Landtagswahl Mecklenburg-Vorpommern: Im Land der Bettendichte
Wenn Mecklenburg-Vorpommern am kommenden Wochenende wählt, gewinnt wahrscheinlich die SPD. Das Geheimnis der Partei: Sie findet das Land gut.
Mecklenburg-Vorpommern ist das Land auf der deutschen Landkarte ganz oben rechts, von dem die Rede geht, dass dort alles hundert Jahre später passiert.
Es ist das deutsche Land mit der geringsten Bevölkerungsdichte, den niedrigsten Löhnen, den meisten Ein-Personen-Haushalten, den jüngsten Erstgebärenden (26,7 Jahre), den meisten außerehelichen Kindern, dem größten "Sterbefallüberschuss", dem eindrucksvollsten jährlichen Wanderungsverlust und dem größten Risiko, auf einer Straße tödlich zu verunglücken.
Manche nennen es inzwischen auch das Florida Deutschlands, weil das Durchschnittsalter hoch ist, weil Tourismus und Gesundheitswirtschaft boomen und weil wir den deutschen Spitzenwert bei der "Bettendichte" haben ("Bettendichte" ist die Anzahl der Betten pro Kopf, was ja nicht heißt, dass wir in allen selber schlafen). Nun also die sechste Landtagswahl nach der Wende.
Sieben Landtagswahlen gibt es 2011. Die taz hat AutorInnen gebeten, uns jene Regionen literarisch nahezubringen, aus denen sie stammen oder in denen sie leben. Am 17. 3. schrieb die Schriftstellerin Annett Gröschner über Sachsen-Anhalt, am 23. 3. der Krimiautor Wolfgang Schorlau über Baden-Württemberg sowie am 25. 3. taz2/Medien-Redakteur Arno Frank über Rheinland-Pfalz. Zur Landtagswahl in Mecklenburg-Vorpommern am Sonntag schreibt heute der Schriftsteller Bernd Melzer. Der letzte Text der Reihe erscheint vor der Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus am 18. 9.
"Mein Gott", sagte mein Großvater und spreizte die Finger seiner linken Hand, "wie die Zeit vergeht - dat is ja nicht mehr mit einer Hand zu schaffen."
Seit 2006 machen fast dieselben Parteien und Leute Politik in Schwerin. Wenn es nach der Wahl auch oft wieder die gleichen Leute sind, so können sie sich dann trotzdem so fühlen, als ob sie noch mal von vorn anfangen.
Kein polternder Wahlkampf
Des Weiteren werden, nachdem die Kreisreform trotz aller Einsprüche und Klagen sozusagen auf den letzten Drücker mit vier gegen drei Richterstimmen doch noch unter Dach und Fach gekommen ist, neue Kreistage und Landräte (und -rätinnen) in den sechs neuen Großkreisen gewählt. Außerdem nehmen die Wähler, mit Ausnahme derer in den nicht eingekreisten Städten Schwerin und Rostock, noch an einem Bürgerentscheid teil. Frage: Wie sollen die sechs Großkreise künftig heißen?
Um die Wähler nicht zu überfordern und Zeit zu gewinnen, hielten die potenziellen Wahlkämpfer zunächst keine großen Reden. Die große Koalition in Schwerin war ganz gut aufeinander eingespielt und hatte demzufolge auch gar keinen Grund, sich vor der Zeit böswillig auseinanderzukämpfen. Die Differenzen zwischen den Parteien mussten erst einmal neu ermittelt und formuliert werden.
Da es in fast allen Parteien außerdem harte interne Auseinandersetzungen um Kandidaturen und Sachfragen gab, dauerte die Ausarbeitung der neuen Programme etwas länger. Das fiel nicht weiter auf, da die Wahlberechtigten anderes zu tun hatten. Der Juli und der August standen nämlich unter der Überschrift: "Land unter!"
So viel Regen am Stück und Liter auf den Quadratmeter gab es lange nicht mehr. Ein Festival und Event nach dem anderen fiel ins Wasser. Die Urlauber flohen von den aufgeweichten Campingplätzen, die Bauern standen fassungslos am Rain ihrer Felder und versuchten, die Schadenssummen zu überschlagen. Die Leute waren rund um die Uhr mit dem Auspumpen ihrer Keller und dem Wasserstand in ihren Kleingärten beschäftigt, so dass sie sich um die größeren Dinge gar nicht so richtig kümmern konnten. Wenn sie in dieser Zeit jemand gefragt hätte, wer ihre Interessen am besten vertritt, dann hätten die meisten ihre Feuerwehr genannt und gewählt. So wurde es erst Mitte August etwas heißer.
CDU tut sich schwer
Da begannen nämlich die Verteilungskämpfe beim Plakatieren - an den Lichtmasten ganz oben, weil die NPD zu zeigen versuchte, wie hoch sie hinauswill. Und mein Großvater schob seine Brille hoch und sagte: "Ich weiß gar nicht, was du hast. "NPD - wehrt euch!" ist doch 'ne gute Losung. Na klar, muss man sich gegen die NPD wehren."
