Landtagswahl Baden-Württemberg: "Jetzt geht's los"
Kretschmann und Schmid: So heißt das Duo, das nun Baden-Württemberg regieren soll - mit dem Grünen als Ministerpräsident. Von einem "historischen Wechsel" ist die Rede.
STUTTGART taz | Eigentlich liegt ihm das Bad in der Menge nicht. Doch an diesem Abend hatte er allen Grund, die Arme in die Höhe zu reißen. "Oben bleiben", ruft die Masse ihrem grünen Wahlsieger Winfried Kretschmann zu. Dem Mann, der nun ganz oben im Ländle sein könnte.
Nach den ersten Hochrechnungen feierten die Menschen ihn bereits als den ersten grünen Ministerpräsidenten Deutschlands. Doch erst knapp drei Stunden Zittern später steht fest, dass er dafür auch eine Mehrheit hat: 36 Sitze haben die Grünen, 35 hat die SPD, vier mehr als die zukünftige schwarz-gelbe Opposition.
Geht es nach seinen Anhängern, soll das grüne Urgestein Kretschmann nun das Land umkrempeln. Gemeinsam mit Nils Schmid von der SPD als Juniorpartner.
Kretschmann und Schmid - das neue Duo im Ländle. Der 62-Jährige und der 37-Jährige. Zusammen sollen sie der Anker der ersten rot-grünen Koalition in Baden-Württemberg sein. Das nötige Vertrauen zueinander haben sie dafür. "Wir wollen beide auf Augenhöhe miteinander regieren", sagten Schmid und Kretschmann immer wieder unabhängig voneinander. Dabei sei es zweitrangig, wer der Juniorpartner sein wird.
Vorläufiges amtliches Endergebnis (21.21 Uhr)
CDU 39,0 % (60 Sitze) / 2006: 44,2 %
SPD 23,1 % (35) / 2006: 25,2 %
GRÜNE 24,2 % (36) / 2006: 11,7 %
FDP 5,3 % (7) / 2006: 10,7 %
LINKE 2,8 % (-)
Nach 58 Jahren durchgängig schwarzer Regierung im Südwesten war das Hauptziel, die CDU zu entthronen - egal wie. Dieser tief sitzende Wunsch der Grünen-Anhänger kam auch unmittelbar nach der ersten Prognose zum Ausdruck. "Mappus weg", riefen die Grünen.
Was monatelang wütend auf den Straßen skandiert wurde, war dieses Mal pure Freude. Einer älteren Frau mit grünem Schal standen Tränen in den Augen. Die Grüne Jugend stieß mit dem "Stuttgart 21"-Widerstandsbier "Resist" an. Und ein kleiner Junge im Fußballtrikot wirbelte durch die Masse und rief zu seiner Mama: „Der Mappus ist weg!“
Um dieses Ziel zu erreichen, traten Kretschmann und Schmid in den Wochen vor der Wahl immer wieder gemeinsam auf. Auf einer Pressekonferenz präsentierten sie zusammen ihr bildungspolitisches Programm. Auf der Demonstration gegen Atomkraft schlossen sie per Handschlag die Menschenkette. Und vier Tage vor der Wahl trat Nils Schmid als Überraschungsgast beim grünen Wahlkampfhöhepunkt in der Stuttgarter Innenstadt auf. Mehr Einheit konnte man gar nicht demonstrieren.
Was beide menschlich verbindet, ist ihre besonnene und ruhige Art. Weder der ehemalige Lehrer Kretschmann noch der promovierte Jurist Schmid sind mitreißende Politiker. Doch genau das scheinen die Baden-Württemberger sich gewünscht zu haben. Die Bürger wollten keinen Ministerpräsidenten mehr, der von oben durchregiert und nicht zuhören kann, wenn sie auf der Straße ihren Bürgerwillen äußern.
Auch inhaltlich stehen sich Kretschmann und Schmid nahe. "Wir beide denken sehr ähnlich, zum Beispiel was die Haushaltssanierung angeht, ein Kernanliegen von mir. Ich denke, mit ihm kann man gut regieren", sagte Kretschmann über Schmid kürzlich in einem Interview mit der taz.
Dennoch könnte es jetzt eine Herausforderung für die SPD werden, sollten sie sich erstmals einem grünen Ministerpräsidenten unterordnen müssen. Schmid mag es pragmatisch sehen. Auch weil der 37-Jährige noch jung ist und die Zeit politisch nicht miterlebt hat, in der die Grünen von der SPD stets nur wie der kleine Partner behandelt wurden, der sowieso mit keiner anderen Partei koalieren könnte.
Ältere Genossen aber müssten umdenken. Doch das wurde am Sonntag erst mal beiseitegeschoben. Ebenso das bisher schlechteste Wahlergebnis der Partei in Baden-Württemberg.
Gemeinsam mit seiner Frau trat Nils Schmid vor seine feiernde Partei. Während der oft sachlich-dröge wirkende Schmid von einem "historischen Wechsel" sprach und die Themen nannte, die er nun angehen wolle, sorgte seine strahlende Tülay für Glamour auf der Bühne.
Die großen gemeinsamen Projekte von Rot-Grün werden nun die Reform des Bildungssystems und der Umbau der Energiewirtschaft sein. Der Anteil der Kernkraft beträgt in Baden-Württemberg immerhin gut 50 Prozent. Bei der Erzeugung von Windkraft hingegen hinkt der Südwesten weit hinterher. Um das zu ändern, hätten die Grünen schon fertige Pläne in der Schublade liegen, kündigte Kretschmann an.
In der Bildungspolitik wollen SPD und Grüne das dreigliedrige Schulsystem aufbrechen und ein längeres gemeinsames Lernen durchsetzen.
Dringender Handlungsbedarf aber besteht als Erstes bei einem Thema: Stuttgart 21. Beide Parteien kündigten seit Langem einen Volksentscheid zum Tiefbahnhof an. Dieser könnte gleich einen neuen Wahlkampf entfachen. Die SPD ist mehrheitlich für den Bau, die Grünen seit 15 Jahren strikt dagegen.
Es gilt also, das jeweilige Wahlversprechen einzulösen, ohne dass der Koalitionspartner sein Gesicht verliert. "Der Gedanke erfüllt mich mit Grausen, dass wir ein Projekt selber realisieren müssen, von dessen Unsinnigkeit wir seit 15 Jahren überzeugt sind", sagt Kretschmann. "Aber auch das gehört im Zweifel zur direkten Demokratie dazu."
Am allerwichtigsten aber ist Kretschmann und Schmid, den Regierungsstil spürbar zu ändern. Als Wahlsieger Kretschmann auf der Wahlparty den Politikwechsel verkündet, jubeln die Grünen erneut los: "Jetzt gehts los!"
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