Ländersache Rauchverbot: Super-Nanny und die Taliban
Beim Ringen ums Rauchverbot bekommen in den Regierungskoalitionen der Bundesländer plötzlich die Kleinparteien FDP und Grüne eine Schlüsselrolle.
Frikadellenlösung: Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom Juli erlaubt nur ganz bestimmte Raucherkneipen (unter 75 Quadratmeter Gastfläche, kein Nebenraum, Zutritt nur für Erwachsene). Kniffligstes Kriterium: Es darf keine "zubereitete Speisen" geben. Ministerialbeamte in ganz Deutschland überlegen gerade, was das heißt. Ist die Frikadelle eine Speise oder ein Imbiss? Frikadellen (italienisch frittatella: "Gebratenes") sind ein einfaches Gericht. Man muss aber von Zubereiten sprechen (Hackfleisch, aufgeweichtes Brötchen, Salz, Pfeffer, Zwiebeln etwas Senf, braten), besonders wenn das Rezept verfeinert wird (zum Beispiel Muskat). Aber was wäre, wenn eine Raucherkneipenwirt Ikea-Köttbullar aufwärmt?
Fleischpflanzerllösung: Variante zwei wäre ein Komplettverbot so wie in Bayern. Dort darf jetzt schon in keiner öffentlich zugänglichen Kneipe geraucht werden - ganz egal, ob dort ein Fleischpflanzerl (im bayerischen Schwaben sagt man: Fleischküchle) gereicht wird oder nicht. Auch diese Regelung ist nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts in Ordnung.
In Baden-Württembergs CDU ging es hoch her. Als sich die christdemokratische Gesundheitsministerin Monika Stolz für strenge Rauchverbote starkmachte, ballerte der Generalsekretär der Regierungspartei los: "Von der Wiege bis zum Tode, nur Verbote, nur Verbote", schimpfte Thomas Strobl, selbst ein Raucher. Weil er auch noch über "Gutmenschen", "raucherfeindliche Eiferer" und "Totalitarismus" herzog, sah sich Christian Bäumler, Exraucher und Chef des CDU-Arbeiternehmerflügels, ausgegrenzt. "Wir sind keine Taliban!" Inzwischen hat sich der Krieg abgekühlt. Dennoch diagnostiziert ein CDU-Politiker: "Durch Partei und Fraktion geht in dieser Frage ein Riss."
Einen Monat ist es her, dass das Bundesverfassungsgericht das baden-württembergische Rauchverbot in Gaststätten gekippt hat - und damit auch die Regelungen in 14 anderen Bundesländern. Nun müssen die bisherigen Gesetze - Verbot bis auf abgetrennte Raucherräume - überarbeitet werden. Die Richter erlauben zwei Varianten: Eine würde den Qualm aus allen Kneipen und Restaurants vertreiben, so ist es bisher nur in Bayern. Die andere Variante würde neben abgetrennten Raucherzimmern auch reine Raucherkneipen mit nur einem Raum gestatten. Die großen Parteien sind gespalten wie die CDU im Südwesten. Auch in der SPD ist das nicht anders, es gibt Peter Struck, einst Pfeifenraucher des Jahres, und es gibt Lothar Binding, Schrecken der Tabaklobby. Damit kommt den kleinen Parteien eine Schlüsselrolle zu: Die Grünen dringen auf strengen Gesundheitsschutz, die FDP kämpft für die Raucher.
So ist es auch in Baden-Württemberg. Die Liberalen regieren in Stuttgart mit der CDU, und da der große Partner uneins ist, hofft die Kleinpartei den Ausschlag zu geben. "Wenig Totalitarismus, viel Liberalität und viel gesunden Menschenverband", charakterisiert der FDP-Wirtschaftsminister Ernst Pfister schon mal das Ergebnis der Verhandlungen, bevor sie überhaupt begonnen haben. In Nordrhein-Westfalen hat die FDP die Tabakfans in der CDU so gestärkt, dass ein Staatssekretär im Gesundheitsministerium mit der Begründung hinschmiss, als Arzt sei es seine Pflicht Leben zu schützen.
"Wo die FDP regiert, ist die bayerische Radikallösung nicht zu machen. In Baden-Württemberg nicht, in Nordrhein-Westfalen nicht und in Niedersachsen nicht", sagt Detlef Parr, Drogenbeauftragter der FDP-Bundestagsfraktion. "Und in Bayern wird es auch anders werden, weil die FDP bei der Landtagswahl erfolgreich sein wird."
Die Grünen versuchen dagegenzuhalten. "Unser Ziel bleibt ein generelles Rauchverbot am Arbeitsplatz und in den Kneipen und Gaststätten", sagt die Bundespolitikerin Bärbel Höhn. "Es geht nicht an, dass die Gesundheit von Bürgern in Hessen oder NRW weniger wert ist als in Bayern."
Die Grünen regieren in Bremen und Hamburg mit. "Ich bin für ein absolutes Rauchverbot", sagt Linda Heitmann, die gesundheitspolitische Sprecherin der Hamburger Grünen-Fraktion. "Ausnahmeregelungen führen ins Uferlose. Da sind sich die Gesundheitspolitiker der schwarz-grünen Koalition einig." Auch ihre Bremer Kollegin Doris Hoch sagt: "Ich finde die bayerische Regelung sympathisch. Die Eierei mit all den Ausnahmen habe ich langsam satt."
Allerdings, das sieht auch die Grüne Hoch, muss das rot-grüne Bremen als Stadtstaat auch auf sein Umland gucken. Und wer sitzt nebenan in Niedersachsen mit der CDU in der Regierung? Die FDP. Sie war schnell. Kurz nach dem Karlsruher Urteil Ende Juli fegte sie gemeinsam mit den Rauchfreunden der Union die Wünsche der tabakfeindlichen CDU-Gesundheitsministerin beiseite: Raucherkneipen soll es geben, sie müssen nur kleiner als 75 Quadratmeter und dürfen kein Speiserestaurant sein - so hat es das Bundesverfassungsgericht schon für die Übergangszeit vorgegeben.
Gerade diese schnellen Entscheidungen können stilbildend wirken in Ländern, wo nur CDU und SPD oder beide gemeinsam regieren: Wenn sich die großen Parteien nicht einig sind, könnte das Ziel als Argument dienen, den Nichtraucherschutz deutschlandweit möglichst einheitlich zu regeln.
Am 5. September beraten deshalb in Berlin die Gesundheitsminister der Länder, im Oktober die Ministerpräsidenten. Allerdings werden bei beiden Treffen weder Politiker von FDP noch von den Grünen vertreten sein. Umso wichtiger ist es für sie, vorher Druck zu machen. "Wir brauchen keine Super-Nanny, die uns sagt, wie wir zu leben haben", verkündet der FDP-Politiker Parr. Bärbel Höhn von den Grünen kündigt an, ihre Fraktion werde gleich nach der Sommerpause im Bundestag einen Antrag stellen - egal, was die Länder machen: Rauchverbot an allen Arbeitsplätzen, lautet die Forderung, auch in der Gastronomie.
Nur sitzen die Grünen im Bundestag in der Opposition, Bremen und Hamburg sind ihre einzigen Regierungsbeteiligungen. Obendrein gesteht die Bremer Gesundheitssprecherin Doris Hoch: "Bei uns Grünen ist die Haltung auch nicht ganz einheitlich."
Eine Qualmgegner-Partei ist allerdings auch die Linke. Sie regiert im wichtigen Berlin mit der SPD. Sie stellt die Gesundheitssenatorin. Sie will die bayerische Lösung. Noch eine Juniorpartnerin mit Schlüsselrolle.
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