: Laut und deutlich
Es gibt immer mehr Fußballfanclubs gehörloser Menschen. Wie ist es, im Stadion ein Spiel zu verfolgen, ohne zu hören? Und wie könnte es noch besser sein?
Von Adrian Breitling
Die Geschichte der organisierten Fußballfanclubs gehörloser Menschen beginnt mit sieben Männern in roten und weißen Shirts, die im Kreis stehen. Es ist Juni 2004 und ihr Lieblingsverein, der 1. FC Köln, ist gerade abgestiegen. Daran, einen Fanclub zu gründen, hindert das die sieben Männer aber nicht.
Dass sie beieinanderstehen, ist nämlich kein Zufall. Sie alle gehen gerne ins Stadion, wie viele andere auch. Sie verstehen sich gut, wie viele andere auch. Aber da ist noch etwas. Sie verstehen sich nämlich so gut, weil sie dieselbe Sprache sprechen. Nicht Kölsch, sondern die Deutsche Gebärdensprache (DGS).
Dem kölschen Vorbild sind inzwischen gehörlose Fußballfreunde im ganzen Land gefolgt. Seit sich vor ein paar Wochen auch in Freiburg eine Gruppe zusammenfand, zählt der Dachverband Deutscher Deaf Fanclubs (DDDF) 28 Mitglieder. Zu Beginn waren es nur ein paar einzelne Clubs, ab Mitte der Zehnerjahre kam die Entwicklung dann ins Rollen. Heute gibt es in fast allen Vereinen der beiden Topligen einen Fanclub.
Dass sich die Gehörlosen zusammentun, hat dabei nicht nur den Grund, dass sie eine „beeindruckende Gemeinschaft und Energie“ mitbringen, wie der zweite DDDF-Vorsitzende Florian Hansing schreibt. Auch er ist gehörlos, auch er ist großer Fußballfan und weiß von diesen schönen Seiten des Beisammenseins zu berichten.
Er weiß aber auch von den weniger schönen Seiten des gehörlosen Fandaseins zu berichten. Der Weg zur Barrierefreiheit in den deutschen Stadien ist noch weit. Daran, dass er kürzer wird, arbeiten die Deaf Fanclubs und ihr Dachverband. Denn „Inklusion beginnt im Alltag“, schreibt Hansing. Und Teil dieses Alltags sind eben auch Fußballstadien.
An einem ganz alltäglichen Spieltag, wie es ihn seit dem Zweitligastart wieder wöchentlich im ganzen Land gibt, stoßen Gehörlose auf „unsichtbare Barrieren“, wie Hansing sie nennt. Vor dem Spiel zum Beispiel bekommen sie von den Ansagen, den Ehrungen und Mannschaftsvorstellungen sowie der Hymne nichts mit. „Viele unterschätzen, wie stark Gehörlose auf visuelle Informationen angewiesen sind“, schreibt Hansing. Das kann in Notfällen zur Gefahr werden.
Aber auch das Unterhaltungsprogramm würden sie gerne mitbekommen. Es gehe ihnen nicht um „Extras“, schreibt Hansing, sondern um gleichberechtige Teilhabe. Barrierefreiheit solle selbstverständlich sein, und nicht erst auf Nachfrage ermöglicht werden – wenn überhaupt.
Über den Zustand deutscher Stadien hinsichtlich ihrer Inklusion schreibt Hansing: Es seien in den vergangenen Jahren zwar „wichtige Fortschritte“ passiert. Visuelle Durchsagen, barrierefreie Ticketbuchungen und bisweilen Live-Dolmetscher gebe es inzwischen mancherorts. Aber: „Solche Angebote sind noch nicht flächendeckend vorhanden“, so Hansing. „Es hängt leider stark vom Engagement einzelner Vereine ab.“
Während das Regelwerk auf dem Platz immer vielschichtiger wird, ist es für die Barrierefreiheit auf den Rängen recht löchrig. Zum einen gibt es allgemeine rechtliche Rahmenbedingungen, zum Beispiel seit Ende Juni das sogenannte Barrierefreiheitsstärkungsgesetz. Zum anderen gibt es Empfehlungen der Deutschen Fußball Liga (DFL), die den Ligabetrieb der 1. und 2. Bundesliga organisiert.
Diese Empfehlungen stehen in einer 62-seitigen Broschüre namens „Barrierefrei im Stadion“. Auf zwei dieser Seiten geht es um die Gehörlosen. Die Vorgaben klingen den Anforderungen des DDDF sogar recht ähnlich, was daran liegt, dass die gehörlosen Fans an dem Schreiben mitgearbeitet haben. Auch Zahlen stehen drin, dafür, wie viele Plätze es für die Gehörlosen und ihre Begleiter geben soll: 10 Stück je 10.000.
Florian Hansing, DDDF
Das große Manko dieses gut gemeinten Empfehlungsschreibens nennt die DFL auf Nachfrage selbst: „Es handelt sich dabei nur um Empfehlungen, nicht um verbindliche Vorschriften.“ Dafür fehle die gesetzliche Grundlage. Darüber hinaus kritisiert Hansing vom Gehörlosenverband, dass diese Regeln „unzureichend kontrolliert“ würden. „Wir sehen hier großen Handlungsbedarf“, schreibt er.
Die DFL arbeitet nach eigener Aussage dieser Tage an einer Überarbeitung der Empfehlungen. Und auch die Deaf Fanclubs werden natürlich weiter für ihre Interessen einstehen. Dafür sprechen die bisherigen Erfolge, aber auch diese Gemeinschaft, von der Hansing berichtet.
Geht es nach ihm, sollten dazu gerne auch Hörende gehören. Inklusion sei immerhin keine Einbahnstraße. Oder wie er abschließend schreibt: „Es geht nicht nur um Strukturen, sondern auch um Haltung.“
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