„Leere Herzen“ von Juli Zeh: Verschwurbelter Kulturpessimismus
Sie erzählt nicht unspannend. Aber Juli Zeh entwirft in „Leere Herzen“ ein so überkonstruiertes Szenario, dass es kaum ernstzunehmen ist.
Was unterscheidet eigentlich Literatur von Genreliteratur? Wohl in erster Linie der Verlag oder die Reihe, in der bzw. dem ein Buch erscheint. Auch der Name der Autorin ist nicht ganz unwichtig. Wenn also ein Buch von Juli Zeh, die das Literaturschreiben – mit Diplom – studiert hat, beim Luchterhand Literaturverlag erscheint, dann kann es gar nichts anderes sein als Literatur. Und doch würde ihr neuer Roman, wäre er unter anderem Autorennamen in einem einschlägigen Verlag erschienen und als „Kriminalroman“ deklariert worden, dort keinesfalls auffallen. Höchstens durch gewisse Mängel beim Aufbau eines ordentlichen Spannungsbogens.
Auch im Genre des Kriminal- oder auch des Spannungsromans arbeitet man gern mit aktuellen politischen oder gesellschaftlichen Themen. Die spielerische Aufarbeitung des öffentlichen Diskurses hat nicht zuletzt einen verkaufsfördenden Effekt in einem von Neuerscheinungen überladenen und flüchtigen Genre. Bei Juli Zeh verhält es sich anders: Schon seit langem widmet sich die Autorin dem selbstgewählten Auftrag, uns auf dem Weg der Literatur – und das oft sehr unterhaltsam – die Welt zu erklären und dabei vielleicht auch ein bisschen zu retten.
Das kann nicht wirklich klappen und muss einem, wenn man es immer wieder versucht, auf Dauer vorkommen wie ein vergebliches Unterfangen. Juli Zehs neuestem Roman „Leere Herzen“ ist ob dieses Umstands nun zum ersten Mal echte Verzweiflung anzumerken. Das ist allerdings kein sehr produktives Gefühl.
Doch die mögliche innere Einstellung der Autorin sollte im Prinzip nicht verwechselt werden mit derjenigen ihrer Figuren – oder ihrer Figur. Im Gegensatz zu Zehs letztem Roman „Unterleuten“, der vor allem von sorgsam ausgearbeiteten Charakteren und vielen Perspektivwechseln lebte, ist „Leere Herzen“ nur aus einer Blickrichtung erzählt: jener der weiblichen Hauptfigur.
Kampflos in die innere Emigration
Die Handlung findet in der nahen Zukunft statt, in den zwanziger Jahren unseres Jahrhunderts. Kanzlerin Merkel ist abgewählt und die Demokratie, wie man sie vorher kannte, faktisch abgeschafft, seit mit der BBB, der „Besorgte-Bürger-Bewegung“, eine nationalistische, antidemokratische neue Partei an die Macht gekommen ist. Jener Teil der Bevölkerung, der nicht die BBB gewählt hat, ist derweil kampflos in die innere Emigration gegangen. Die Menschen lesen keine Zeitungen, man befasst sich am liebsten gar nicht mehr mit Politik.
Britta, eine erfolgreiche Kleinunternehmerin Ende dreißig, ist da nicht anders als die anderen, hat aber aus der allgemeinen depressiven Stimmung gemeinsam mit ihrem einzigen Mitarbeiter, dem jungen irakischstämmigen IT-Experten Babak, ein florierendes Geschäftsmodell entwickelt: Sie bieten ein Programm für Selbstmordkandidaten an.
Wenn die Lebensmüden einen harten zwölfstufigen Test erfolgreich durchlaufen haben, werden sie an Organisationen vermittelt, die Bedarf an Selbstmordattentätern haben – egal, ob es sich um islamistische Terrorgruppen oder Umweltaktivisten handelt. Britta und Babak verdienen gut an ihren Diensten und bilden sich zudem noch ein, die Welt zu einem besseren Ort zu machen – da Selbstmordattentate nur noch unter gut organisierter Aufsicht geschehen.
Die Kehrseite des nihilistischen Pragmatismus der einen sind die Weltfluchttendenzen der anderen: Brittas beste Freundin und ihr Mann, zwei freundliche kaum verdienende FreiberuflerInnen, die überwiegend vom bedingungslosen Grundeinkommen leben (höchst erstaunlich eigentlich, dass die BBB dieses Konzept umgesetzt hat), wollen aufs Land ziehen.
