Leben und Leiden von Ludwig II.: "Ein einsamer, armseliger Sonderling"
Bis heute rätseln die Bayern, ob ihr König Ludwig II. geisteskrank war oder einfach nur exzentrisch. Er litt an einer Schrumpfung des Frontalhirns, glaubt Hans Förstl, Professor für Psychiatrie in München.
In Bayern hoasd da König Ludwig II. einfach nur "Kini" und wird imma no verehrt wia a Popstar. Glebt hod er von 1845 bis 1886. Zwar is er a bisserl verruckt gwesn, oba dafür hod er vui scheene Schlessa baun lassa, Neuschwanstein zum Beispui. Und des schaung se heid no Leid aus da ganzn Weild o. 1866 hod er mit de Esterreicher gegn de Preißn kempft und leida verlorn. 1886 is er dann auf d Nacht im Starnberger See badn ganga und dasuffa. Oda er is umbracht woan, nix Gwiess woas ma ned. Oba seitdem is er fürd Bayern a Mythos. Weil danach sand die Preißn kemma und die guade, oide Zeit is endguitig vorbei gwen.
taz: Herr Förstl, Sie haben gemeinsam mit zwei Historikern zum ersten Mal Unterlagen des Geheimen Wittelsbacher Hausarchivs untersucht, darunter die Vernehmungsprotokolle, die zur Absetzung Ludwigs II. führten. Wer sagte darin aus?
Hans Förstl: Stallmeister, Kabinettssekretäre und Kammerdiener, die in den letzten Lebensjahren noch Umgang mit Ludwig hatten. Ihre Aussagen führten dazu, dass der Psychiater Bernhard von Gudden die Ferndiagnose einer "Paranoia" stellt, was weitgehend gleichbedeutend mit einer Schizophrenie ist. Ludwig pflegte immer absonderlichere Gewohnheiten. In den letzten beiden Jahren führte er ein vermeintlich chinesisches Hofzeremoniell ein, bei dem die Kammerdiener den Monarchen nicht mehr ansehen und nicht mehr ansprechen durften. Sie mussten in tief gebückter Haltung in die Stube des Königs eintreten und dann rückwärts wieder hinaus watscheln, ohne den Blick zu heben.
Sie glauben aber, dass Ludwig eine schizotype Störung hatte. Wie äußert sich die?
Ein Mensch mit einer schizotypen Störung hat Schwierigkeiten im Umgang mit anderen. Er findet das richtige Verhältnis von Nähe zu Distanz nicht. Er wirkt eigenwillig, manchmal kühl und ist dann wieder flammend begeistert von anderen Personen. Dann zieht er sich wieder misstrauisch zurück und grübelt. Ein bisschen steckt das in uns allen. Ludwig genoss allerdings das zweifelhafte Privileg, nahezu unkritisierbar seine exzentrischen Ideen auszuspinnen. Er war eher versponnen als verrückt, und er war sich seiner Eigenwilligkeit und Seltsamkeit durchaus bewusst.
Schizophren war er aber nicht?
Er hat bis zuletzt mit exquisitem kunsthistorischen Sachverstand die architektonische Ausführung seiner Schlösser im Detail vorgegeben. Dabei nahm seine geistige Leistungsfähigkeit über Jahrzehnte nicht ab. Dies wäre im 19. Jahrhundert aber bei einer so lange dauernden schizophrenen Psychose zu erwarten gewesen. Damals wurde dafür der Begriff "dementia praecox" geprägt, weil man entdeckte, dass viele Patienten frühzeitig schwere intellektuelle Defizite entwickeln.
Ludwig war homosexuell. Wie ist er mit seiner Sexualität umgegangen?
Es war eine lebenslange Qual. Er hat Tagebücher und einen Haufen von Zetteln hinterlassen, so genannte Befehlszettel, die er an seine Lakaien und seine vermeintlichen Vertrauten geschrieben hat. Da stand etwa: "Woher kann der Mensch das wissen, dass es zu keinem Rückenmarksschwund führt?" Damals befürchtete man, dass Selbstbefriedigung zu Nervenkrankheiten führt. Er schrieb: "Nie mehr, nie mehr, ein königlicher Schwur!" Das geht so weiter, bis er vierzig Jahre alt ist. Er fühlte sich immer wieder von anderen Männern angezogen, sowohl im Sinne einer geistigen Affinität - bei Richard Wagner - und einer körperlichen Attraktivität - wie bei seinem Stallmeister. Er war beschämt und konnte seine Neigungen nie richtig ausleben. Er hat nie einen Weg gefunden, in einer Partnerschaft zu reifen und stabile Beziehungen aufzubauen, sondern wurde zu einem einsamen, armseligen Sonderling.
