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Landesparteitag der Berliner Grünen"Das Visionäre ist nicht Müllers Ding"

Beim Parteitag am Samstag steht das seit 2011 amtierende Spitzenduo Bettina Jarasch und Daniel Wesener vor der Wiederwahl. Inhaltlich geht es vor allem um Mieten und Wohnen.

Bettina Jarasch und Daniel Wesener Bild: DPA
Interview von Stefan Alberti

taz: Frau Jarasch, Herr Wesener, Sie beide stehen am Samstag erneut als Landeschefs zur Wahl, Gegenkandidaten gibt es bisher nicht – die Mitglieder scheinen Sie zu mögen. Was bei den Grünen nicht selbstverständlich ist: Frühere Vorsitzende fühlten sich als Fußabtreter der Partei.

Bettina Jarasch: Also, mein Eindruck ist: Wir haben Vertrauen zueinander. Ob die Mitglieder uns mögen, darüber möchte ich gar nicht spekulieren.

Daniel Wesener: Ich spekulier da schon – die mögen uns! Ich habe zumindest nie das Gefühl gehabt, Fußabtreter zu sein.

Wenn dem so ist, dann drängt sich doch die Frage auf, warum Sie beide nicht auch die Spitzenkandidaten für die Abgeordnetenhauswahl im nächsten Jahr sein sollten.

Jarasch: Diesen Samstag steht erst mal nur die Landesvorstandswahl an. Was die Abgeordnetenhauswahl angeht: Dafür werden wir als neuer Landesvorstand unserer Partei einen Vorschlag machen.

Aber stünden Sie denn grundsätzlich für die Spitzenkandidatur zur Verfügung, wenn man Sie denn fragen würde?

Wesener: Wenn man sich entschließt, 2015 für den Parteivorsitz zu kandidieren, will man automatisch Verantwortung für das Wahlprogramm und den Wahlkampf übernehmen.

Wohnungspolitik ist das große Thema dieses Parteitags – wird das auch das große Grünen-Thema bei der Wahl 2016?

Im Interview: 

Die Doppelspitze

Bettina Jarasch (46) und Daniel Wesener (39) wurden 2011 Grünen-Landesvorsitzende und 2013 mit Rekordergebnissen von rund 95 Prozent wiedergewählt. Jarasch, die auch im Bundesvorstand sitzt, wird den Realos zugeordnet, Wesener der Parteilinken.

Wesener: Diese Stadt ist dynamisch, darum würde ich mich gar nicht festlegen wollen, welche Themen nächstens eine zentrale Rolle spielen. Aber ich wage mal die Prognose, dass die Mieten-, Wohnungs- und Stadtentwicklungspolitik die Berliner auch 2016 noch beschäftigen.

Das Problem ist bloß, dass alle Parteien mehr Wohnungen versprechen und sich nur auf dem Weg dahin unterscheiden. Das ist kein echtes Alleinstellungsthema für einen Wahlkampf.

Jarasch: Natürlich ist allen Parteien klar, dass die Bevölkerung wächst und dass wir dieses Wachstum gestalten müssen. Aber es macht dann in der Praxis schon einen Unterschied, ob man diesen Anspruch wirklich hat oder das Gestalten den Investoren überlässt. Oder ob man glaubt, dass Bürgerbeteiligung bessere Ergebnisse bringt und nicht nur lästig ist. Und da ist mein Eindruck, dass die rot-schwarze Koalition aus dem Volksentscheid zum Tempelhofer Feld nichts gelernt hat und immer noch meint, Bürgerbeteiligung koste nur Zeit.

Sie spielen auf das 700-Wohnungen-Projekt am Mauerpark an, das der Senat vom Bezirk Mitte an sich gezogen hat?

Zum Beispiel!

Über zehn Jahre läuft die Diskussion dort schon – liegt da Stadtentwicklungssenator Geisel wirklich so falsch, wenn er sagt: „Jetzt sind alle Argumente ausgetauscht, jetzt muss – mit all den Nachbesserungen aus der ja vorhandenen Bürgerbeteiligung – auch mal gebaut werden angesichts von jährlich 45.000 Berlinern mehr“?

Wesener: Was völlig richtig ist, ist, dass es beim Mauerpark und anderswo einen Zielkonflikt zwischen unterschiedlichen – und ich betone: legitimen – Interessen gibt. Es gibt ein Gemeinwohlinteresse …

im Leitantrag zum Parteitag sprechen Sie vom „Primat des Gemeinwohls“

Wesener: … und es gibt AnwohnerInneninteressen. Das Problem am Mauerpark ist, dass der Senat einen schlechten Vertrag mit dem Investor abgeschlossen hat und jetzt einen Bebauungsplan an sich zieht, der auch aus unserer Sicht kritikwürdig ist.

