: Leben und leben lassen
Die gute alte Kommerzialisierung tut wieder einmal ihren Dienst als Pappkamerad: eine Neil-Young-Biografie von Edo Reents
VON TOBIAS RAPP
Es ist ein merkwürdiger Job, den Edo Reents macht. Vielleicht geht es ja nicht anders, wenn man der Redakteur für Popmusik bei der FAZ ist – liest man seine Artikel, hat man das Gefühl, es bei Popmusik mit einer im Grunde toten Kunstform zu tun zu haben, einem abgeschlossenen Zeichensystem. Sie besteht, so kommt es einem vor, vor allem aus Sechzig- oder Siebzigjährigen, denen zum Geburtstag gratuliert werden muss, wenn nicht gleich ein Nachruf ansteht. Was verwundert, ist Reents doch selbst erst 40 Jahre alt – er kennt also die große Vergangenheit des Rock auch nur als Vergangenheit. Doch das ist seine Gegenwart. Von den Retrobands einmal abgesehen, Gruppen, deren Schaffen man vor allem mit der Rockvergangenheit abzugleichen hat. Jenseits dieser zugegebenermaßen unüberschaubaren, aber doch engen Grenzen gibt es nur Verfall. Den Kampf gegen den Kommerz hat der Künstler schon lange verloren. Sampling, Internet, Castingshows und Klingeltöne halten ihn im Würgegriff, bedrohen seine Integrität, ja sogar den „Werkcharakter“ seines Tuns, wie Reents neulich einmal über Klingeltöne bemerkte.
Dass er sich bei dieser Ausgangslage zu Neil Young hingezogen fühlt, versteht sich fast von selbst. Auch diesem sind die moderne Welt im Allgemeinen und die Zwänge des Musikgeschäfts im Speziellen ja ein konstantes Ärgernis. Wobei man nach der Lektüre von Reents’ „Neil Young. Eine Biographie“ fast geneigt ist, Letzterem Recht zu geben. Ist es doch seine konstante Verweigerungshaltung, seine stoische Dickköpfigkeit, sein Bestehen darauf, nie den einfachen Weg zu gehen, was ihn zu dem gemacht hat, der er ist: neben Bob Dylan der einzig glaubwürdige Überlebende der gegenkulturellen Sechzigerjahre.
Das ist zumindest der argumentative Kern von Reents’ Buch, mit dem es seine Richtigkeit haben dürfte, sieht man einmal von der bizarren Idee ab, ausgerechnet in Woodstock habe die „Kommerzialisierung der Popkultur“ begonnen und Young habe mit seiner Weigerung, sich dort filmen zu lassen, instinktiv als Erster den Kampf gegen diese begonnen. Geschenkt: Jede Geschichte muss irgendwo anfangen, und weil Reents Young als den Solitär haben möchte, als der sich dieser von da an inszeniert, kann man den alten Pappkameraden Kommerzialisierung ruhig stehen lassen. Er tut seinen Dienst.
Denn tatsächlich beweist Young einiges Geschick darin, sich nicht vereinnahmen zu lassen. Aufgewachsen in Toronto und Winnipeg, beginnt er in der kanadischen Folkrockszene, verschwindet jedoch bald nach Kalifornien, wo er mit Buffalo Springfield erste Erfolge hat. Als diese Band zerbricht, entwickelt er einen Einzelgängerhabitus, der ihm zwar einige Probleme bereitet, ihn aber langfristig vor den schlimmsten Abstürzen schützt. Young schafft sich eine glückliche Balance zwischen seinen Projekten mit den durchgedrehten Drogendiven bei Crosby, Stills & Nash und den vergleichsweise bodenständig verdrogten Rockern von Crazy Horse.
Reents beschreibt Youngs Fluchtlinie, die ihn immer wieder von der Stadt aufs Land führt. Er erzählt, wie Young nach dem Tod des Crazy-Horse-Gitarristen Danny Whitten von Schuldgefühlen zerfressen wird, weil er den schwer Heroinabhängigen aus der Band geworfen hatte und dieser kurze Zeit später an einer Überdosis stirbt. Wie er diese finstere Stimmung in kaputte Platten umsetzt, die in ihrer Empathie mit den Verlierern des kalifornischen Poptraums aber eine Stimmung vorwegnehmen, aus der wenig später Punk entstehen sollte. Wie 1978 sein zweiter Sohn geboren wird und Young aus Verzweiflung über dessen Nervenlähmung ein paar fragwürdige Alben aufnimmt. Und wie er schließlich zum Großvater des Grunge wird und von Kurt Cobain vor dessen Selbstmord im Abschiedsbrief mit den Worten „It’s better to burn out than to fade away“ zitiert wird.
Man kann davon ausgehen, dass Reents so gut wie alles gelesen hat, was jemals zu Neil Young veröffentlicht worden ist. Keine Plattenbesprechung im Rolling Stone bleibt da unabgestaubt. Doch was für die hervorragende Faktenlage des Buchs ein Segen ist, wird für die Lektüre zum Problem: Reents lässt Young nie an sich herankommen. Wenn es um die detailliert-gefühlte Nahbeschreibung der Musik geht, zitiert er lieber Navid Kermanis „Buch der von Neil Young Getöteten“, als selbst eine These zu wagen.
Über die Modelleisenbahnanlage etwa, die Young in einer Scheune seiner Farm installierte, um mit seinem Sohn zu spielen, und die seitdem unaufhaltsam wächst, hätte man doch gern mehr erfahren, als nur aus zweiter Hand den Umstand geschildert zu bekommen, dass sich Young häufig auf amerikanischen Spielwarenmessen herumtreibt und mittlerweile Anteilseigner einer amerikanischen Modelleisenbahnfirma ist. Wie kommt Young dazu? An welchem Amerika bastelt er da in seiner Scheune? Ob es die Züge des 19. Jahrhunderts sind, wo die Vernichtung der amerikanischen Ureinwohner doch ein wiederkehrendes Thema in Youngs Songs ist?
Aber näher als ein Konzertbesucher der Bühne ist Reents Young nie gekommen. Die Begehrensströme seines Fantums leitet er in Faktenhuberei um. Was natürlich der Logik von Reents’ publizistischem Projekt folgt: Die Popkultur als etwas zu begreifen, was vor allem in Artefakten überliefert wird, die bibliografisch und diskografisch katalogisierbar sind. Für die Biografie eines immerhin noch quietschlebendigen Musikers ist das etwas wenig.
Edo Reents: „Neil Young. Eine Biographie“. Rowohlt Berlin 2005, 304 Seiten, 19,90 Euro