Für die alte Bruchbude, die sie ins Auge gefasst haben, hat Britta zunächst nur Ekel und Verachtung übrig; doch wird sie ihr gut zupass kommen, wenn sie und Babak mit ihrer neuesten Selbstmordkandidatin fliehen müssen. Eine Gruppe, die sich „Empty Hearts“ nennt, hat nämlich ihr Geschäftsmodell gestohlen und scheint ihnen außerdem nach dem Leben zu trachten. Schon gibt es erste Tote im klandestinen Bekanntenkreis. Aber warum nur?
Während sich Brittas wohlgeordnete Welt allmählich auflöst, löst sich proportional auch das Leserinteresse für die Protagonistin und die verworrene Handlung insgesamt auf. Juli Zeh erzählt nicht völlig unspannend (weil wie immer sehr routiniert), entwirft aber ein Szenario, das so überkonstruiert erscheint, dass es kaum ernst zu nehmen ist.
Schiefe Gesamtkonstruktion
Erschwerend kommt hinzu, dass die Hauptfigur Britta ein Sammelsurium von Meinungen und Haltungen in sich vereint, die so inkonsistent sind, dass es schwer fällt, diese erzählte – oder behauptete – Person als Charakter zu akzeptieren: Mal wirkt Britta in ihrer Medien- und Politikmüdigkeit wie ein Kind der neuen Zeit, die hier warnend beschworen wird. Dann wieder scheint sie ungefiltert zum Sprachrohr der Autorin selbst zu werden; etwa wenn sie ihren „Paradoxien-Schmerz“ thematisiert: „Demokratieverdrossene Nicht-Wähler gewinnen Wahlen, während engagierte Demokraten mit dem Wählen aufhören.“ Sollte das einer Frau, die so zynisch ist, mit Selbstmordattentaten Geld zu verdienen, nicht egal sein? Dieser Grundwiderspruch hätte eine Erklärung verdient, die aber nie kommt.
Die gesamte Grundkonstruktion des Romans ist schief zusammengesteckt. Er steckt voller Ideen für eine schlechtere Zukunft, macht aber das Handeln und Nichthandeln der Menschen darin zu wenig plausibel. Vielleicht wurde er auch einfach zu schnell geschrieben und auf den Markt geworfen – darin der Aktualität heischenden Genreliteratur gar nicht so unähnlich.
So oft, wie „Merkel“ und „Trump“ in diesem Text stehen, wird ihn in zehn (oder schon zwei) Jahren vermutlich kein Mensch mehr lesen wollen. Aber er enthält genügend Passagen, die dann, wenn wir die schlimmere künftige Welt erreicht haben würden, ohne großen Verlust aus dem Text herausgelöst und im Rahmen eines politischen Essays neu kompiliert werden könnten, ohne dass es die Autorin dann zu viel Arbeit kostete.
Zum Beispiel diese hier: „Ruhe sanft, öffentlicher Diskurs, du warst der größte Gastgeber aller Zeiten. Hattest immer Platz an deinem Tisch, warst für lebhafte Abendessen oder Kneipenbesuche stets zu haben, konntest Kampf sein und Spiel, aber auch Heimat und Ziel. Wir bleiben zurück, ungetröstet, vereinzelt, verstört.“
Unterträgliches Pathos
Ganz abgesehen von dem unerträglichen Pathos dieser Passage: Wieso eigentlich „wir“? Die eiskalte Britta wird doch kein Interesse daran haben, für uns alle sprechen zu wollen. Und warum – und für wen – Juli Zeh dieses Bedürfnis in sich so konstant aufrechterhält, ist angesichts der konfusen Weltkritik dieses Romans auch einigermaßen zweifelhaft.
Juli Zeh: „Leere Herzen“, Luchterhand, München 2017. 325 Seiten, 20 Euro
Ebenso, was sie mit diesem durch und durch kulturpessimistischen Genreprofiteur von Buch eigentlich bezweckt – wenn es nicht doch schlicht darum geht, ein bisschen auf der Welle der momentanen politischen Krisenstimmung mitzusurfen. Auch eine Schriftstellerin muss schließlich irgendwie ihre Familie ernähren.
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