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Latin Lover zum Anfassen

■  Die unerträgliche Seichtigkeit des Seins: Julio Iglesias, der Vater des Latin Pop, war in Berlin. Mit Hotellobbymusik im Hotel Estrel, genauer dem Estrel Convention Center

Auf jedem Stuhl ein Feuerzeug, zur Einstimmung auf das Konzert von Julio Iglesias im Berliner Estrel Convention Center. Der riesige Neubau im Niemandsland zwischen den Randbezirken Neukölln und Treptow, am ehemaligen Grenzstreifen zwischen Ost- und Westteil gelegen, ist Hotel und Tagungsstätte zugleich und feierte seinen Einstand als Konzertbetrieb mit dem Gastspiel des spanischen Superstars. Auch das ist das neue Berlin: eine glitzernde Bettenburg, deren Leuchtreklame weit hinausstrahlt, am Rande eines Bezirks, der zu den Spitzenreitern bei den Sozialhilfeempfängern zählt – das ist ein Kontrast, wie man ihn bisher nur aus Dritte-Welt-Metropolen kannte, etwa aus Lateinamerika. Da Julio Iglesias dort schließlich Legendenstatus genießt – zumindest bei der älteren Generation – schien es durchaus Sinn zu machen, dass die Wahl des Estrel-Managements zum Beginn seiner Konzertveranstaltertätigkeit auf eben ihn fiel.

Ein mittleres Verkehrschaos und fast vorweihnachtliche Aufgeregtheit herrschten um den Veranstaltungsort, bevor es im Saal dann andächtig still wurde. Die Kulisse halb wie beim Abendball der Kreissparkasse, halb Denver Clan, mit vielen Krawatten und Kostümen, die Frauen hochfrisiert, die Männer gern auch mit ölig nach hinten gekämmten Haaren, ganz wie sonst nur Michel Friedman, und über allem ein betäubender Geruch – als hätte die Parfümkette Douglas zur Duftprobe geladen, und alle, alle Stammkunden wären erschienen.

So billig, so teuer zugleich auch der Auftritt von Julio Iglesias: Seine Stimme unterlegt von zu viel Hall, klingt so, als käme sie direkt aus einem U-Boot hervor. Zwei Backgroundmiezen räkeln sich dazu im Takt und säuseln den Refrain, ein Saxophon quäkt, und die Keyboards streuen so viel Zucker, dass es knirscht. Doch schon nach dem dritten Stück fliegen die ersten Rosen auf die Bühne, und als er von einer Frau am Bühnenrand persönlich eine Blume hochgereicht bekommt, kniet er sogar nieder und lässt sich umarmen. Ein alternder Latin Lover zum Anfassen. Julio Iglesias ist ein Klischee, von Kopf bis Fuß. Alles an ihm ist zu dick aufgetragen, angefangen bei der schon maskenhaften Bräune in seinem Gesicht bis hin zur geckenhaften Gestik. Doch sein Oeuvre gehört zum Grundbestand der Popkultur Lateinamerikas wie Telenovelas und Fotoromane, er ist der Vater des Latin Pop – sogar im wörtlichen Sinne, schließlich treten zwei seiner Söhne, Enrique Iglesias und Julio jr., gerade in seine Fußstapfen. Im Saal werden Hochglanz-Posterhefte verkauft, die imposante Zahlen listen: über 220 Millionen verkaufter Alben, 1.500 Gold- und Platinplatten – zu seinen angeblich über tausend Frauen steht leider nichts drin – und jüngst sogar die Würdigung in China als populärster ausländischer Künstler. Wahrscheinlich, weil sich seine Songs so gut zum Karaoke eignen, denn die Kompositionen sind von beeindruckender Schlichtheit. Brian Eno mag einst Musik für Flughäfen komponiert haben, Julio Iglesias hat das Rezept für die Hotellobbys dieser Welt: Platte Piano-Elegien und Saxophon-Säuseln, so wird ein unauffälliger Klangteppich ausgerollt, auf dem der Witwentröster im Smoking selbst Standards wie „Oye Como Va“, „I can't help“ und „Fragile“ von Sting zu undefinierbarer Easy-Listening-Einheitskost verknödelt. Wenigstens die Bühnenshow sorgt für ein wenig Abwechslung. Mal gleitet ein Tangopaar über die Bühne, dann umschwärmt ihn lasziv eine Schönheit mit langen Haaren und sehr kurzem Kleid, die ihm am Ende um den Hals fällt – abgedroschene Playboy-Fantasien, hier werden sie noch ungebrochen zelebriert. Julio Iglesias selbst ist nicht so variabel. Mal zieht er seine Smoking-Jacke aus und wieder an, dann legt er die Hand auf den Bauchansatz und lässt leicht die Hüften kreisen. Mehr ist wohl auch nicht mehr drin mit 57 Jahren.

Trotzdem wird dankbar mitgeklatscht, und bei manchem Hit geht ein erkennendes Summen durch den Saal, während der Sternenhimmel über der Bühne aufgeht. Einige hält es nicht mehr auf den Sitzen. Ein kleiner Pulk rottet sich hinter den ersten Reihen zusammen, jauchzend und hüpfend, obwohl renitente Kleinbürger von hinten böse „Hinsetzen!“ rufen. Von anderer Seite fordern spanische Stimmen mehr spanische Lieder, auch ein Wunsch, dem nicht nachgegeben wird. Anschließend gab es noch einen Gala-Empfang, an dem die übliche Berliner Buletten-Prominenz teil hatte, vom Filmmogul Atze Brauner und dem Diskotheken-Besitzer Rolf Eden bis zu einer Hand voll CDU-Senatoren. Aber da saß Julio Iglesias schon in seinem Privatflugzeug, das ihn nach Marbella zurückbrachte. Daniel Bax

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