piwik no script img

Leichtathletik-WM in BudapestImmer mehr, mehr, mehr!

Weltverbandspräsident Sebastian Coe fordert eine Verdichtung des Wettkampf-Kalenders. Die Folgen sind bei den Weltmeisterschaften zu sehen.

Shelly-Ann Fraser-Pryce (l., Jamaika) wurde 3. über 100 Meter. Gold ging an Sha’Carri Richardson Foto: imago/xinhua

Einerseits fehlen bei den Leichtathletik-Weltmeisterschaften, die gerade in Budapest ausgetragen werden, viele Sportler. Und andere, die in der Favoritenrolle angereist sind, können nicht gewinnen, ja, oft nicht einmal das Finale erreichen. Andererseits ist da Sebastian Coe. Der Brite ist Präsident des Fachverbandes World Athletics und hat vor den WM erklärt: „Es gibt meiner Meinung nach immer noch Platz.“

Platz im Kalender für weitere Top-Leichtathletik-Veranstaltungen. „Wir wollen, dass unsere Athleten häufiger an Wettkämpfen teilnehmen“, hatte Coe, dem Ambitionen für das Amt des IOC-Chefs nachgesagt werden, erklärt und angedeutet, dass die Freiluftsaison verlängert werden müsse, „weil die Monate Mai bis September nicht wirklich haltbar sind“. Dafür hat Coe, selbst Olympiasieger, „unseren Athleten“ noch eins mitgegeben: „Im Großen und Ganzen glaube ich, dass sie das nicht tun.“

Tatsächlich fehlen etliche Weltstars bei diesen WM. Aus Deutschland etwa die Olympiasiegerin und Weltmeisterin im Weitsprung, Malaika Mihambo, der 2017er-Weltmeister im Speerwurf, Johannes Vetter, die Europameisterin über 3.000 Meter Hindernis, Gesa Felicitas Krause, oder die WM-Dritte und Europameisterin über 5.000 Meter, Konstanze Klosterhalfen.

International sieht es nicht viel anders aus. Die belgische Siebenkampf-Olympiasiegerin Nafi Thiam verzichtet auf einen WM-Start, die 400-Meter-Weltrekordlerin Sydney McLaughlin-Levrone fehlt ebenso wie 400-Meter-Weltmeister Michael Norman, beide sind aus den USA. Die Liste ließe sich beinah beliebig verlängern. Grund sind immer entweder Verletzungen und/oder die Konzentration auf die Olympischen Spiele 2024 in Paris.

Weltstars holen sich nicht selten eine Klatsche ab

Leider fordert es einen kleinen mentalen und emotionalen Tribut

Katie Moon, Stabhochspringerin und Psychologin

Weltstars, die jedoch in Budapest starten, holen sich nicht selten eine Klatsche ab. Am Montagabend beim mit Spannung erwarteten 100-Meter-Finale der Frauen mussten die Zuschauer schon auf die Außenbahn gucken, um die Siegerin zu entdecken: Sha’Carri Richardson aus den USA.

Für die WM 2022 in Eugene hatte sie sich nicht qualifizieren können, und bei den Olympischen Spielen 2021 in Tokio war sie wegen Marihuanakonsums, der in einer Dopingprobe nachgewiesen wurde, gesperrt gewesen. Nun, in Budapest, gewann Richardson in 10,65 Sekunden. Die als Favoritinnen angereisten Jamaikanerinnen Shericka Jackson und Shelly-Ann Fraser-Price, Letztere ist immerhin fünffache Weltmeisterin, kamen hinter der Amerikanerin ein. Die deutsche Europameisterin Gina Lückenkemper hatte den Finaleinzug verpasst.

Abstürze und Durchhalte-Versuche

Katie Moon aus den USA, Olympiasiegerin im Stabhochsprung und studierte Psychologin, versucht das Phänomen der scheiternden oder fehlenden Topstars zu erklären. „Leider stellt man fest, dass es bei manchen Sportlern einen kleinen mentalen und emotionalen Tribut fordert“, sagt sie. Sie selbst habe im Nach-Olympiajahr einen kleinen Absturz erlebt, mit körperlichen Problemen, deren Ursache sie auch im mentalen Bereich sieht. „Ich musste dieses Jahr zum ersten Mal eine Spritze in den Knöchel bekommen.“

Der US-Dreispringer Will Claye, zweifacher Silbermedaillengewinner bei Olympischen Spielen, stimmt ihr zu: „Wie Katie sagte, man sieht es immer wieder bei einigen Sportlern, bei denen Verletzungen auftauchen.“ Aber Claye, der mit 32 Jahren zu den Routiniers gehört, spricht sich dennoch für die Pläne von Sebastian Coe aus. „Wir müssen halt Wege finden, gesund zu bleiben.“

Hintergrund von Coes Plänen ist, dass sein Weltverband 2026 eine „Best of the Best“-Veranstaltung anbieten will, um die mediale – und damit auch finanzielle – Aufmerksamkeit wieder auf seinen Sport zu lenken, der aktuell gegenüber dem Fußball deutlich in Rückstand gerät. Dafür braucht World Athletics mehr Aufmerksamkeit heischende Events, und dort müssen auch die Topstars antreten.

Anlass dafür, dass die Pläne ausgerechnet jetzt mit Vehemenz vorgetragen werden, sind die Auswirkungen der Covidpandemie auf den Sport. „Es ist die Verdichtung, die im Zuge der Verschiebung der Olympischen Spiele 2020 in Tokio stattgefunden hat“, sagt Coe. Anders formuliert: Der Konkurrenzkampf zwischen den Sportarten und ihren Weltverbänden ist heftiger geworden. Und dieser Druck wird jetzt an die Sportler nach unten weitergereicht.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

1 Kommentar

 / 
  • Die 10,65 s von Sha’Carri Richardson sind eine herausragend gute Zeit. Ihr Sieg lag also nicht an der Schwäche der Gegnerinnen sondern alleine an ihrer guten Leistung.



    Zum Vergleich liegt die Bestzeit von Gina Lückenberger bei 10,95s.

    Die geringe Spitzendichte an ihr als Beispiel festzumachen, finde ich daher nicht gut gewählt.