Lale Akgün kritisiert Schäuble: "Schluss mit der Islamkonferenz"
Der Bundesinnenminister redet nur mit den islamischen Exoten, sagt die SPD-Abgeordnete Lale Akgün. "Die liberale Normalität wird dort nicht abgebildet."
taz: Frau Akgün, laut einer Studie im Auftrag des Innenministeriums vertritt etwa jeder siebte Muslim in Deutschland radikale Positionen. Wie muss die Politik darauf reagieren?
LALE AKGÜN, 54, ist Psychotherapeutin und Islambeauftragte der SPD-Fraktion im Bundestag. Sie wurde in Istanbul geboren und kam 1962 nach Deutschland. Von 1997 bis 2002 leitete Akgün das nordrhein-westfälische Landeszentrum für Zuwanderung. Seitdem sitzt sie für die SPD im Bundestag.
Laut einer Studie des Innenministeriums vertreten 14 Prozent der Muslime in Deutschland "problematische" Einstellungen: Sie lehnen die Demokratie ab, befürworten Körperstrafen oder sind gar zu politisch-religiös motivierter Gewalt bereit. Unter muslimischen Schülern sind Gewaltakzeptanz und Antisemitismus weiter verbreitet als unter Erwachsenen. Gleichzeitig erfahren sie häufiger Ausgrenzung: Fast 80 Prozent beklagen eine Diskriminierung. WOS
Lale Akgün: Die Politik sollte sich die Ergebnisse genau anschauen. Denn dann sieht man, dass es zwei Gruppen gibt, die für radikale Positionen offen sind. Dies sind zum einen die bildungsfernen, zumeist jungen Muslime, die in der Leistungsgesellschaft weitgehend chancenlos sind. Und zum anderen eine kleinere Gruppe der gut ausgebildeten Vordenker.
Und wer macht Ihnen mehr Sorgen?
Die Meinungsmacher, die Ideologen. Wie kommt denn ein Junge in Deutschland dazu zu sagen, wer für seinen Glauben kämpft, kommt ins Paradies? Wo kommt denn so ein Gedankengut her?
Wie kommt man an diese Vordenker ran?
Das ist natürlich schwierig. Wichtiger ist zu verhindern, dass diese Ideologen junge Leute aus den benachteiligten Vierteln verführen und ihnen eine radikale Weltanschauung einimpfen. Irgendwo müssen sie diese Positionen doch aufschnappen. Das passiert eben vor allem in den Moscheevereinen und Koranschulen.
Im Februar veranstaltet Innenminister Wolfgang Schäuble die nächste Islamkonferenz, zu der viele muslimische Organisationen und Einzelpersonen kommen. Können dort die Probleme angegangen werden?
Nein. Der Weg, den der Innenminister hier eingeschlagen hat, ist gescheitert. Nach dieser Studie fordere ich eine Auflösung der Islamkonferenz.
Warum das denn? Warum sollte die Regierung den Dialog einstellen?
Dort sitzen doch genau diejenigen Vereinigungen und Leute, die eine solche islamisch autoritäre Weltanschauung vertreten - ob das der Islamrat, der Zentralrat der Muslime oder Ditib ist.
Aber auch islamkritische Stimmen wie Seyran Ates oder Necla Kelek sind dort vertreten.
Das ist doch genau das Problem. Innenminister Schäuble nimmt die autoritärislamischen Stimmen und die antiislamischen Stimmen. Er redet im Grunde genommen nur mit den Exoten. Aber die liberale Normalität wird dort nicht abgebildet.
Wissenschaftler fordern nun, Präventionsprogramme zu entwickeln, um die jungen Muslime von einer Radikalisierung abzuhalten. Funktioniert das?
Nichts gegen Präventionsprogramme. Aber man sieht doch beim Problem des Rechtsextremismus, dass viele der Programme nur von mäßigem Erfolg gekrönt sind. Die NPD gewinnt im Osten immer mehr an Boden. Man muss den Jugendlichen ein Angebot machen, Teil dieser Gesellschaft zu sein.
Das klingt nach einem schönen Wunsch, aber nicht nach einer Lösung.
Wir brauchen eine gemeinsame Identität. Wir müssen den jungen Muslimen die Möglichkeit geben, unter den großen Schirm Deutschland zu schlüpfen. Dann sieht die Sache nämlich schon ganz anders aus. Dann sind es nicht die Anderen, die Probleme haben. Sondern dann sind es unsere Jugendlichen, die Probleme machen.
Das Gegenteil ist der Fall. Wir leben laut der Studie nebeneinanderher. Fast 50 Prozent der Muslime berichten, dass sie keine oder fast keine Freunde unter den deutschen Nichtmuslimen haben
und 20 Prozent der Nichtmuslime sagen: Mit Muslimen wollen wir nichts zu tun haben. Wir haben das Problem, dass auf beiden Seiten Misstrauen und Vorurteile zunehmen. Das müssen wir überwinden.
Auch das klingt nach einem schönen Wunsch, aber nicht nach einer Lösung.
Man muss den Jugendlichen eben ganz andere Angebote machen. Junge Menschen, egal welcher ethnischen Herkunft, lechzen geradezu nach Anerkennung und Akzeptanz. Wenn die deutsche Gesellschaft ihnen nichts anbietet, dann bieten ihnen eben andere etwas an. Und das sind dann radikalislamische Organisationen, in deren Ideologiebuch Antisemitismus oder Gewalt im Namen der Religion stehen.
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