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Lagebericht aus TunisMedienstar Polizeiroboter

Ausgangssperre und irgendwie ist alles anders in Tunesiens Hauptstadt. Selbst Taxifahrer sparen sich ihre sonst so verwegenen Verschwörungstheorien.

Auch die schönstgelegenen Cafés in Tunis sind geschlossen Foto: dpa

Die Stimme des Gesundheitsministers ist brüchig, als er am Montag vor die Kameras tritt, Tränen stehen in seinen Augen. Man werde alles verlieren, was man bisher erreicht habe, wenn die Bürger nicht endlich zu Hause blieben, fleht Abdelatif Mekki. Die Pandemie sei in Tunesien nun außer Kontrolle. Dabei hatte die gerade erst ins Amt gewählte tunesische Regierung das öffentliche Leben schnell und effektiv gestoppt. Auf dem Weg zum Supermarkt trifft man nur wenige Passanten. Medienstar ist ein kleiner Polizeiroboter, den das Innenministerium durch die Straßen fahren und Vorbeigehende nach der nötigen Sondergenehmigung fragen lässt.

Vogelgezwitscher prägt die sonst so staugeplagten Straßen in der Innenstadt. Neben den Autos sind sogar die schlechten Manieren verschwunden. In der Schlange vor dem Supermarkt schiebt sich niemand mehr im letzten Moment an den anderen vorbei, disziplinierter Abstand überall. Das Miteinander der von notorischen Geldsorgen geplagten Tunesier ist normalerweise geprägt von kleinen Grenzüberschreitungen, ohne Ellenbogen glaubt man sich nicht wirklich durchsetzen zu können.

Seit der Corona-Ausgangs­sperre ist irgendwie alles anders. Auch ohne Expertentalkshows in Dauerschleife wie in Deutschland wissen die Tunesier, dass ihre Welt nach der Krise nicht mehr dieselbe sein wird. Offiziell haben sich zwar weniger als 1.000 Menschen mit dem Coronavirus infiziert. Aber schon bald sind die Krankenhäuser überfordert, sagt der Minister.

Der Weg in den Küsten-Vorort La Marsa führt vorbei an Polizeikontrollen, überall ernste Gesichter. Selbst die Taxifahrer sparen sich ihre sonst so verwegenen Verschwörungstheorien. Mohamed Kabiri zuckt nur mit den Schultern, auch wenn er nach seiner 10-Stunden-Schicht mit kaum mehr als 20 Euro nach Hause gehen wird. Die Straßenmärkte sind voll, denn ohne sie würden die ersten Familien schon hungern, Studenten verteilen selbst hergestellte Gesichtsmasken. Eine neue Solidarität hat Tunesien erfasst, das mit dem erneuten Wegfall der Tourismussaison wirtschaftlich am Abgrund steht. Viele private Initiativen packen dort an, wo der Staat ein Vakuum hinterlässt.

Die Reden des Gesundheitsministers und des Premiers waren nüchterne Lageanalysen. Ein neuer Ton ohne Beschwichtigung oder falsche Versprechen, der sich irgendwie auf das ganze Land überträgt. Die Bürger fühlen sich erstmals ernst genommen. Plötzlich kann man viele Zahlungen an Behörden online erledigen. Aus einem Hotel auf Djerba soll nun eine Wohnanlage für Rentner werden, denn All-inclusive-Urlaub hat sich wohl zunächst erledigt. Tunesien hat sich vor vielen nötigen Reformen gedrückt. Mit der Coronakrise werden diese dringender.

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1 Kommentar

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  • Sehr geehrte Herr Keilberth,



    Ihre Ausführungen sind nicht nur so karg, dass sie der Erwartung an journalistischer "Lageberichterstattung" nicht annähernd gerecht werden, sondern sie sind vor allem durchzogen von kolonialistisch-rassistischen Darstellungen. "Neben den Autos sind sogar die schlechten Manieren verschwunden. (...) disziplinierter Abstand überall. Das Miteinander der von notorischen Geldsorgen geplagten Tunesier ist normalerweise geprägt von kleinen Grenzüberschreitungen, ohne Ellenbogen glaubt man sich nicht wirklich durchsetzen zu können." Den ´schlechten Manieren´ tunesischer Bürger*innen wird das s.g. disziplinierte Abstand halten gegenüber gestellt. Eine ´Tugend des Westens´, die nun auch die sonst so ´grenzüberschreitenden´ Tunesier*innen gelernt haben. Der Satz, "Selbst die Taxifahrer sparen sich ihre sonst so verwegenen Verschwörungstheorien." , nimmt nun die nächste Gruppe, am Berufsstand identifizierbaren Verschwörungstheoretiker, in die abwertenden Verallgemeinerungen mit auf. Neben diesen zutiefst rassistisch-kolonialistischen Ausführungen kommt nun noch eine eurozentristische Verkennung des Engagements der Bürger*innen in Tunesien hinzu: "Eine neue Solidarität hat Tunesien erfasst (...).Viele private Initiativen packen dort an, wo der Staat ein Vakuum hinterlässt." Auch dies ist keine neue Solidarität, denn die Menschen haben schon lange durch privates und zivilgesellschaftliches Engagement fehlende sozialstaatliche Absicherungen aufgefangen. Nicht erst seit der Revolution 2011 sollte dies auch für das "europäische Auge" sichtbar sein: die große zivigesellschaftliche und solidarische Kraft der Menschen, die nicht nur eine Diktatur zum Sturz brachten, sondern auch seit Jahren ihr Leben und ihre Politik neu gestalten. Wo hier anstelle demokratischer und zivilgesellschaftlicher Durchsetzungpraktiken, die von Ihnen genannte "Durchsetzung nur durch Ellenbogeneinsatz" sei soll, stellt ein Verkennung sondergleichen dar. #decolonizejournalism