Warum?

Wesener: Weil die Bebauung viel zu dicht ist, weil wieder ein relativ großer Teil im oberen Preissegment mit teuren Eigentumswohnungen angesiedelt ist.

Na ja, von 700 Wohnungen wären nur 194 Eigentumswohnungen. Über 120 hingegen sollen günstige Mieten haben, zudem soll es 219 Studentenwohnungen geben. Was wäre denn für Sie eine richtige Verteilung?

Wesener: Wir sagen, dass bei öffentlichen Bauvorhaben mindestens die Hälfte der Wohnungen preisgünstig und auch für Leute mit kleinem Einkommen bezahlbar sein soll. Aber auch bei privaten Baumaßnahmen kann die öffentliche Hand Einfluss nehmen, etwa über städtebauliche Verträge – das machen München und Hamburg vor. Hier ist unser Ziel, dass mindestens ein Drittel des Wohnraums zu kostengünstigen Mieten entsteht.

Senator Geisel hat zu hören bekommen, er hebele bezirkliche direkte Demokratie aus, weil ein geplantes Bürgerbegehren gegen die Bebauung am Mauerpark nun ins Leere läuft.

Wesener: Zu Recht – es ist klar, dass so eine Art der Stadtentwicklung von oben keine Akzeptanz finden kann in Berlin.

Von Jan Stöß, SPD-Landeschef und linker Sozialdemokrat, gibt es aus Zeiten des Tempelhofer-Feld-Volksbegehrens den Satz: „Bürgerbeteiligung heißt nicht Anwohnerdiktatur“. Was halten Sie davon?

Jarasch: Bürgerbeteiligung bedeutet tatsächlich immer, Grenzen klarzumachen, und es ist Aufgabe der Politik, nicht irgendeiner Bürgerinitiative hinterherzulaufen, die durchaus ein Partikularinteresse vertreten darf, sondern das Gemeinwohl im Blick zu haben. Aber die Frage ist, ob die Sicherung dieses Gemeinwohls fortan bedeutet, dass der Senat nun immer Dinge an sich zieht, wann immer sich irgendwo Protest formiert.

In dem Leitantrag ist mindestens ein halbes Dutzend Mal von bezahlbarem Wohnraum die Rede – aber auf diesen 8 langen Seiten steht nicht einmal, wie viel Euro pro Quadratmeter das für Sie konkret heißt.

Wesener: Was es so schwierig macht, ist, dass wir über unterschiedliche Gruppen reden müssen, über die Bezieher von Transferhilfe ebenso wie über Leute mit kleinem und mittlerem Einkommen. Grundsätzlich sagen wir: Es ist möglich und auch notwendig, im sozialen Wohnungsbau Mieten von 5,50 Euro pro Quadratmeter hinzubekommen.

Weil Sie hier so im Clinch mit der SPD liegen: Ist es für Sie eigentlich gesetzt, dass Regierungschef Michael Müller nach der Wahl 2016 nicht mehr mit der CDU regieren will und auf Rot-Grün oder eine schwierige Dreierkoalition mit Grünen und Linkspartei setzt?

Jarasch: Der Stadt würde es guttun, wenn es einen Wechsel gäbe, weil diese Koalition nicht den politischen Willen hat, sich richtig anzustrengen. Aber die Versuchung, es sich bequem miteinander einzurichten und weiterzumachen wie bisher, die gibt es durchaus bei SPD und CDU. Insofern würde ich sagen: Ausgemacht ist da noch gar nichts – aber mit Wowereit ist wenigstens jemand abgetreten, der ganz offensichtlich nicht mit den Grünen wollte.

Müller ist nun fast genau 100 Tage im Amt und hatte zum Start einen anderen Politikstil als Wowereit versprochen. Merken Sie davon etwas?

Jarasch: Ich attestiere ihm schon, dass er ein anständiger Arbeiter ist, der Dinge ordentlich machen möchte. Das ist erst mal gut, denn Schlendrian gab es genug. Was Michael Müller fehlt, ist irgendein Zukunftsbild von der Stadt, das einen begeistern könnte. Das Visionäre ist eben nicht sein Ding. Und Olympia als rot-schwarze Ersatzvision ist jetzt weg.

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