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Leo Kirchs Fernsehlabyrinth

■ Ein alter Rechtsstreit zwischen Kirch und Springer beschäftigt die Landesmediendirektoren

Der Münchner Filmhändler Leo Kirch beherrscht über geheime Absprachen mit der Stuttgarter Holtzbrinck-Gruppe (Handelsblatt, Wirtschaftswoche) seit 1986 den Kommerzsender Sat.1 und bestimmt auch beim formell von ihm unabhängigen Sender Pro 7 das Programm. Damit verstößt Kirch, sollten die Anschuldigungen zutreffen, gegen die Bestimmungen zur Vielfaltssicherung im Rundfunkstaatsvertrag.

Die Vorwürfe stehen in einer Klageschrift des Axel Springer- Verlages gegen Kirch, die im August 1990 an das Landgericht Mainz gerichtet war. In diesem Sommer sandte ein anonymer Absender diese Klageschrift den Landesmedienanstalten zu. Zwar wurde die Klage vom Springer- Verlag mittlerweile zurückgezogen, und Kirch konnte seinen Einfluß auf das Springer-Imperium durchsetzen, doch müssen sich die Medienkontrolleure mit den Vorwürfen auf ihrem nächsten Direktorentreffen am 26. und 27. November beschäftigen.

Treffen sie zu, muß der Verstoß gegen den Medienstaatsvertrag geahndet werden. Immerhin legt der Paragraph 21 zur Sicherung der Meinungsvielfalt fest, daß ein TV- Veranstalter nur an einem Vollprogramm beteiligt sein darf, was auf Sat.1 und Pro 7 zutrifft. Eine Lizenz darf außerdem nur an einen Veranstalter gehen, „an dem keiner der Beteiligten fünfzig von hundert oder mehr Kapital- oder Stimmrechtsanteile innehat oder sonst einen vergleichbaren vorherrschenden Einfluß ausübt“.

Als direktem Anteilsbesitz vergleichbarer Einfluß gilt, wenn ein Veranstalter einen wesentlichen Anteil der Sendezeit des Programms gestaltet. Genau dies wirft die Springer-Klageschrift Kirch bei Pro 7 vor. Bereits 1986 sollen Kirch und Holtzbrinck eine Vereinbarung geschlossen haben, die eine „einheitliche Abstimmung bei Gesellschafter- und Aufsichtsratsbeschlüssen“ zwischen beiden Seiten vorsah. Vor allem sollten die Stimmrechte so gekoppelt werden, daß bei Filmeinkäufen „möglichst ausschließlich“ Kirch und bei Wirtschaftssendungen Holtzbrinck zum Zuge kommen sollten, so der Springer-Vorwurf.

Ein Jahr später soll die Zusammenarbeit dann noch verstärkt worden sein, da Kirch plante, den 15-Prozent-Anteil von Holtzbrinck zu übernehmen. Dazu wurden die Stimmrechte bereits 1987 auf die Kirch-Gruppe übertragen, die damit über 58 Prozent verfügte. Als Zeugen dafür benennt die Klageschrift die Springer-Manager Servatius und Tamm, denen Kirch dies im Mai 1990 persönlich erklärt habe. Auch wenn die Landesmedienanstalten 1990 Kirchs Versuch, offiziell die Holtzbrinck-Anteile zu übernehmen, unterbanden: Die Absprachen könnten noch heute funktionieren.

Nachdem der Streit zwischen Kirch und Springer begraben wurde, der Medienhändler mittlerweile im Vorstand des Verlagsimperiums einen Sitz hat und 35 Prozent der Anteile besitzt, könnte sich der Anteil der Kirch-Springer- Gruppe, rechnet man Holtzbrinck hinzu, auf satte 78 Prozent erhöht haben. Seit diesem Frühjahr streiten sich Sat.1 und die Landesmedienanstalt NRW vor Gericht um die Frage, ob die Anteile von Kirch und Springer bei Sat.1 zusammengezählt werden dürfen und damit deren Reduzierung unter die im Staatsvertrag vorgeschriebene 50-Prozent-Grenze gefordert werden könne.

Bisher bestreitet Kirch jeden Einfluß auf die Entscheidungen seines Sat.1-Partners Springer. Sollte es aber feststellbare Absprachen mit Holtzbrinck geben, kommt der Medienhändler um eine Reduzierung seiner Anteile nicht herum, so jedenfalls der Justitiar der Landeszentrale für Private Rundfunkveranstalter in Rheinland-Pfalz (LPR), Dr. Platho. Die Ludwigshafener haben die Lizenz für Sat.1 erteilt und wurden deshalb von den Landesmediendirektoren mit der Überprüfung der Vorwürfe beauftragt.

Die Vorwürfe der Springer-Klageschrift über Kirchs Einfluß bei Pro 7 lauten unter anderem, „einziger Lieferant für Lizenzrechte“ des Senders zu sein. Außerdem würde die Programmzusammenstellung „nicht beim Sender, sondern direkt bei der Kirch-Gruppe in Unterföhring getroffen“. Kritik an einer Strohmann-Funktion von Kirch-Sohn Thomas, der bei Pro 7 rund 48 Prozent der Anteile hält, gab es schon seit längerem. Zusätzlich beherrschen Pro 7 und dessen Geschäftsführer Leo Kofler wiederum mit zusammen 55 Prozent der Anteile den Kabelkanal, auf dem ebenfalls Kirch-Konserven abgenudelt werden.

So könnte sich bestätigen, was Fachleute schon lange vermuten: Leo Kirch beherrscht mit seinen Unternehmen in der Münchner Betastraße Sat.1, Pro 7, den Kabelkanal und das Deutsche Sportfernsehen; die staatsvertraglichen Regelungen werden durch interne Absprachen umgangen. Für den Vorsitzenden des Arbeitskreises Vielfaltssicherung der Landesmedienanstalten und Direktor der Hamburgischen Anstalt für Neue Medien, Dr. Helmut Haeckel, zeigt die Arbeit der Mediendirektoren ein „zunehmendes Defizit“ bei der Konzentrationskontrolle. Bei den Landesmedienanstalten sei der „Wille, zum Ergebnis zu kommen, höchst unterschiedlich ausgeprägt“. Logo: Die standortpolitischen Interessen der Landesregierungen setzen sich auch bei den Kontrollinstanzen fort. Philippe Ressing

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