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Lebendiger Anarchotrash

Lamento über die Kunst des Witzeerzählens: Erhan Sanris Konversationsoper „Die Humanisten“, frei nach Ernst Jandl  ■ Von Annette Stiekele

Sprache und Wortkunst des Dichters Ernst Jandl gelten zu Recht als einzigartig in dieser Welt. „kosmos – sein – kein/ – materien/ – sein ein geistenprodukten von witzelnschaffen/ ich sein witzelnschaffen“, sagt m1 an einer Stelle. Die Welt des Hamburger Komponisten Erhan Sanri wiederum ist bevölkert von außerirdisch anmutenden Figuren. Es scheint als hätten sich da zwei gefunden.

Für die Uraufführung – und gleichzeitig Vernissage – seiner ersten Konversationsoper Die Humanisten frei nach Ernst Jandl in der Opera Stabile hat der Hamburger Komponist Sanri mit dem 1976 entstandenen Drama des kürzlich verstorbenen Dichters einen Glücksgriff getan. Und Regisseur Holger Müller-Brandes, zuletzt ohne Fortüne mit Ikarus im Alto-naer Theater, bewies ausreichend Mut zu lebendigem Anarchotrash.

Nach Eintreten eröffnet sich dem Besucher zunächst die Aussicht auf eine Ausstellung. Alles, was mit APO, Autonomen und Aufstand zu tun hat, ist hier für museumswürdig befunden worden. Knappe Erklärungstafeln brechen diese dokumentierte Ernsthaftigkeit erfreulicherweise wieder. Die Büste eines vermummten steinewerfenden Demonstranten trägt die Erklärung: „Wir reden nicht über die Pille, wir nehmen sie.“ Daneben hängt ein großformatiges Bild der Kommune 1 mit der Erläuterung: „Dem Philosoph ist kein Spruch zu doof.“ In einer Ecke Einkaufswagen mit Pflas-tersteinen, ein Demonstrant liegt mit Palästinensertuch am Boden (Bühne Christian Wiehle). An der Wand prangt ein Transparent: „Kunst ist Krampf im Klassenkampf.“ Wie wahr. Und wie herrlich krampfig ist dieses Stück Kunst gelungen.

Auftritt von „m1“ (York Reynolds) und „m2“ (Burkhard Schulz), zwei Männern, die mit kahlem Schädel und strengen Anzügen eher einer Scifi-Vision entsprungen sein könnten (Kostüme Irène Favre de Lucascaz). Stocksteif stehen sie als Anschauungsobjekte in Glasvitrinen, aus denen sie sich nach und nach freisingen und einen grotesk-absurden Dialog über gesellschaftliche Fragen beginnen. Ihre Sprache gleicht einem eigenwilligen Jandl-Kauderwelsch, das man nach intensivem Zuhören als eine Art „Gastarbeiterdeutsch“ identifiziert.

Das Einverständnis zur Textbearbeitung hat sich Sanri noch von Ernst Jandl eingeholt. Raffiniert arbeitet er mit Wiederholungen von Satzketten. Und immer wieder bricht er die Vorlage ins Groteske, wenn m1 über seine Manneskraft sinniert „puff denken sein scharf denken sein ein kulturen“. Der eine (m1) gibt sich als Geschichtsprofessor zu erkennen, der andere (m2) als „großer deutscher“ Künstler. Beide Sänger verfügen über ansehnliches Stimmvolumen und Spielfreude in jeder Situation. Gekonnt übersetzen sie die konkrete Dichtung in Gesang. So lamentieren sie darüber, warum Witzeerzählen keine Kunst ist oder warum es sich lohnt, ein Kirchenblatt herauszugeben, kurz: Sie üben sich in polemischem Bildungsgeschwafel. Nebenfiguren (die begnadete Transvestitin „Ulla Trulla“) tauchen nur am Rande auf. An allen Ecken lauert Ironie, zumal wenn die Jungs ihre Handys zücken und eine Bachmelodie erklingt. Der Schabernack mit der Sprache nimmt in diesem Fall kein gutes Ende, weil allmächtige „Sprachschützer“ (Terroristä) sich gegen die „Sprachbesudeler“ zur Wehr setzen wollen. Zufall sind die Anleihen bei typisch türkischen Sprachverdrehern nicht. Aber sie wirken hier weder platt betroffen noch moralisierend, sondern irrwitzig und voller Selbstironie.

Grandios bestreiten die drei Instrumentalisten unter der Leitung von Michael Petermann ihren ato-nalen Part. Sanris Musik ist auch für ungeübte Ohren gut verständlich, experimentell aber genießbar. Helge Slaatto entlockt der Violine höchstes Jauchzen und Schreien, sein Kontrahent, der Kontrabass wird von Frank Reinecke geradezu besessen bearbeitet. Zum Ende des Stückes übernehmen die Instrumente immer kontroverser den Part der drei Figuren, mal dezent, mal brachial verstärkt von Niels Gramerstorf am Schlagzeug.

Erhan Sanri kam 1959 als Zweijähriger von Istanbul nach Deutschland. Mit vierzehn Jahren schrieb er seine ersten Kompositionen. Später folgten das Studium der Schulmusik und der Komposition/ Theorie an der Hamburger Musikhochschule. Seitdem hat Sanri unzählige Werke für unterschiedliche Besetzungen geschrieben. Kammermusiken, Tonräume, Peripherien und Orchestermusiken, die so abenteuerliche Titel tragen wie Reißverschluß, Gehirnwäsche oder Zapping für Laienorchester. Nach dieser mit Standing Ovations umjubelten Premiere wird seine Fangemeinde weiter wachsen.

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