Der Wahlkampf war nun auch für den letzten Mecklenburger und Vorpommern sinnlich erfahrbar geworden. Als die Wähler gerade ernsthaft darüber nachzudenken begannen, was ihnen bevorstand, mussten sie sich erst einmal mit der angeblichen Rechtschreibeschwäche in der CDU ("C wie Zukunft!") auseinandersetzen. Die CDU macht sich bei uns alles immer etwas schwerer, vor allem den Wahlkampf.
Gott sei Dank haben ihre Image-Denker nun wieder auf altbewährte Muster gesetzt. Sie zeigen, wie gut sich ihr Spitzenmann unter Werktätigen und jungen Menschen macht, und haben das Wahlprogramm unter die Losung "Klar und entschlossen" gestellt, als ob die Partei sich selbst Mut machen und zur Ordnung rufen müsste.
Die Linke fand für ihr Programm das moralisch-soziale Motto "Gerechtigkeit - nur mit uns", um daran zu erinnern, dass sie zwischen 1998 und 2006 schon mal in der Landespolitik mitgewirkt hat und als Koalitionspartner durchaus in Frage käme. Die Gesichter der Kandidaten wirken angestrengt, das kommt vom Nachdenken über den Altersdurchschnitt in der Partei, von den Auseinandersetzungen um die Altlasten und den Briefwechsel mit Havanna, vor allem aber von den inneren Richtungskämpfen der letzten Zeit. Wer so mit sich selber zu tun hat, kann schwer souverän sein.
Fleißige Grüne
Die FDP muss erst noch beweisen, dass sie die Fünfprozenthürde überspringen kann. In bewährter Weise versucht sie das mit Versprechungen, die so allgemein sind, dass sie jeder andere auch übernehmen würde: "Fortschritt beschleunigen, Bürgerfreiheit schützen, Sicherheit ausbauen", heißt es da im Programm und das ist sicher gut gemeint. Aber wenn man dann auf dem Plakat "Privat vor Staat" liest, weiß man nicht mehr genau, wer für diese edlen Ziele einstehen soll, wenn jeder zuerst an sich selber denkt.
Die meiste Arbeit haben sich diesmal Bündnis 90/Die Grünen gemacht. Sie hoffen ebenfalls, die Fünfprozenthürde zu schaffen und dann als potenzieller Bündnispartner zu gelten. Ihr Wahlprogramm ist mit 140 Seiten das umfassendste. Es wurde mit viel Fleiß, Intelligenz, Akribie und besten Absichten erarbeitet und es ist ja auch alles wichtig wie etwa die ökologische Energiewirtschaft und das Ende des Atomzwischenlagers Nord.
Vom ziemlich allgemein gehaltenen Wahlprogramm der NPD habe ich mir nur einen Punkt merken können, nämlich den, dass gegen die "Verrohung der Jugend" eine einheitliche Schulkleidung zu empfehlen ist.
Die SPD hat diesmal das bessere Werbebüro und, wenn man den Voraussagen glauben kann, die besten Chancen. Sie kam auf die geniale Idee, dem Land zuzugestehen, dass es gut ist.
Die Formel "SPD gut, wie das Land" ist griffig und vor allem für jeden verständlich. Großvater: "Das kann man sich wenigstens drei Tage lang merken und es kann nicht nach hinten losgehen. Und unser Land ist gut! Wenn man berücksichtigt, was wir alles überstanden haben: die Vogelgrippe, den G-8-Gipfel …"
Offensichtliche Themen
Er hat ja recht. Sogar der Bindestrich zwischen Mecklenburg und Vorpommern, der für uralte historische Querelen steht, ist schon etwas vernarbt. Der amtierende Ministerpräsident Sellering wirkt auf den Plakaten freundlich wie ein guter Nachbar, verständnisvoll wie ein Lehrer, ehrlich wie ein Richter, manchmal sogar nachdenklich wie ein Philosoph. Originalton Großvater, der ja positive Urteile immer durch eine Negation ausdrückt: "Nicht unsympathisch, der Mann." Zweckmäßigerweise hat die SPD ihr Wahlprogramm gleich "Regierungsprogramm 2011 bis 2016" genannt.
Es bedarf keiner großen Intelligenz, die Probleme des Landes zu erfassen. Die einschlägigen Institute und Befragungsvereine, die nach Großvaters spöttischer Aussage "Kattenschiet in Düstern rieken", konnten voneinander abschreiben, dass es fünf Hauptthemen gibt: die Arbeitslosigkeit, den Nachholebedarf in Bildung und Ausbildung, die Höhe der Löhne, die soziale Sicherung von Familie und Kindern und die Abwanderung. Eigentlich gibt es aber nur ein Problem: Die Leute wollen so viel verdienen, dass sie und ihre Kinder davon leben können.
"Und wen wählst du?", fragte ich meinen Großvater. "Woher soll ich das heute schon wissen", entgegnete er bedeutsam. "Großvater, warum heißt das eigentlich Wahlurne?" "Ganz einfach, min Jung, weil da die Zukunft begraben liegt." Am 4. September ist es so weit.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Historiker Traverso über den 7. Oktober
„Ich bin von Deutschland sehr enttäuscht“
Elon Musk greift Wikipedia an
Zu viel der Fakten
Grünen-Abgeordneter über seinen Rückzug
„Jede Lockerheit ist verloren, und das ist ein Problem“
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Das Weihnachten danach
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Scholz fordert mehr Kompetenzen für Behörden