Pick Pockets: Lachen über das Gute
■ Die schönste Weihnachtsgeschichte gegen einen falschen Frieden mit dem Kapital ist immer noch Charles Dickens' „Weihnachtsmärchen“
Alle Jahre wieder drücken die Taschenbuchverlage tonnenweise Weihnachtsbücher auf die Verkaufstische der Buchhandlungen. Das meiste ist sentimentales Zeug, Erbauliches und Besinnliches, in dem die Vorstellungswelt des 19. Jahrhunderts mit leise rieselndem Schnee und Schlittenfahrten durch die heile Winterwelt ziemlich trübe Urständ feiert. Das inzwischen auch sattsam bekannte Kontrastprogramm bilden solche satirischen oder, schlimmer noch, satirisch gemeinten Anthologien, in denen all das aufs Korn beziehungsweise auf die Schippe genommen wird, worüber nicht einmal mehr der Weihnachtsmann lachen kann.
Daß nun ausgerechnet ein – wenn nicht der – Klassiker aller Weihnachtsgeschichten frischen Wind in den verschnarchten, literarischen Weihnachtstrübsinn bringen soll, mag etwas seltsam klingen. Die Rede ist von Charles Dickens' „Ein Weihnachtsmärchen“, das 1843 in London unter dem Titel „A Christmas Carol in Prose. Being a Ghoststory of Christmas“ erschien und seitdem in zahlreichen Ausgaben und Varianten um die Welt gegangen ist, als Bilderbuch, als dramatisierte Inszenierung, in diversen Verfilmungen.
Die unverwüstliche Geschichte vom alten, fiesen, steinreichen und bittergeizigen Scrooge, der seine Mitmenschen ausbeutet und tyrannisiert, bis er von einem Geist, der ihm an Weihnachten erscheint, bekehrt wird und sich dann alles in einem rührenden Happy-End zu eitel Freud' und Frieden wendet, diese Geschichte hat auch nach 150 Jahren nichts von ihrem Zauber verloren. Und in einer gesellschaftlichen Situation, in der die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter auseinanderklafft, ließe sich anhand dieser Geschichte noch einmal darüber nachdenken, warum Geben denn eigentlich seliger denn Nehmen ist – oder zumindest sein kann. Scrooge jedenfalls macht die Erfahrung, daß sein rigoros kapitalistischer Zynismus ihn nicht glücklich macht. Weil Dickens Realist war, wurde er zwangsläufig zum Sozialkritiker, wobei sich sein Engagement merkwürdigerweise aus einer radikal-konservativen Ideologie speiste.
Schön und gut. Was soll's? Das alles kennen und wissen wir schon. Die Buchausgabe, die jetzt als Lizenz des Zürcher Haffmans Verlages in wunderschöner Ausstattung bei Heyne erschienen ist, verleiht dem Altbekannten aber einen frischen und zeitgemäßen Ausdruck. Der Witz dieser Ausgabe liegt in ihrer Übersetzung und ihren Illustrationen, beides besorgt von Volker Kriegel.
Die Übersetzung ist frei, das heißt, daß sie Charles Dickens' viktorianische Gestelztheit in ein lockeres, modernes Deutsch bringt und sich Weglassungen und Einfügen neuer Wendungen gestattet – und diese Freiheit erfrischt die ganze Sache aufs wunderbarste.
Ein übriges tun Kriegels Illustrationen, detailreiche, cartoonartige Blätter, deren Charme die Sentimentalitäten des Textes sehr erträglich machen. Der alte Scrooge war übrigens das Vorbild für einen anderen weltberühmten Geizhals, nämlich den Großkapitalisten und Bankier Dagobert Duck aus Entenhausen, der in der amerikanischen Originalfassung sinnvollerweise Scrooge McDuck heißt. Natürlich hat Volker Kriegel seinen Scrooge nicht als Ente gezeichnet, aber in der Art, in der seine Illustrationen angelegt sind, schimmert auf sehr subtile Weise auch die Cartoon-Kunst des genialen Disney-Zeichners Carl Barks durch, der Scrooge McDuck erfunden hatte.
Scrooge wandelt sich vom Blutsauger zum Wohltäter. „Es gab Leute“, heißt es zum Schluß, „die über seine Veränderung lachten, aber er ließ sie lachen und machte sich nichts daraus. Er war klug genug, um zu wissen, daß niemals etwas Gutes geschehen ist auf dieser Erde, ohne daß einige Leute zunächst einmal darüber lachten.“ Klaus Modick
Charles Dickens: „Ein Weihnachtsmärchen“. Übersetzt und illustriert von Volker Kriegel. Heyne TB, 14 DM
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen