Landwirtschaft in Spanien: Die Mär vom schmutzigen Gemüse
Hightech statt Gülle – und alles in Plastik: So sieht die spanische Gemüsewirtschaft in Wirklichkeit aus. Die lokalen Unternehmen weisen die Ehec-Vorwürfe zurück.
MADRID taz | "Wir können zumachen. Alle Kunden haben ihre Bestellungen storniert, nicht nur für Gurken", erklärt der Sprecher des spanischen Unternehmens Bio Frunet, Richard Soepenberg.
"Jemand hat die Entscheidung getroffen, unseren Namen an Presse und Fernsehen weiterzugeben, bevor geklärt ist, woher die Ehec-Infektion überhaupt kommt."
Für den Niederländer, der bei dem Unternehmen im südspanischen Málaga arbeitet, ist es "völlig unwahrscheinlich", dass die Gurken, die in Deutschland zu einer schweren Infektionswelle mit 600 Infizierten und bisher 4 Toten geführt haben, in seinem Unternehmen kontaminiert wurden. Frunet hat für Gurken nur einen Zulieferer, mit Gülle gedüngt wird dort nicht. "Es gehen wöchentlich 50 Paletten Gurken auf den europäischen Markt und nur eine, wurde als verseucht ausgemacht."
"Ich glaube, die haben da in Norddeutschland ein Problem"
Soepenberg gibt bereitwillig eine E-Mail weiter, in der es um die fragliche Charge geht, die am 12. Mai Málaga verlassen hat, und am 16 Mai bei der Hamburger Firma Behncken ankam: "... die Palette Salatgurken ist auf dem Transport gekippt !! Wir müssen die Ware sortieren und sehen, was noch zu verkaufen ist. Abrechnung nach Verkauf !!!", heißt es da. "Die Gurken waren lose in Kisten, nicht in Plastik eingeschweißt. Sie lagen also einfach so auf dem Boden herum und wurden dann dennoch verkauft", beschwert sich Soepenberg. "Ich glaube, die haben da in Norddeutschland ein Problem", beendet er das Gespräch.
Auch beim zweiten spanischen Unternehmen, das als Lieferant der verseuchten Ware ausgemacht wurde, Costa de Almería, die unter dem Namen "Hortofrutícola" Gemüse in ganz Europa vermarktet, herrscht Ratlosigkeit. "Wir führen ständig Untersuchungen durch. In keinem einzigen Fall wurde hier in Almería die fragliche Coli-Bakterie festgestellt", sagt der Geschäftsführer des Unternehmens, Enrique Vargas. "Wir haben nicht einmal die genauen Angaben bekommen, um welche Charge es sich handeln soll."
Er weiß nur, dass die Gurken die Hallen in Almería vor 25 Tagen verlassen haben sollen. Costa de Almería liefert in der Hochsaison bis zu 1.500 Tonnen Gurken von 80 Bauern nach ganz Europa. Spanien exportierte im vergangenen Jahr 140.000 Tonnen Gurken. "Mit Gülle wird hier nirgends gedüngt", sagt Vargas am Telefon, während das spanische Gesundheitsamt die Anlagen des Vermarkters untersucht.
Die Folienzelte, die Europas Esstisch decken
Wer einmal in den Folienzelten in der Provinz Almería war, die Europas Essentisch decken, kann die Angaben von Vargas bestätigen. Mit herkömmlicher Landwirtschaft hat das, was auf 40.000 Hektar stattfindet, nur wenig zu tun. Die Pflanzen wachsen an Drähten nach oben. Sie werden mit Schläuchen per Computersteuerung Tropfen für Tropfen direkt an der Wurzel bewässert und ebenso mit Nährlösung gedüngt. Eine Gurke, die in Gülle liegt, so etwas gibt es in Almería nicht.
Das Madrider Landwirtschaftsministerium mahnt "zur Besonnenheit". Die Infektion könne in der gesamten Produktions- und Vermarktungskette stattgefunden haben. In Madrid fragt man sich, warum neben den beiden spanischen Unternehmen auch ein niederländisches als Ursache ausgemacht wurde, das nichts mit den Spaniern zu tun habe. Das spreche eher für eine Infektion irgendwo auf dem Transport oder auf dem Großmarkt in Hamburg.
Das Landwirtschaftsministerium ist erstaunt darüber, dass die Politik in Berlin sowie die deutsche Presse und Fernsehen auf Spanien deuteten, bevor überhaupt eine offizielle Warnung über die Europäische Union an das Madrider Ministerium herausging. Das Landwirtschaftsministerium forsche mit Hochdruck, heißt es. Ergebnisse werde es im Laufe des Tages geben.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
Bis 1,30 Euro pro Kilowattstunde
Dunkelflaute lässt Strompreis explodieren
Studie Paritätischer Wohlfahrtsverband
Wohnst du noch oder verarmst du schon?
Armut in Deutschland
Wohnen wird zum Luxus
Ansage der Außenministerin an Verbündete
Bravo, Baerbock!
Ex-Mitglied über Strukturen des BSW
„Man hat zu gehorchen“