Leitlinien zur Bürgerbeteiligung: Nicht mehr am Bürger vorbeibauen
Senatorin Katrin Lompscher lädt zum Stadtforum und verspricht: Bei Stadtentwicklungsprojekten soll Partizipation verbindlich werden.
BERLIN taz | Berlins rasantes Bevölkerungswachstum setzt die Politik unter Druck, wie Stadtentwicklungssenatorin Katrin Lompscher (Linke) unumwunden zugibt: „Wir leiden darunter.“ Die einfache Antwort auf den Mangel an neuen Wohnungen wäre möglichst schneller Neubau. Doch der Senat hat sich mehr vorgenommen: Neubau, klar, aber nicht an den Bürgern vorbei. Künftig sollen Anwohner und Betroffene deutlich früher und effektiver in Planungsprozesse eingebunden werden.
Der Startschuss, um dieses Vorhaben zu verankern, fiel am Montagabend in der Kreuzberger Markthalle Neun. Lompscher hatte dorthin öffentlich zum Stadtforum geladen, einer bereits seit 1991 existierenden Tagung zum Thema Stadtentwicklung, die, zwischenzeitlich eingeschlafen, nun in neuem Gewand daherkommt. Frisch konzipiert, an wechselnden öffentlichen Orten, mit Ideensammlungen an einer Mindmap-Wand und einer Ausstellung, in der sich bereits existierende Projekte präsentieren. Ihr Prinzip machte die Senatorin in ihrer Eröffnungsrede deutlich: „Ohne Partizipation werden wir der Verantwortung nicht gerecht.“
Innerhalb eines Jahres sollen verbindliche Leitlinien zur Bürgerbeteiligung bei Stadtentwicklungsprojekten entwickelt werden, die dann dem Senat und Abgeordnetenhaus vorgelegt werden. Die Fragen: Wie kommt man zu frühzeitiger Beteiligung möglichst vieler? Was ist verhandelbar? Was passiert mit den Ergebnissen? Daran arbeiten soll ein Gremium aus zehn Bürgern, vier Politikern und sechs Experten aus der Verwaltung. Sie sollen den Prozess begleiten, Zwischenstände transparent machen.
Auf welchen Grundprinzipien die Leitlinien basieren könnten, zeigte die Wiener Stadtpsychologin Cornelia Ehmayer-Rosinak auf. Dort habe man sich darauf geeinigt, eine frühzeitige Beteiligung verbindlich zu definieren. Außerdem gehe es um direkte Kommunikation, also den persönlichen Austausch. Das dritte Prinzip ist Klarheit; in der Sprache, aber auch den Kriterien, wann Partizipation erfolgen muss.
Dass all dies nicht ganz einfach zu haben ist, merkte Pankows Bezirksbürgermeister Sören Benn (Linke) an. Er verwies auf die Notwendigkeit, strukturelle Voraussetzungen in der Verwaltung zu schaffen, neue Mitarbeiter einzustellen und Geld auszugeben. „Das ist eine gute Investition, weil Entscheidungen besser werden“, so Benn.
Ein Baustein der neuen Partizipationskultur wurde bereits in der Kooperationsvereinbarung mit den städtischen Wohnungsbaugesellschaften angestoßen. Sie sollen bei Neubauprojekten künftig drei Prinzipien beachten: Sie müssen frühzeitig mehrere Varianten präsentieren, den Mehrwert der Maßnahmen für die Nachbarschaft darstellen und ein stets ansprechbares Gremium während des Planungs- und Bauprozesses etablieren.
Wo Bürger beteiligt werden sollen, ist auch die Kritik nicht weit. Ein selbst organisiertes Stadtforum von unten verschiedener stadtpolitischer Initiativen kritisierte, nicht in die Planung des Stadtforums eingebunden worden zu sein. Beteiligung müsse jedoch bereits in der Beteiligungsplanung erfolgen.
Leser*innenkommentare
Thomas Balbach
Ich finde Frau Lompscher sehr glaubwürdig! Ihre Rede auf die Sie sich beziehen war recht sachlich: https://www.youtube.com/watch?v=9x54nLFkHps
Partizipation kann die Stadtentwicklung als Prozess grundlegend verändern, v.a. mit 3D-Anwendungen und maschinell unterstützten Aggregationsvorgängen von Bürger*innen-Ideen. (wie hier beschrieben https://www.citizenlab.co/blog/stadtentwicklung/durchbruch-opengovernment-stadtentwicklung/?lang=de)
Ich glaube, dass wir dadurch ein Stadtbild in Berlin haben werden, das den Leuten, die in Berlin wohnen, tatsächlich besser gefallen wird. Sowas wie der Bierpinsel könnte heutzutage nicht mehr gebaut werden!