: Leptosom und laut
■ ... und sogar in gürtelloser Hose angenehm: Der ehemalige Soundgardener Chris Cornell sang im Columbia Fritz
Es ist kurz nach halb elf am Montagabend, als der Taxifahrer eine entsetzliche Stimme im Radio erkennt: „Oh, das ist Wolfgang Petry. Darf ich ein bisschen lauter machen?“
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Was soll man da sagen? Vielleicht dies: „Auf keinen Fall, denn ich komme gerade vom Chris-Cornell-Konzert, auf das ich mich seit Wochen gefreut habe – obwohl ich auch etwas in Sorge war, ob mir das wirklich gefallen würde. Schließlich ist ,Euphoria Morning‘, die Solo-CD des ehemaligen Soundgarden-Sängers, weniger abwechslungsreich geraten, als ich gehofft hatte. Chris Cornell schreit auch leider nicht mehr so viel und so wunderbar wie zum Beispiel einst bei ,Beyond the Wheel‘, was ich an diesem Abend eigentlich noch lieber aus dem Soundgarden-Repertoire gehört hätte als ,Fell on Black Days‘.
Trotzdem bleibt dieser Mann natürlich weiterhin ein großartiger Sänger und sogar in gürtelloser Hose eine angenehme Erscheinung: Sehr beherrscht und konzentriert stand er da auf der Bühne, ging allenfalls einmal ein paar Schritte auf und ab und wandte sich nur selten nicht singend ans Publikum – sieht man von einer kleinen bizarren Einführungsrede ab, in der Cornell sich daran zu erinnern glaubte, auf exakt dieser Bühne einmal ein mitgebrachtes Schwein geschlachtet, gegrillt und verzehrt zu haben, so dass es 'dann für uns alle doch noch ein lustiger Abend wurde‘.
Begleitet wurde Cornell von einer gut eingespielten Band, in der vor allem der leicht jammerhebelfixierte Gitarrist und die energische Keyboarderin auffielen. Ganz ruhig und gelassen ging es zu, dem hauptsächlich balladesken neuen Repertoire seines Alleingangs entsprechend, und die schönsten Stücke waren auch dabei: ,Mission‘ , das Chris Cornell nach eigener Auskunft stets außer Atem bringt, sowie – mein Favorit – 'Pillow Of Your Bones‘.
An dieser Stelle konnte im Publikum dann auch einmal ein wenig gehüpft werden – worauf einige Konzertbesucher auch offensichtlich sehnsüchtig gewartet hatten –, ansonsten aber herrschte eine entspannte Stimmung wie bei einem Chansonabend, und die Lederjackenträger waren nicht in der Überzahl: Man sah perlenkettenbehangene junge Damen in schwarzen Cocktailkleidern, und selbst die Vertreter der guten alten Grunge-Fraktion hatten sich zur Feier des Tages die Dreadlocks gewaschen.
Zum Glück kam es aber nicht zur Darbietung der französischen und überflüssigen Fassung von ,Can‘t Change Me‘. Statt dessen gab es ein wahres Geschenk mit der ersten Zugabe: Das zum Heulen schöne Lied „All Night Thing“, das Cornell mit der einmalig zusammengestellten Formation ,Temple of the Dog' spielte.
Mit ,Steel Rain‘ hörte es dann auf. Chris Cornell, bester Schreihals seit Robert Plant und ewige Lieblingsheulboje, huschte noch einmal kurz zum Bühnenrand. Er streichelte ein paar ausgestreckte Hände und verschwand.
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„Oh, das ist Wolfgang Petry“, sagt der Taxifahrer. Es ist kurz nach kurz nach halb elf am Montagabend. „Darf ich ein bisschen lauter machen?“ Soll er doch.
Carola Rönneburg
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