: Lafontaine voll des Lobes für Kohl
■ SPD-Kandidat stellte sich seiner Volkskammer-Fraktion vor / Soziale Gleichheit nicht finanzierbar
Aus Berlin Klaus Wolschner
„Ich bin nicht hierhergekommen, um Versprechungen zu machen“, dämpfte der SPD -Kanzlerkandidat bei seinem ersten Besuch der SPD-Fraktion in der DDR-Volkskammer die Erwartungen. Die Parlamentarier sollten ihren Kandidaten einmal, so hatte DDR-Parteichef Thierse den Besuch des Gastes erläutert, nicht nur aus dem Fernsehen kennenlernen.
Lafontaine lobte demonstrativ den Kanzler und dessen erfolgreichen Besuch in der Sowjetunion: Deutschland sei „der staatlichen Einheit immer näher gekommen“, wertete Lafontaine. Er begrüße „ohne Einschränkung“ die Ergebnisse von Kohls Gorbatschow-Besuch und auch die Festlegung der Bundeswehrstärke auf 370.000 Mann.
Allerdings sei die Einheit nicht nur staatliche Einheit. Er sei nach Ost-Berlin gekommen, meinte der Kanzlerkandidat, um sich über die Situation im Lande nach der Einführung der D -Mark zu informieren. Die wirkliche Einheit sei die der Lebensverhältnisse. Es gebe „enorme sozialen Probleme“.
Am Vormittag hatte Lafontaine Bauarbeiter auf dem Alexanderplatz besucht und vor den dort versammelten Journalisten versichert, er werde deren Sorgen und Nöte in die Verhandlungen um den zweiten Staatsvertrag mit einbringen. Alle begonnenen Bauprojekte müßten vollendet werden, DDR-Bürger müßten ein Vorkaufsrecht für ihre Wohnungen haben.
Der Kanzlerkandidat forderte erneut ein Infrastrukturprogramm für die DDR. Lafontaine wollte die sozialen Probleme in der DDR allerdings nicht auf seine Kritik an der schnel len Währungsunion beziehen. „Niemand hat gesagt, das ist die Folge der Politik der Bundesregierung“, schwächte er seine frühere Position ab. In ihrem Entwurf für einen zweiten Staatsvertrag hat die Bundes-SPD die Fortgeltung der spezifischen Sozialgesetzgebung der DDR, also unterschiedliche Beträge für Sockelbeträge der Sozialhilfe und der Arbeitslosenhilfe, gefordert. Eine Angleichung der sozialen Mindestniveaus könne die SPD nur fordern, so Lafontaine, wenn „dies finanzierbar ist“.
Die SPD-Fraktion hatte pünktlich zum Lafontaine-Besuch ihre Position für Berlin als Hauptstadt festgelegt. Lafontaine meinte dazu vorsichtig, er habe für sich in dieser Frage „noch keine entgültige Entscheidung“ getroffen. Andere Probleme seien vorrangig, ein Umzug der Bundesregierung nach Berlin teuer. Das Angebot aus Bonner SPD-Kreisen an Vertreter der DDR-Bürgerrechtsbewegungen, sie könnten auf SPD-Listenplätzen die Fünf-Prozent-Sperrklausel überwinden und Huckepack in das erste gesamtdeutsche Parlament einziehen, gab es dagegen an die Schwesterpartei zurück: Er appellierte an die DDR-SPD, solche Listenplätze zur Verfügung zu stellen.
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