Landgewinnung: Auf Sand bauen
Die Helgoländer sollen in einem Referendum entscheiden, ob ein Investor vor der Insel Neuland aufschütten darf. Nach der Vergrößerung soll Helgoland als CO2-freie Gesundheitsinsel vermarktet werden.
In einem Bürgerentscheid werden die Einwohner Helgolands über ein einzigartiges Projekt entscheiden. Die Vergrößerung der Nordseeinsel um einen Quadratkilometer wird im Herbst auf der Tagesordnung stehen. Das bestätigte Helgolands Bürgermeister Frank Botter (SPD) auf Nachfrage der taz nord: "Das ist der sinnvolle Weg, jede Meinung soll gehört werden."
Zur Entscheidung steht dann der Plan des Hamburger Investors Arne Weber, eine Verbindung zwischen der steinigen Hauptinsel und der etwa einen Kilometer entfernten Sandinsel Düne aufzuschütten. Diese Verbindung hatte eine Sturmflut 1721 weggespült. Für rund 80 Millionen Euro will Weber an der stürmischen Nordwestseite ein steinernes Riff errichten, in dessen Windschatten eine vier Meter hohe Sandfläche aufgeschüttet werden würde. Dort soll dann ein Mix aus Wohnen, Tourismus, Freizeit, Natur und Umwelt geschaffen werden.
Seit Weber die Planung vor zwei Jahren präsentierte, gilt das Vorhaben auf dem bunten Felsen in der Nordsee als "heikles Thema". Nach einer Umfrage stehen fast zwei Drittel der Helgoländer dem Projekt skeptisch gegenüber oder lehnen es ab. Der Hauptgrund ist die befürchtete Konkurrenz für die bestehenden Pensionen, Restaurants und Geschäfte. "Wir müssen eine wirtschaftlich sinnvolle Lösung finden für das, was Helgoland in den nächsten Jahrzehnten touristisch braucht", ist Botters Überzeugung.
Helgoland ist die einzige deutsche Hochseeinsel. Sie liegt etwa 62 Kilometer nordwestlich der Elbmündung in der Deutschen Bucht.
Die Felseninsel und die benachbarte Sandinsel Düne wurden 1721 durch eine Sturmflut getrennt. Zusammen sind sie 1,7 Quadratkilometer groß.
Höchster Punkt der Buntsandstein-Insel ist der Pinneberg mit 61 Metern, bekanntester die 47 Meter hohe freistehende Felsnadel Lange Anna.
Mit etwa 1.300 EinwohnerInnen bildet Helgoland eine Gemeinde im schleswig-holsteinischen Kreis Pinneberg.
Seinen Ruf als "Fuselfelsen" verdankt Helgoland seinem Status als steuerfreie Zone außerhalb des Zollgebietes der EU. Das machte die Insel zum Duty-Free-Shop.
Denn Deutschlands einzige Hochseeinsel hat die Schwindsucht. Die Zahl der Gäste ist von 800.000 vor 40 Jahren auf aktuell nur noch rund 300.000 geschrumpft. Auch die Einwohnerzahl sank von 2.700 Menschen Anfang der 80er Jahre auf rund die Hälfte. Tourismus ist aber praktisch der einzige Wirtschaftszweig der Insel, deren Image als zollfreier Fusel- und Tabakfelsen allerdings inzwischen eher abschreckend als anziehend wirkt.
Die Konzeptstudie in Webers Auftrag setzt deshalb darauf, Helgoland künftig als CO(2)-freie Modellregion zu präsentieren. Vogelreichtum, Kegelrobben, weite Sicht und gute Luft sollen das Eiland als Öko- und Gesundheitsinsel vermarkten. Deshalb sieht der Plan auch ein Gezeitenkraftwerk, zwei Windkraftanlagen und ein Photovoltaikfeld vor.
Bis vor einem halben Jahr erzeugte Helgoland seinen Strom mit brummenden und stinkenden Dieselaggregaten, seit dem 1. Dezember 2009 kommt die Elektrizität durch ein Seekabel vom Festland. Umweltschützer hatten hingegen die Insel schon lange als idealen Standort für Stromgewinnung aus Wind und Wellen ins Gespräch gebracht.
Weber will eine Stahlbetonkonstruktion direkt auf dem Festlandsockel des Meeresarms zwischen Insel und Düne verankern, wo das Wasser nur wenige Meter tief ist. Dahinter sollen Spülschiffe etwa zehn Millionen Kubikmeter Sand aufschütten, davor sollen Aufschüttungen aus Steinen und Betonteilen wie sie im Küstenschutz üblich sind, als künstliches Riff die Wellen brechen. Durch den Wegfall des Fahrwassers könnte die rund fünf Quadratkilometer Wasserfläche vor dem Riff dem bestehenden Naturschutzgebiet zugeschlagen werden. Seine Kosten will Weber, der über Pfingsten nicht zu erreichen war, anschließend durch den Verkauf von Grundstücken an Investoren wieder hineinbekommen.
Am 17. Juni soll eine Lenkungsgruppe aus Vertretern von Gemeindeverwaltung, Kreis und Land einen Konzeptentwurf verabschieden, so kündigt Botter an. Danach werde die Gemeindevertretung "wohl noch ein paar Kräuter in den Eintopf geben", und dann könnten im Herbst alle wahlberechtigten Einwohner darüber abstimmen. Denn nach der schleswig-holsteinischen Gemeindeordnung kann ein Gemeinderat die Entscheidung in einer Sachfrage einem Bürgervotum überlassen. "Manche finden den Plan beknackt, andere toll", berichtet Botter: "Mal sehen, was daraus wird."
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Historiker Traverso über den 7. Oktober
„Ich bin von Deutschland sehr enttäuscht“
Elon Musk greift Wikipedia an
Zu viel der Fakten
Grünen-Abgeordneter über seinen Rückzug
„Jede Lockerheit ist verloren, und das ist ein Problem“
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Das Weihnachten danach
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Der Fall von Assad in Syrien
Eine Blamage für Putin