Lebensqualität in Stadt und Land: Heimat, oh Heimat
Die Heimatabteilung des Bundesinnenministeriums hat offiziell ihre Arbeit aufgenommen. Was versteht Horst Seehofer (CSU) unter Heimat?
In der Kommission ist das gesamte Bundeskabinett vertreten, sowie die Ministerpräsidenten aller Bundesländer. Bis Juli 2019 soll die Kommission konkrete Vorschläge entwickeln, um die Lebensqualität in den Städten weiter zu erhöhen und die ländlichen Regionen zu stärken. Menschen in Deutschland sollten „gut leben, und zwar dort, wo sie leben wollen“, betonte Seehofer am Abend in Berlin bei einer Podiumsdiskussion zum Heimatbegriff.
Der Kommission geht es darum, die Unterschiede in den Lebensverhältnissen zwischen den Regionen zu verkleinern. Es geht um gleiche Chancen auf Wohlstand, gleichen Zugang zu Bildung, weniger regionale Unterschiede bei den Themen Wohnen, Arbeit und Infrastruktur. Während in Städten hohe Mieten, fehlende Kinderbetreuung und der starke Wettbewerb um Ausbildungs- und Arbeitsplätze dominieren, gibt es in kleineren Orten viele leerstehende Wohnungen, schlechte Busverbindungen und lange Wege zum nächsten Facharzt.
Kanzlerin Merkel sagte zu den Zielen der Kommission: „Wir wissen, wir werden nicht von einem Tag auf den anderen Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse erreichen.“ Das Ziel müsse sein, die Zufriedenheit mit den Lebensbedingungen zu steigern.
Bundesinnen- und Heimatminister Horst Seehofer (CSU)
„Meine Heimatpolitik richtet sich auch an die Menschen in Deutschland aus anderen Herkunftskulturen und -regionen,“ betonte Seehofer. Man dürfe sich nicht gesellschaftlichen Veränderungen versperren. „Ich will keine Abschottung“, beteuert er, „wir sind ein weltoffenes Land.“ Doch Probleme müssten offen benannt werden. Deutschland stehe seit der sogenannten Flüchtlingskrise im Herbst 2015 vor neuen Herausforderungen.
Auch hier setzt Seehofers Heimatpolitik an. Die Politik müsse tragfähige Antworten auf die Suche nach Identität und Zugehörigkeit geben und die Bürger auch emotional mitnehmen, betonte Seehofer. Ein Podiumsteilnehmer hielt Seehofer entgegen, wenn nun alles unter „Heimat“ verstanden werde, was bislang in anderen Ministerien verhandelt werde, führe das weder zu mehr Klarheit, noch brauche es dann die anderen Ministerien.
Wer die Podiumsdiskussion verfolgte, musste zu dem Eindruck kommen, dass Seehofer alles zum Gegenstand seiner Heimatpolitik macht, was problemlos auch ohne diese semantische Aufladung auskommen würde. Wie die Kommunen Geflüchtete in Brot und Lohn bringen können, wie Unternehmen aus den Ballungsräumen raus in die Provinz gelockt werden können, welche Infrastrukturmaßnahmen in Sachen Breitband und Nahverkehr das bedeute: Laut Seehofer sind das Heimatfragen.
Auch Söder war schon mal für Heimat zuständig
In Bayern gibt es schon seit 2014 ein Heimatministerium. Es gehört zum Finanzministerium und wurde früher vom jetzigen bayrischen Ministerpräsidenten Markus Söder geführt. Das Landesministerium beschäftigt sich vorrangig mit der Erschließung des ländlichen Raums, also mit dem Bau von Straßen, dem Breitbandausbau, dem Schuldenerlass für Kommunen, dem Erhalt von Bildungseinrichtungen.
Was heißt Heimat? Seehofer kann sicher nicht leisten, woran sich seit Jahrhunderten kluge Geister scheiden. Der Wunsch nach Heimat komme aus der Kindheit und sei deshalb nicht rückholbar, heißt es bei Ernst Bloch. Heimat gebe es nicht ohne Verlustgefühle, schreibt Bernhard Schlink. Martin Heidegger etwa verklärt die deutsche Provinz zur Heimat. Die Deutungen sind so alt wie vielfältig.
Man dürfe, so Seehofer, gewisse Begriffe und Narrative nicht länger den „rechten Dumpfbacken“ überlassen. Als Horst Seehofer das Podium längst verlassen hatte, diskutierten ganz unterschiedliche Gäste weiter. Flüchtlingshelfer, Jobcenter-Mitarbeiter, aber auch Frauke Petry. Vielleicht ist das der Minimalkonsens: Dialog.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
James Bridle bekommt Preis aberkannt
Boykottieren und boykottiert werden
Krise der Linke
Drei Silberlocken für ein Halleluja
BGH-Urteil gegen Querdenken-Richter
Richter hat sein Amt für Maskenverbot missbraucht
Umweltfolgen des Kriegs in Gaza
Eine Toilettenspülung Wasser pro Tag und Person
Sensationsfund Säbelzahntiger-Baby
Tiefkühlkatze aufgetaut