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Leberwurst zum Thron

Parodie, die ein wenig Tiefe vermissen lässt: Barbara Frey stellt sich mit Jarrys „Ubu!“ als neue Hausregisseurin der Schaubühne vor

Papa und Mama sind weg. Für Musik ist gesorgt, Essen kommt reichlich auf Plastiktellern durch das Küchenfenster – Zeit, gelassen Schabernack zu treiben. Statt Arzt und Schwester wird jedoch zur Abwechslung Macht, Kabale und Krieg gespielt. Die Schweizer Regisseurin Barbara Frey, die als feste Hausregisseurin an die neue Schaubühne verpflichtet wurde und mit „Ubu!“ am Dienstag ihre erste Berliner Premiere zeigte, hat sich daran erinnert, dass „Ubu roi“ als Pennälerulk entstand. Alfred Jarry hat das Drama 1896 zum Aufziehen seines Physiklehrers geschrieben, und sie hat es konsequent als Bubenstreich inszeniert. Mit Widerhaken allerdings.

Im von Bettina Meyer ausgerichteten bürgerlichen Wohnzimmer mit gesprenkelter Tapete und Wandschirmleuchten spielt Vater Ubu mit seiner Carrerabahn. Hinten rechts ein Katzenkorb, in dem sich seine Raufkumpanen rekeln, vorn ein Hochsitz, der im Folgenden die doppelte Funktion von Thron und Nachttopf erfüllen wird: Bei aller Machtgier gehen Ubu, der öfter mit der Klobürste als mit dem Zepter herumfuchtelt, seine primären Bedürfnisse nie aus dem Sinn. In der Tat sind es nicht die Reize von Mutter Ubu, die ihn zum Staatsverrat bezirzen, sondern die Aussicht auf eine Leberwurst und die von seiner Komplizin mütterlich verrichtete stuhlgangförderliche Bauchmassage. Er bemächtigt sich der Krone, indem er Soldaten und Volk zum Königsmord anfeuert und Kassenwärter im Tanzschritt durch eine Falltür zur Hölle befördert. Er plündert das Land und führt es auf Holzpferden in einen Krieg gegen Russland, um letztlich, vom rechtmäßigen Thronanwärter und allerlei Spukgestalten verfolgt, das Weite zu suchen.

Dabei ist der Usurpator ein Drauflosbrüllerchen, dessen Gefährlichkeit sich im Spiel von Tilo Werner vornehmlich in Hitler-Schnurrbart und vorgestrecktem Polsterwanst äußert. „Ubu ist ein gemeiner Mensch“, so Jarry, „daher gleicht er uns allen (jedenfalls untenrum)“. Unterleibsmoral – die trifft im Polen genannten Irgendwo des Stücks überall. Ubu setzt sich die Krone auf und verkündet, ganz wie im richtigen Leben, vom geraniengeschmückten Balkon Steuererhöhungen. Dann singt er „Burning down the house“, und es ist wieder Kinderparty.

Barbara Frey hat ihr Spielpersonal in Masken gesteckt und lässt sie sich bei wohl dosierten Tanz- und Gesangseinlagen zwischen Märchenbuch und Groteske entlanghangeln. Es gibt einen König mit Stupsnase (Hans Fleischmann) und eine quiekende Königin im Atlasbauschkleid. Als Hauptmann Bordure gibt Michael Goldberg den dämlichen Napoleon-Wiedergänger, Jörg Hartmann als Prinz Bougrelas eine tuntenartige Heldenkarikatur. Michaela Steiger als Mutter Ubu strampelt, trällert mal mit Milva-Allüren, mal ist sie das mannstolle Weib, das Hauptmann, Ehemann und Domestik beschläft, wobei sie nie Zweifel daran aufkommen lässt, dass sie die zickige Göre zu spielen hat. Barbarba Frey hat die Parodieschraube ziemlich fest angezogen. Es wundert nicht, dass da vieles zum Spaß gerät, was bei Lichte besehen gar nicht so arglos ist. Aureliana SorrentoNächste Vorstellungen: 4. bis 8. Februar 2000, Schaubühne am Lehniner Platz

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