Lady Gagas Berlin-Konzert: Kopfüber in den Fleischwolf
Lady Gaga gibt ein Konzert in Berlin, und alle kommen: die Kinder, die Hausfrauen und Tussen, die Hipster und Schwulen und auch die Filialleiter.
Auf einem schwarzen Einhorn aus einer Ritterburg in die Berliner O2 World zu reiten, ist schon recht originell. Ein anderer weiblicher Popstar könnte nun als schwarzverschleiertes Burgfräulein zunächst drei Lieder performen, bevor das nächste Kostüm präsentiert wird. Stefani Germanotta alias Lady Gaga aber weiß am Donnerstagabend, dass mehr von ihr erwartet wird. Und so wechselt sie ihre berühmt-bizarren Kostüme im Minutentakt.
Nach nur zwei Minuten hat sich die 26-Jährige in eine Art Insekt verwandelt. Dann öffnet sich die Ritterburg – und gebiert einen Riesentruthahn, aus dessen Innerem Gaga im gelben Latexkostüm steigt, um sodann mit einer Tänzerschar den ersten richtigen Song des Abends anzustimmen: „Born this Way“. Die Choreografie dazu ist ebenso lässig wie die warme Begrüßung. Und schon hat dieses Gesamtkunstwerk die 16.000 Zuschauer im Griff.
Die Souveränität, mit der Gaga, nach 90 Millionen verkauften Alben längst ein Megastar, eine beeindruckende Nähe zu ihrem Publikum aufbaut und hält, löst eine euphorische Gänsehaut der Bewunderung aus, die zwei Stunden lang anhalten wird. Keiner soll zurückbleiben, jeden will sie mitnehmen durch ihre Show. Deswegen ergehen ständig Befehle ans Publikum: „Arme hoch!“; „Springt!“; „Say my name!“; „Jetzt alle!“ Während das Publikum „Gaga“ singt, umkreisen als Schaufensterpuppen in Hochzeitskleidern verkleidete Tänzer den vorderen Innenraum.
Darüber, was Lady Gaga ist und was sie eben nicht ist, wurde schon alles gesagt. Sie sei eine Kunstfigur, hieß es, und sie sei nicht ernst zu nehmen, wegen der Musik, die sie macht: Kirmestechno. Auf der Bühne zeigt sich Gaga vor allem als großartige Entertainerin. Den ganzen Gaga-Diskurs der letzten Jahre baut sie einfach mit in ihre Show ein: „Ich bin, weil ihr mich erschaffen habt“, sagt sie. Ihre an die „Rocky Horror Picture Show“ angelehnte Rolle eines verfolgten Popstars von einem anderen Stern zieht sie dann aber nicht erkennbar konsequent durch. Die Story ist nicht so wichtig.
Eingängiger Refrain und wenig Akkorde
Irgendwann verrät jemand den geflüchteten Alien-Popstar, dazu wird der Song „Judas“ gegeben. Der ist langweilig, bis auf die Metal-Einlage am Ende, und weniger eingängig als die meisten Gaga-Songs, die der simplen, aber immer gut funktionierenden Popsong-Struktur folgen: Eingängiger Refrain und wenig Akkorde – darüber ausgebreitet ein Elektroteppich.
Dann ist es Zeit, mit den Gästen zu plaudern. „Willkommen, Bienvenue, Welcome“ führt sich die Gaga wie ein Conférencier ein und betont ein ums andere Mal, wie sehr sie die Stadt Berlin und ihre Fans liebe und wie dankbar sie für ihr Kommen sei. In Anbetracht der saftigen Ticketpreise, die bei 86 bis 114 Euro liegen, darf man diese Danksagung auch erwarten.
Gaga freut sich, dass Leute, die hart arbeiten, für ihre Show ihr Geld ausgeben. Und sie freut sich darüber, wie viele sich die Mühe gemacht haben, sich aufzubrezeln. „Mir ist es scheißegal, was die Leute über mich sagen und darüber, wie ich mich anziehe“, betont sie und sendet eine warme Umarmung an alle, die sich anders oder sich nicht gut genug fühlen, und an alle, die heute Abend zu ihr gekommen sind.
Gekommen sind die Kinder, die Hausfrauen mit rotgefärbten Haaren und die blonden Tussen, die Hipster mit Jutebeutel, Dutt und zerrissenen Strumpfhosen, die Schwulen, verkleidet mit Glitzer und Perücke, in Jeansjacken auf nackter Haut, die Filialleiter im Anzug und potenzielle DSDS-Teilnehmer.
Hand auf dem Hintern
Darunter ist auch eines der weiblichen Groupies, das Lady Gaga schon seit langem nachreist. Die Lady bittet sie cool auf die Bühne. Dann singen die beiden zusammen „Princess Die“, während das Groupie-Mädchen die ganze Zeit ihre Hand auf Gagas Hintern hat. „Wenigstens weiß sie, was sie will“, kommentiert Lady Gaga dies ungerührt und sieht dabei sehr gut aus.
In der zweiten Konzerthälfte werden gehäutete Plastiktierkadaver an Fleischerhaken gehängt, eine tarantinoeske Hochzeitszene mit Flamencotänzerinnen und jeder Menge Kalaschnikow-Ästhetik abgefeiert. Frauen und Waffen – das ist eine Kombination, die immer gern gesehen wird. Zu „Pokerface“ wirft sich Gaga kopfüber in einen riesigen Fleischwolf. Der Song bringt ihr ewiges Thema auf den Punkt: Die sexuell befreite Frau, die für diese Freiheit mit Liebesverzicht bezahlt, den sie aber wiederum durch ihre Fans kompensiert.
Zu dem super Kitschsong „Alexandro“ dürfen ihre attraktiven Tänzer dann noch mal eine total überzogene, oberschwule Tanznummer in Unterhosen hinlegen, bevor am Schluss „On the Edge“ erklingt, hoch vom Burgturm hinab. Jetzt sind alle auf den Beinen. Nicht nur, weil Gaga befiehlt: „Move your pussies off the floor!“ Sondern weil die Leute von der gigantischen Show Gagas und ihrer starken Stimme hingerissen sind. Lady Gaga ist der 3-D-Blockbuster, für den es sich noch lohnt, ins Kino zu gehen, statt eine abgefilmte, ruckelnde Version zu Hause am Rechner zu gucken.
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