: Lehrer-Express nach Pisa
Als Reaktion auf die Pisa-Studie will Berlins Bildungssenator Klaus Böger (SPD) eine neue Lehrerausbildung testen. Erstes Staatsexamen entfällt – stattdessen studienbegleitende Prüfungen
von WOLF VON DEWITZ
Es sind Schulferien. Das Pisa-Debakel als Zeugnis genommen bedeutete: Berlins Schulwesen wäre sitzen geblieben. Nun wollen die Verantwortlichen das Land aus der Misere manövrieren – von der Hinterbank zum Klassenprimus –, und wenn es sein muss, mit radikalen Mitteln. Bildungssenator Klaus Böger (SPD) nahm deshalb gestern Abschied vom ersten Staatsexamen in der Lehrerausbildung.
Böger präsentierte im Roten Rathaus ein Reformmodell für die Lehrerausbildung. Seine Einführungsworte: „Deutschland ist Weltmeister im Diskutieren von möglichen Veränderungen bei Beibehaltung einer indiskutablen Praxis.“ Zeit für Taten also. „Die Lehrerausbildung soll kürzer, praxisnäher und besser werden“, fasste Böger das Konzept zusammen, das in den vergangenen Wochen von den drei großen Berliner Hochschulen Freie Universität, Technische Universität und Humboldt-Universität mit der Schulverwaltung entwickelt wurde. Kürzer will heißen: Das Referendariat verringert sich von zwei auf eineinhalb Jahre. Praxisnäher: Studium und Vorbereitungskurse werden verzahnt, berufsbegleitende Fortbildungen für Lehrer verpflichtend. Besser: Kein punktuelles Examen am Ende der Lernzeit, sondern studienbegleitende Prüfungen. „Wir brauchen Lehrer, die sagen: Das ist, was ich will“, schloss Böger. Außerdem kündigte er an, 4.000 neue Pädagogen bis 2006 einzustellen.
Das bedeutet den Abschied vom ersten Staatsexamen: Vor 192 Jahren wurde es von Ihro Gnaden, Friedrich Wilhelm III., für eine bessere Ausbildung der Lehrer in Preußen eingeführt – und wird nun nicht nur aus dem gleichen Grund wieder abgeschafft, Stichwort „Pisa“, sondern auch wegen des eklatanten Lehrermangels, der auf die Berliner Schulen zukommt. Die traditionelle Lehramtausbildung soll von dem – europäischen Standard entsprechenden – Bachelor- und Masterstudium abgelöst werden. Die Studenten können den Plänen zufolge bereits nach sieben Semestern mit dem Bachelor-Abschluss ein Referendariat beginnen oder ein vier Semester langes Master-Studium anschließen. Das zweite Staatsexamen hingegen wird weiter vom Staat, also vom Landesprüfungsamt, abgenommen. Der Beginn des Modells ist für das Wintersemester 2003 geplant. Zuvor muss das Abgeordnetenhaus einer Änderung des Landesschulgesetzes zustimmen.
Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) kritisierte die Art, wie die Reform erarbeitet wurde: unter Ausschluss von Lehrern und Studierenden. Außerdem lehnte die GEW einen eigenständigen Bachelor-Abschluss für Grundschullehrer ab. „Die Lehrerin für die kleinen Kinder, für die angeblich eine Kurzausbildung reicht, wird es mit uns nicht geben“, erklärte GEW-Vorsitzende Rose-Marie Seggelke. Özcan Mutlu, bildungspolitischer Sprecher der Grünen, geht die Reform nicht weit genug. „Pisa hat uns besonders im Bereich der Grundschulpädagogik Defizite gezeigt.“ Eine Reaktion darauf sei in der Reform jedoch nicht enthalten, so Mutlu.
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