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Last-minute-Klopapier im Network office

■ Auf der Pirsch nach Traufhöhe und Naturstein: Im Johnson-Haus setzen die Investoren ganz auf Computertechnologie, die Besucher der Schaustelle dagegen auf Solarenergie

„Ist das die Berliner Traufhöhe?“ tönt es zaghaft unter dem gelben Bauhelm hervor. „Ja“, sagt die Führerin und deutet vom obersten Stockwerk des Johnson-Hauses den „wunderbaren Ausblick“ über die Fischerinsel an, „zweiundzwanzig Meter hoch.“ Und die Fassadenverkleidung?“, will ein etwa Dreißigjähriger wissen. „Naturstein“, sagt die Führerin, „eine harmonische Mischung aus Tradition und Moderne“.

Traufhöhe, Naturstein, Tradition und Moderne – an Hochsommertagen wie dem gestrigen Sonntag fallen architektonische Fachbegriffe wie Eiswürfel aus dem Kühlschrank. Vor allem wenn sich das Frage-Antwort-Spiel im Rahmen der „Schaustelle Berlin“ bewegt. Neunzehn Baustellenfreaks waren gekommen, um die achte von insgesamt 44 Führungen durch das Philipp-Johnson-Haus zwischen Mauer- und Friedrichstraße erleben zu dürfen.

„I remember the Friedrichstraße the way it really was“, soll der Architekt Johnson, „Altmeister der Moderne“ (die Führerin), nach dem das Gebäude benannt wurde, einmal zu Berlins ehedem lebendigstem und nun totgeborendstem Boulevard gesagt haben. Für die Schaustellenbesucher der Checkpoint-Charlie-Investoren steht jedoch die Gegenwart im Vordergrund. Und die ist im „Johnson-Building“ mitunter weniger glamourös als ernüchternd. Weiße Plastefenster als Gestaltungselemente der Innenhöfe und eine Lobby, deren glattpolierter 08/15-Charme in der Friedrichstraße beinahe schon Dutzendware ist. „Haben Sie damit Erfolg?“ fragt eine Besucherin etwas verhalten und fügt die entscheidende Nachfrage nach dem Vermietungsstand hinzu. „Zehn Prozent“, antwortet die Führerin.“ Aha.

Fast beiläufig richtet sich der Blick der neunzehn Schaustellenbesucher auf die Plastefenster in den Innenhöfen. Vielleicht ist es ja klug gewesen von Volker Hassemer, dem Chef aller Drückerkolonnen in Sachen Berliner Image, die anhaltende Bauwut als Touristenparole Nummer eins auszugeben. Weniger klug ist freilich der Merksatz in einem Checkpoint- Charlie-Imagevideo, das an der „Video-Wall“ im Eingangsbereich zu sehen ist. „In Berlin“, sagt ein Sprecher aus dem Off, „schießen die Bürohäuser wie Unkraut aus dem Boden.“ Um so wichtiger, ergänzt die Führerin, ist es deshalb, Exklusivität zu vermitteln. Computertechnologie als Wettbewerbsvorteil, heißt das im Marketingdeutsch. Im Johnson-Haus wie auch den anderen drei geplanten Gebäuden rund um den ehemaligen Grenzkontrollpunkt hat der Bürowettbewerb deshalb einen Namen: „Network office“, ein Serviceangebot an die künftigen Nutzer, das keine Wünsche offenläßt. Fast keine. „Wer sein Kostüm reinigen lassen will“, sagt die Führerin, „gibt das in den Computer, und die Reinigungsfirma kommt.“ Draußen an der Open-Air-Ausstellung in der Zimmerstraße ist etwas prosaischer vom Klopapier die Rede, das man sich quasi last minute besorgen könne.

Die Besucher der Schaustelle sind aber – wie gesagt – weniger an Zukunfts- als an Gegenwartsfragen interessiert. Ob man denn die regenerativen Ernergien nutze, ob es Solarstrom gebe, will einer wissen und wischt sich den Schweiß von der Stirn. Die Führerin muß passen. So weit geht Kundenfreundlichkeit im Johnson-Haus doch nicht.

Wenig später in der 08/15-Lobby, zurück vom Spaziergang durch das Gebäude, das noch im Sommer eröffnen soll, hat die Führerin ihre alte Sicherheit wiedergefunden. Stolz preist sie den Bau einer riesigen Video-Wand mit „vier mal sechs cubes“. Was darauf gezeigt wird? „Videos, auch Landschaftsfilme.“ Und warum? „Um die Mieter auf einen schönen Tag einzustimmen.“ Ob mit oder ohne Toilettenpapier spielt da keine Rolle. Uwe Rada

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