei Wochen habe ich bei einer sonst ereignislosen Laufrunde zum ersten Mal seine Spuren bemerkt. Unten am Ufer, an einem fast schüchtern angenagten Baum. Dann wurden die Spuren täglich mutiger und mehr. Für mich als Stadtkind eine totale Sensation – umso mehr, als ich gelernt habe, dass Otter sich in Flussbetten einen Glücksstein aussuchen, den sie ein Leben lang in einer kleinen körpereigenen Tasche aufbewahren. Und weil ich ja ein Stadtkind bin, sind Biber für mich etwas größere, holznagende Otter. Jedenfalls sind Biber cool.

Biber nimmt Dinge in die Hand

Besonders der an meiner Laufstrecke. Ich nehme an, dass es sich um einen einzelnen handelt, weil er sich vermutlich auch an Kontaktbeschränkungen halten muss. So wie Menschen ist der Biber außerdem zu einem Leben ohne Winterschlaf verdammt. Er muss also auch in der dunklen Jahreszeit 24/7 weitermachen. Aber anders als wir passiven Menschen nimmt der Biber die Dinge selbst in die Hand: Er nagt an der Welt und lässt nicht die Welt an sich nagen.

Beim Joggen denke ich, dass an der Welt zu nagen gar nicht unbedingt schlecht ist. Vielleicht könnten wir das vom Biber lernen: Nicht nur zuzusehen, wie sich die schweren Dinge im eigenen Körper ausbreiten, sondern sich auch mal selbst in die Welt hineinzuschreiben. Teenager machen das, wenn sie ihre Initialen mit einem Schlüssel in die aufgeweichte Sperrholzplatte einer Bushaltestelle ritzen.

Menschen müssen bemerkt werden

Andere sprühen ein „ich war hier“ an blanke Fassaden. Oder legen einen Garten an. Alles davon ist irgendwie richtig und deutlich anständiger als die Geste machtversessener Männer, die sich ihre eigenen Denkmäler errichten. Menschen müssen überhaupt nicht bewundert werden, aber bemerkt, denke ich. Erst recht, wenn gerade die Welt an ihnen nagt.

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Lin Hierse
taz-Redakteurin
Lin Hierse ist Redakteurin der wochentaz und Schriftstellerin. Nach ihrem Debüt "Wovon wir träumen" (2022) erschien im August ihr zweiter Roman "Das Verschwinden der Welt" im Piper Verlag. Foto: Amelie Kahn-Ackermann
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