Leichtathlet Schrader über Comeback: „Ich mag meinen Körper“
Nach langer Verletzungspause hat der Zehnkämpfer Michael Schrader im Mai eine Weltjahresbestleistung aufgestellt. Schmerzen hat er trotzdem.
taz: Herr Schrader, wie geht es Ihnen? Ist gerade tatsächlich mal alles heile an Ihrem Körper?
Michael Schrader: Ja. Mir geht es gut, und mir tut nichts weh. Nur die üblichen Kleinigkeiten.
Ganz ohne Schmerzen geht es nie?
Nein, ohne Schmerzen geht es im Zehnkampf überhaupt nicht. Zumindest nicht in meinem Alter. So bis 19 ging das noch, aber heute tut grundsätzlich irgendwo etwas weh. Aber das ist nicht schlimm. Solange sich die Schmerzen in Grenzen halten, ist das in Ordnung.
Sie haben im Mai in Ulm nach langer Verletzungspause zum ersten Mal seit zweieinhalb Jahren wieder einen Zehnkampf beendet und mit 8.422 Punkten gleich eine Weltjahresbestleistung aufgestellt. Vertrauen Sie Ihrem Körper wieder?
Ich habe ja schon im Training gesehen, dass nach harten Belastungen nicht mehr wehtat als vorher. Und ich bin gut durch den Wettkampf in Ulm gekommen. Also ja, ich denke, ich vertraue meinem Körper wieder.
25, Zehnkämpfer und Sportsoldat, startet für den TSV Bayer 04 Leverkusen und trainiert in Halle (Saale) mit Rico Freimuth und Norman Müller. Bei den Olympischen Spielen in Peking 2008 wurde er Zehnter. Seine Bestleistung: 8.522 Punkte beim Sieg 2009 in Götzis. Seither fiel er immer wieder mit Fußverletzungen aus. Gelungenes Comeback im Mai 2013 in Ulm mit der Weltjahresbestleistung von 8.427 Punkten.
Nach einer so langen Verletzungsmisere war es sicher nicht einfach, wieder an diesen Punkt zu kommen.
Man musste mich schon immer gut aufbauen. Inzwischen bin ich bei Doktor Müller-Wohlfahrt (Sportmediziner aus München, betreut unter anderem die deutsche Fußball-Nationalmannschaft und die Spieler von Bayern München, d. Red.) in Behandlung, und wenn so ein Mann an deiner Seite dann sagt, es passiert nichts, dann ist man auch davon überzeugt.
Ich war vorher bei vielen Ärzten, der eine hat das gesagt, der andere das. Jetzt mache ich alles, was Doktor Müller-Wohlfahrt mir sagt. Und wenn er mir sagt, das ist gut, dann ist das auch gut. Egal, ob noch irgendwas wehtut oder nicht.
Der Ansage von außen vertrauen Sie mehr als Ihrem eigenen Gefühl?
Es tut ja eh immer alles weh. Es geht nur darum, dass nichts kaputtgeht. Das ist das Wichtige. Dadurch, dass ich in den letzten fünf, sechs Jahren immer mit Schmerzen trainiert habe, habe ich aufgehört darüber nachzudenken, ob die jetzt schlimm sind oder okay. Ich kann meinen Körper deshalb nicht mehr so gut einschätzen wie früher.
Mögen Sie Ihren Körper noch, oder verfluchen Sie ihn manchmal?
Nein, ich mag meinen Körper. Ich sehe ja gut aus. Mit Verletzungen muss man im Leistungssport einfach leben. Egal, wie gesund man ist, irgendwann trifft es jeden. Ich habe ein paar Jahre mit Verletzungen hinter mir, aber wenn ich jetzt noch ein paar Jahre guten Sport machen kann, ist das voll in Ordnung.
Wie oft haben Sie überlegt, einfach aufzuhören?
Gar nicht. Wenn man Spaß an der Sache hat, dann kann man sich gut motivieren. Dann ist auch so eine Verletzung egal. Vielleicht hatte ich mal ein, zwei Wochen ein Motivationsloch, keine Frage. Aber auf dem Platz zu stehen und zu trainieren ist das Schönste für mich. Das ist die beste Freizeitbeschäftigung, die man sich vorstellen kann. Nur weil man sich beim Basteln ein paarmal in die Finger schneidet, hört man ja nicht gleich damit auf. So ist das bei mir auch.
Manche Mehrkämpfer sagen, sie könnten nichts richtig, aber viel ein bisschen und hätten sich deshalb für diese Disziplin entschieden. Wie sehen Sie das?
Wenn man sich die Leistungen bei uns anguckt, wenn man schon im Sprint so schnell ist wie die besten deutschen Sprinter und im Weitsprung so weit springt wie die besten deutschen Weitspringer, dann stimmt das nicht so ganz. Ich denke, die meisten gehen zum Mehrkampf, weil sie sich nicht entscheiden können. Nicht, weil sie nichts besonders gut können. So war das bei mir. Ich habe schon früh eine relativ gute Punktzahl im Zehnkampf geschafft, dann geht man nicht mehr auf eine Einzeldisziplin.
Sie hätten wohl auch ein sehr guter Weitspringer werden können.
Ja, aber nur Weitsprung macht keinen Spaß.
Am Wochenende werden in Ratingen die WM-Tickets vergeben, aber Sie schauen nur zu. Haben Sie keine Angst, dass drei Kollegen Ihre Punktzahl überbieten könnten?
Nein. Das wird es nicht geben. Der Einzige, der in die Region vorstoßen kann, ist Rico Freimuth (in Halle Schraders Trainingspartner; d. Red.).
Dem Frankfurter Europameister Pascal Behrenbruch trauen Sie das nicht zu?
Ich traue ihm die WM-Norm (8.200 Punkte; d. Red.) zu. Aber mehr? Seine Form sah in Götzis nicht blendend aus.
Im vergangenen Jahr hat der Amerikaner Ashton Eaton den Weltrekord des Tschechen Roman Sebrle auf 9.039 Punkte gesteigert. Eine Leistung von einem anderen Stern oder irgendwann auch für Sie machbar?
Das ist schon vom anderen Stern. Eaton hat bestimmt fünf Disziplinen dabei, die überhaupt kein Deutscher schafft, auch kein Spezialist. Über 100 Meter läuft er 10,19 Sekunden, daran beißen sich die Sprinter hier die Zähne aus. Genauso an 8,23 Metern im Weitsprung oder 45 Sekunden über 400 Meter. Er wird auch in den nächsten Jahren die unangefochtene Nummer eins im Zehnkampf sein. Leider. Da ist die Goldmedaille immer vergeben, Eaton ist einfach ein krasser Typ.
Ein Ausnahmetalent – oder jemand, bei dem man daran zweifeln muss, ob er das alles ohne Doping schafft?
Ich zweifele gar nicht. Mir ist egal, was die anderen machen. Mir geht es um meine eigene Leistung, ich versuche, bei mir an die Grenzen zu gehen. Solange man anderen kein Doping nachweist, werde ich das auch niemandem unterstellen. Von daher: Er ist auf jeden Fall ein Ausnahmeathlet.
Was haben Sie sich vorgenommen, jetzt, wo es wieder läuft? Eine bestimmte Punktzahl, einen Titel, eine Platzierung?
Mir geht es darum, bei der WM mal wieder einen guten Zehnkampf durchzumachen und dass ich danach gesund bin. Dann kann ich mich für die nächsten Jahre vorbereiten. Jetzt habe ich ja gerade mal den Winter durchtrainiert.
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