Ludwig hat sich auch den Absolutismus französischer Prägung zurückgewünscht.
Ja, er hat den Tisch decken lassen für Ludwig den XIV. und für Madame Pompadour, weil er sich vorstellte, die kämen nun zu Besuch. Es müssen traurige Szenen gewesen sein, wenn er mit seinen imaginären Gästen diniert hat, "dinner for one". Wenn der König große einsame Reden führte, gestikulierte oder herumpolterte, bekamen die Kammerdiener das natürlich mit. Viele dachten, der König sei verrückt. Kinder und manche Erwachsene verhalten sich aber ähnlich, wenn sie sich unbeobachtet fühlen, und der romantische Ludwig behielt seine kindlichen Phantasien bis zuletzt. Er wollte ein idealer König sein, konnte aber in der Realität des 19. Jahrhunderts und der konstitutionellen Monarchie seinen eigenen absoluten Ansprüchen nicht mehr genügen. Sein persönlicher Ausweg war die Errichtung von Burgen und Schlössern.
Eine märchenhafte Architektur allerdings.
Natürlich haben diese Bauten eine eigenwillige Ästhetik. Genau wie Wagner, den er so sehr bewunderte, hatte Ludwig den Willen zum ganz Großen, Heroischen. Wagner finden erstaunlich wenige Vernunftbegabte lächerlich. Das gilt als große Oper und der Bildungsbürger investiert großzügig in seine Gänsehaut. Ludwig aber baute Neuschwanstein, und die einzigen, die eine Gänsehaut bekommen, sind die Amerikaner und die Japaner. Uns ist es eher peinlich. Interessanterweise hat er wirklich gebaut, was Spätromantiker, Orientalisten und auch Symbolisten nahezu zeitgleich geschrieben oder gemalt haben.
Warum wirkt er dann auf uns so lächerlich?
Ludwigs real erbautes Inventar ließ sich nicht glaubhaft mit irgendeiner Staffage beleben. Die ansehnlichen Mannsbilder aus der bayerischen Kavallerie gaben keine überzeugenden germanischen Helden oder arabisch-türkischen Edelleute ab. Man stelle sich die Anspannung der Lakaien vor, die gute Mine zum seltsamen Spiel machen mussten. Vermutlich tat man dem hübschen jungen Ludwig gerne den Gefallen. Aber er alterte rasch und wurde immer schwerer verständlich und weniger zugänglich, da er wegen seiner schlechten Zähne nur noch fahrig herumnuschelte.
Sie vermuten außerdem, dass Ludwig unter einer Frontalhirn-Schrumpfung litt. Wie kommen Sie darauf?
Das Autopsieprotokoll lag immer vor, und ich wundere mich, dass bisher niemand diesen Befund gewürdigt hat. Einerseits liegen Zeichen einer abgelaufenen Hirnhautentzündung vor, andererseits findet sich eine so ausgeprägte Schrumpfung des Frontalhirns, dass man unbedingt an eine solche Erkrankung denken muss. Die betroffenen Anteile des Frontalhirns steuern das Verhalten.
Und Sie glauben, dass Ludwigs Verhalten in den letzten Jahren etwas mit dieser Krankheit zu tun haben kann?
Ja, Ludwig hat sich noch stärker isoliert, ist uneinsichtig und immer rigider geworden. Er wurde Kammerdienern gegenüber ausfallend, nicht nur in Worten, sondern auch in Taten. Da war immer diese Ambivalenz der königlichen, edlen Milde, andererseits diese imperiale Unduldsamkeit, die sich grausam äußern konnte, wenn er sich nicht respektiert fühlte. Dann befahl er, Kammerdiener XY bei Wasser und Brot ins Gefängnis zu werfen und ihm die Haut abzuziehen.
Ist das dann auch geschehen?
Nein, natürlich nicht. Aber er zeigte auch bezüglich der zugespitzten Finanzsituation immer weniger Einsicht. Er beharrte darauf, weiter zu bauen, selbst als die Mittel fehlten. Er hat dann sogar darüber nachgedacht, in Banken einbrechen zu lassen und sich dort die entsprechenden Gelder zu beschaffen. Außerdem war er mit den Verhältnissen in Bayern so unzufrieden, mit den Untertanen, die nicht in sein absolutistisches Weltbild passten, dass er in ein anderes Land gehen wollte. Er ließ prüfen, ob es nicht ein Völkchen auf einem südlichen Eiland gebe, das ihm gehören und dienen wollte.
