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Legierung, die geil macht

Jens Fiedlers zweite Bronzemedaille kaschiert die Probleme des momentan noch überaus erfolgreichen Bahnradsports in Deutschland. In ein paar Jahren sieht es wohl anders aus

aus Sydney RONALD RENG

Jens Fiedler war wieder beim Thema. Über die erotische Ausstrahlung von Bronzemedaillen hatte er schon am Abend vorher gesprochen. Die seine, gewonnen im Sprint der Bahnradfahrer, sei „genauso geil wie Gold“, hatte er im Dunc Gray Velodrome gesagt. Am gestrigen Donnerstag bekam der 30-jährige Radprofi aus Chemnitz noch eine umgehängt, für seinen dritten Platz im Keirin-Rennen, musste „aber gestehen: Die heute ist nicht ganz so geil.“

Zu sehr hatte Fiedler, anders als im Sprint, an den Sieg im Keirin geglaubt. Zu nah war er dran gewesen am Sieg. „50 Zentimeter“ schätzte er, vom Vorderrad des Siegers Florian Rousseau entfernt und einen Speichenabstand hinter dem mit Silber dekorierten Australier Gary Neiwand. Fiedler ist amtierender Weltmeister in dieser Disziplin, in der sechs Fahrer zunächst fünfeinhalb Runden hinter einem Schrittmacher anrollen und dann auf den restlichen 675 Metern sprinten, was die Oberschenkel hergeben. „Keirin ist meine Liebe“, sagte Fiedler. Wer solche Gefühle hegt, fühlt sich leicht zurückgesetzt, wenn er sich als Dritter ein wenig hinten anstellen muss.

In die Erfolgsbilanz der deutschen Bahnradfahrer fügte sich die Medaille am Schlusstag allerdings wie ein fehlendes Puzzlestück: Es war die zweite Bronzeplakette, zwei aus jedem Metall haben die Starter des Bundes Deutscher Radfahrer (BDR) gewonnen. Sie sind bislang die erfolgreichste deutsche Gruppe in Sydney, größere Felder als das der Leichtathleten wären glücklich über so eine Ausbeute, von den Schwimmern ganz zu schweigen. Aber es ist ein trügerischer Schein, der von den Medaillen ausgeht. Bahnradsport in Deutschland ist ein leidendes Fossil. Nur noch wenige erfolgreich arbeitende Trainingsgemeinschaften trotzen wie eine kleine Widerstandsgruppe dem Verfall einer Traditionssportart. „In Deutschland findet der Bahnradsport fast nur in den neuen Bundesländern statt. Das ist für die Förderung des Nachwuchses nicht gerade förderlich“, sagte BDR-Präsident Manfred Böhmer – vor einem Jahr, in seiner Bilanz der WM in Berlin. Die Worte haben an Aktualität nichts eingebüßt. Obwohl Böhmer damals ankündigte, neue Leistungszentren etwa in Augsburg oder Büttgen aufzubauen und attraktive Renntage im Land zu installieren. Kluge Worte. Auf die Umsetzung wird weiter gewartet.

Vielleicht kann eine Disziplin wie das Bahnradfahren – ähnlich dem Eisschnellauf – in Deutschland heute nur noch so funktionieren: getragen von einigen wenigen Elitetrainern wie Karsten Schmalfuß in Chemnitz, Jens Lang in Erfurt oder Uwe Freese in Berlin. Doch dann ist die Gefahr immer da, dass der oberflächlich erfolgreiche Sportverband mit dem Abschied von nur zwei, drei Spitzenathleten jäh aus der Führungsklasse verschwindet. Die Probe kommt für den BDR vielleicht schon jetzt: Robert Bartko fährt im neuen Jahr als Profi auf der Straße. Jens Lehmann, tragende Kraft des siegreichen Verfolger-Teams, wird im Dezember 33. Und Jens Fiedler ist 30, sein Trainer Karsten Schmalfuß gibt ihm „noch zwei Jahre oben mit dabei, aber dass er noch mal einen Titel gewinnt, sage ich nicht“. Die möglichen Nachfolger sind leicht zu sehen, weil es so wenige sind: Im Sprint Stefan Nimke (22), geradlinig als Radler wie Mensch, der über 1.000 Meter Silber gewann. Und Jan van Eijden (24), ein respektloser Fahrer, der im Keirin Vierter wurde. „Das Problem ist, es gibt in Deutschland zu wenig Konkurrenz“, sagte Fiedler – auch schon vor einem Jahr.

Gut möglich, dass es auch deshalb in Sydney eine sporthistorische Woche für die deutschen Bahnradfahrer war, weil sie auf Jahre unübertroffen bleiben wird. Gestern Abend feierte die gesamte Mannschaft ihren Erfolg im Deutschen Haus in Sydney. Die Weltrekordfahrt des Vierers, der die sagenhafte Schallmauer der Disziplin von vier Minuten durchbrach, war sicherlich der Höhepunkt der Sechs-Tage-Woche. Aber von der puren Aufregung kam Jens Fiedlers Ritt zu Bronze in Keirin nahe. Wie er von vorne attackierte, wie er dagegenhielt, als ihn der Australier Neiwand mit dem Vorderrad wegdrängen wollte. Jens Fiedler versuchte denn auch im Deutschen Haus, seine Bronzemedaille scharf zu machen: „Ich bin mir sicher, wenn ich erst einmal ein Gläschen französischen Rotwein getrunken habe, wird die Medaille umso geiler sein.“

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