Landesparteitag der Berliner Grünen: Grüne Parteivorsitzende gesucht
Die Realo-Bewerberin für den Landesvorsitz, Tanja Prinz, fällt beim Parteitag durch. Bis zur Fortsetzung am Mittwoch muss eine neue Kandidatin her.
Dreimal war Prinz am Samstag alles andere als knapp durchgefallen. Von 147 Delegierten stimmten erst nur 38, abschließend 41 für sie, über hundert aber lehnten sie ab. Auch wenn Lagerzuordnungen nicht immer klar sind, war deutlich: Es ist bei Weitem nicht nur der linke Flügel, der Prinz ablehnt – trotz aller Dominanz verfügt der nicht fast über eine Dreiviertelmehrheit. Auch Realo-Vertreter fühlten sich nicht an eine Vorabstimmung Mitte November gebunden, bei der sich Prinz knapp gegen die bisherige Co-Landesvorsitzende Susanne Mertens durchsetzte.
Nach dem dritten Wahlgang, dem eine knapp halbstündige Unterbrechung mit Krisengespräch bei den Realos vorangegangen war, verließ Prinz mit dem alles andere als fröhlich ausgestoßenen Ruf „Vielen Dank, frohe Weihnachten“ und Tränen in den Augen den Saal. Die frühere Landesvorsitzende und Realo-Koordinatorin Nina Stahr und andere geleiteten sie wie eine Mischung aus Abschiedsdelegation und Schutzschirm zur Garderobe.
Knapp sechs Wochen lang hatte ihre Bewerbung als Landesvorsitzende, begonnen Ende Oktober mit einem Youtube-Video, die Partei beschäftigt. Ohne es so klar auszusprechen, sah Prinz in der bisherigen Vorsitzenden Mertens ein zu schwaches Gegengewicht zum dominierenden linken Parteiflügel um ihren Co-Landeschef Philmon Ghirmai. Getragen wurde Prinz auch von der Gruppierung mit dem Kürzel „Gr@m, Grüne Realos in Mitte, sprich „gräms“. Es steht für jene vor allem im Kreisverband Mitte sehr starken Grüne, die einen bürgerlicheren Kurs anstreben.
BaWü oder Kreuzberg?
Sie fordern im Kern eine Linie mit mehr Baden-Württemberg und weniger Kreuzberg – im Südwesten stellen die Grünen bundesweit ihren einzigen Ministerpräsidenten. Dass die Berliner Grünen bei der Abgeordnetenhauswahl am 12. Februar nur Dritte wurden und aus der Regierung flogen, lasten sie einem Linkskurs im Wahlkampf an.
Wie verworren, fast schon bizarrr die Lage ist, zeigte am Samstag die Verabschiedung von Parteichefin Mertens – sie hatte nach der realo-internen Vorwahl angekündigt, nicht wieder für den Landesvorsitz anzutreten. Nach einer ausführlichen Dankesrede von Exfinanzsenator Daniel Wesener, untermalt von an die Wand geworfenen Mertens-Fotos, applaudierten die Delegierten fast geschlossen und stehend, als ob Mertens gerade eine Wahl gewonnen hätte. Zahlreiche Delegierte drängten an die Bühne, um sie zu umarmen.
Die Szene – direkt vor dem Tagesordnungspunkt „Vorstandswahl“ – ließ sich auch wie ein minutenlanger Vorwurf an Prinz werten, der Partei durch ihren Vorwahlsieg eine schier wunderbare Vorsitzende genommen zu haben. Dabei hatten unter der Hand nicht nur Prinz-Unterstützer, sondern auch Prinz-Kritiker aus beiden Flügeln gegenüber der taz klargemacht, dass sie unabhängig vom Richtungsstreit in Mertens keine starke Chefin sahen.
Dass Prinz scheitern würde, hatte sich in den Tagen vor der Wahl immer mehr abgezeichnet. Am Freitag hatten in einem offenen Brief neun der zwölf Kreisvorstände – inklusive Prinz' Heimatverband Tempelhof-Schöneberg – indirekt vor ihrer Wahl gewarnt. Ein Ausweg aber war nicht zu erkennen. „Sie musste jetzt erst verlieren, bevor es weiter gehen kann“, sagte ein Realo der taz. Prinz setzte offenbar darauf, dass gemäß inoffizieller Quotierung der linke Flügel die Realo-Vorauswahl – und damit sie – akzeptieren würde.
Dass in der Doppelspitze beide Flügel vertreten sind, ist zwar anders als die Frauenquote nicht in der Satzung festgeschrieben, wurde aber seit 2011 stets so gehandhabt. „Davon gehe ich aus. Wir sind eine Partei“, hatte Prinz im taz-Interview auf die Frage gesagt, ob ihr die Stimmen der Linken sicher seien.
Fraktionschef Werner Graf mühte sich am Samstag schon vor Parteitagsbeginn, den Eindruck einer Krise zu entschärfen. „Mein erster Parteitag war Bielefeld 1999, es geht also deutlich schlimmer“, erinnerte er an den damals eskalierten Bundesparteitag, als ein Farbbeutel Außenminister Joschka Fischer am Ohr traf – ein Ereignis, das den heutigen CDU-Kultusenator Joe Chialo veranlasste, die Grünen zu verlassen.
Wer soll übernehmen?
Prinz' emotionaler Abgang malte am Nachmittag Fragezeichen in die Gesichter vieler Delegierter. Sie gescheitert, Mertens aus dem Rennen – wer sollte übernehmen? Festlegen ließ sich bloß, was Co-Parteichef Ghirmai verkündete: Dass der Parteitag mit etwas Abstand am Mittwochabend weiter gehen soll. Aber mit wem als künftiger Co-Chefin?
Frühere erfolgreiche Führungsduos wie Wesener und die heutige Fraktionschefin Bettina Jarasch oder Graf und die jetzige Bundestagsabgeordnete Stahr waren über Monate ausverhandelt und besprochen worden.
Maßgebliche Realo-Frauen, die wie Stahr oder die Exfraktionsvorsitzende Silke Gebel vom linken Flügel mitgetragen würden, sind derzeit fest in Abgeordnetenmandate eingebunden. Als die Grünen letztmals eine Führungsfigur suchten, war das vor der Abgeordnetenhauswahl 2021. Weil man sich nicht auf eine der damals führenden beiden Frauen im Landesverband einigen konnte, wurde Jarasch, damals in den hinteren Bänken der Fraktion, als Spitzenkandidatin nominiert.
Die jetzige Lage hat zwar für langjährige Beobachter nicht das Ausmaß der Krise nach der Wahl 2011 – damals drohte die Spaltung der Parlamentsfraktion und die taz titelte: „Der Große Graben der Grünen“. Es gibt aber heute mehr Konfliktlinien: nicht nur Linke gegen Realos, sondern auch gemäßigte, von Kritikern als „soft gespült“ bezeichnete Realos gegen Sympathisanten der „gr@ms“.
Antje Kapek, von 2012 bis 2022 Fraktionschefin, sagte am Samstagnachmittag vor Journalisten: „Ich bin seit 20 Jahren bei Parteitagen, aber so etwas habe ich noch nie erlebt.“
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