Wie viele Menschen sind von einer Frontalhirnschrumpfung betroffen?
In Deutschland etwa 10.000 bis 20.000 Menschen. Für die Angehörigen ist es eine extreme Belastung. Die Patienten verschonen einen auch nicht mit Peinlichkeiten. Die Entwicklungen sind sehr unterschiedlich. Einige entblößen sich in der Öffentlichkeit, andere werden aggressiv, viele werden apathisch. Die Krankheit wird oft nicht erkannt und man denkt, der Patient ist schlicht Alkoholiker oder hat einen schlechten Charakter.
In welchem Alter tritt die Krankheit in er Regel auf?
Die kann mit 30, 40 Jahren auftreten, aber auch sehr viel später. Oft sterben die Patienten nach einigen Jahren durch irgendwelche Komplikationen. Sie futtern sich so voll und bewegen sich so wenig, dass sie herz-kreislaufkrank werden, oder sie werden enthemmt, laufen einfach über die Straße, oder schlucken einfach unzerschnittene, unzerkaute Speisen. Sie tun Dinge, die man nicht nachvollziehen kann.
Das heißt, wir haben nun neben Unfall, Selbstmord und Mord noch eine zusätzliche Möglichkeit, wie Ludwig zu Tode gekommen sein könnte, damals im Starnberger See.
Vielleicht ist er einfach ins Wasser gestürmt, hat da mit dem Psychiater Gudden noch kurz gerangelt, hat den kleinen alten Herrn unter Wasser gedrückt und ist dann selbst ertrunken. Was sich in Ludwigs letzten Lebenstagen abgespielte, hatte streckenweise den Charakter einer Slapstick-Komödie. Der brave Professor Gudden musste die undankbare Aufgabe übernehmen, Ludwig mit anderen Honoratioren und Gendarmen abzuholen und ihm bei dieser Gelegenheit seine Absetzung mitzuteilen. Im Morgengrauen kamen sie am Schloss Neuschwanstein an. Als erstes begegnete ihnen eine geisteskranke Baroness, die einen Mordsaufstand machte. Ludwig hatte Wind bekommen und die ortsansässige Bevölkerung zu Hilfe gerufen, sodass Gudden und seine Münchner Entourage unverrichteter Dinge wieder abziehen mussten.
Beim zweiten Versuch gelang es dann.
Ja, Ludwig war angetrunken und versuchte schwankend über Baugerüste in den Turm zu fliehen. Pfleger mussten sich vor die Fenster stellen, damit er in seiner Erregtheit und Trunkenheit nicht rausspringt. Bei dieser Gelegenheit konnte Gudden den König erstmals persönlich in Augenschein nehmen. Das ist jetzt eine reine Spekulation von mir, aber ich vermute, dass Gudden dabei bemerkte, der Mann ist seltsam, aber nicht so verrückt, wie ich dachte. Möglicherweise wollte Gudden tags danach am Starnberger See ein vertrauensvolles Gespräch führen, was für den dünkelhaften König eine solche Zumutung war, dass er impulsiv ins Wasser lief. Gudden kam beflissen hinterher, in Überschätzung seiner körperlichen Kräfte, und dann kam es zum Handgemenge.
Es gibt ja auch das Gerücht, dass auf den König geschossen wurde.
Das ist eine Variante, die unter den Münchner Illuminaten immer noch kursiert. Es ist immer wieder die Rede von zwei blutbefleckten Einschusslöchern in Ludwigs Mantel oder Weste. Man könnte sich prinzipiell schon denken, dass ein hinterher eilender Gendarm den Kampf im Wasser bemerkte und aufgeregt auf den gewaltigen, jetzt als gefährlich eingeschätzten Ludwig schoss, um dem körperlich unterlegenen Herrn Professor das Leben zu retten.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ungerechtigkeit in Deutschland
Her mit dem schönen Leben!
Kompromiss oder Konfrontation?
Flexible Mehrheiten werden nötiger, das ist vielleicht gut
Der Check
Verschärft Migration den Mangel an Fachkräften?
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
Eine Chauffeurin erzählt
„Du überholst mich nicht“
FDP-Krise nach „Dday“-Papier
Ex-Justizminister Buschmann wird neuer FDP-Generalsekretär