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Legasthenie-Vermerke im ZeugnisDie Schimäre der Gerechtigkeit

Christian Rath
Kommentar von Christian Rath

Legasthenie-Hinweise müssen im Zeugnis vermerkt werden. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zeugt von einem eingeschränkten Gerechtigkeitsbegriff.

An dem Urteil zeigt sich wieder, wie ungerecht unser Bildungssystem ist Foto: Sascha Steinach/imago

I n Deutschland geht es gerecht zu, insbesondere in der Bildung. Jeder hat – theoretisch – die gleichen Chancen, entsprechend seinen Leistungen und Fähigkeiten bewertet zu werden. Deshalb, so das Bundesverfassungsgericht, muss es im Abiturzeugnis vermerkt werden, wenn bei Schü­le­r:in­nen wegen ihrer Legasthenie die Rechtschreibung nicht bewertet wird.

Die Rich­te­r:in­nen glauben ernsthaft, dass der Glaube an ein gerechtes deutsches Bildungssystem gefährdet wäre, wenn bei Leg­asthe­ni­ke­r:in­nen der kleine Notenvorteil nicht ins Zeugnis geschrieben wird. Dabei gibt es so viele Vor- und Nachteile im Bildungssystem. Man könnte ja wirklich eine Menge ins Zeugnis schreiben. Aber der Vermerk über den „Vorteil“ für Legastheniker, der soll Gerechtigkeit schaffen.

Dabei ist es an sich schon eine besonders großartige Leistung, wenn sich junge Leute trotz Lese- und Rechtschreibschwäche überhaupt durch unser lese- und schreibfixiertes Schulwesen bis zum Abitur durchkämpfen.

Doch statt dies wertzuschätzen, meinen die Verfassungsrichter:innen, dass hier eine Ungerechtigkeit gegenüber den anderen Schü­le­r:in­nen transparent gemacht werden muss, wenn die Schreibleistung der Legastheniker nicht bewertet wird. Welch großer Kleinmut.

Die meisten Legasthenie-Kinder lassen lieber ihre desaströse Rechtschreibung benoten, um den stigmatisierenden Vermerk im Zeugnis zu vermeiden. Was ist das für eine Vorstellung von Inklusion, in der man lieber auf den Schutz verzichtet, weil er mit gezielter Stigmatisierung verbunden wird?

Nun ist die Schreib- und vor allem Lesefähigkeit natürlich wichtig. Und es ist grundsätzlich nachvollziehbar, dass sie sich in der Benotung niederschlägt. Wer Aufgaben nicht richtig lesen kann und deshalb missversteht, weil er den ganzen Tag nur „Born to kill“ spielt, wird zu Recht entsprechend benotet. Aber im Zeugnis steht dann trotzdem nichts von einer Leseschwäche. Diesen Warnhinweis bekommen nur Le­gas­the­ni­ker:innen.

An dieser Regelung ist so vieles ungerecht. Schon deshalb ist sie nicht geeignet, den Glauben an ein gerechtes Bildungssystem zu stützen.

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Christian Rath
Rechtspolitischer Korrespondent
Geboren 1965, Studium in Berlin und Freiburg, promovierter Jurist, Mitglied der Justizpressekonferenz Karlsruhe seit 1996 (zZt Vorstandsmitglied), Veröffentlichung: „Der Schiedsrichterstaat. Die Macht des Bundesverfassungsgerichts“ (2013).
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3 Kommentare

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  • Mal ganz naiv gefragt: Fällt denn die Legasthenie, selbst wenn sie im Zeugnis und in der Bewerbung verschwiegen wird, nicht ohnehin nach Eintritt in unsere "lese- und schreibfixierte" Arbeitswelt auf?

    • @wintermute:

      Das kann mal oft leichter kompensieren als in der Schule

  • Danke für den Artikel. Ich denke man muss schon mal ein Kind mit Legastenie durch die Schule gebracht haben um bewerten zu können, was diese Kinder leisten müssen. Die Vorteile die auf Grund der Diagnose gewährt werden sind lächerlich und werden oft nicht umgesetzt.