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LOB DER ZICKIGKEIT

■ „Wild wie Milch und Zobelsüß“ in der Tanzfabrik

Hysterikerinnen aller Berliner Stadtteile, habt Ihr noch eine Tante unter die Erde zu bringen, dann freut Euch! Dies ist der schönste Anlaß, um Schreikrämpfe auszuleben, in Ohnmacht zu fallen, die Wände hochzugehen und mit spitzen Fingern in fremder Wäsche zu wühlen.

Das Tanztheaterstück Wild wie Milch und Zobelsüß von Sabine Lemke ist Euch gewidmet. Es ist ein gnadenloses Bekenntnis zur Zickigkeit, ein Reigen der Schrei- und Fallsucht, der Krämpfe und des Ausrastens und des nicht enden wollenden Spiels vom Stürzen und Gerettetwerden. Schwarz bestrumpft und schwarz behutet, nur in der erotischen Leibesmitte von flatternden roten Unterhosen gewärmt, lieben die Ungeliebten den kleinen verachtungsvollen Seitenblick und erleben jede Differenz zur Gemeinschaft der trauernden Schwestern als Triumph. Da lauert jede schniefend rotzend auf ihren Auftritt: Die kleinste (Alina Lieske) röhrt sich die Seele aus dem Leib, die sprödeste (Stephane Flechet) weidet sich in rotem Licht und verruchtem Klang, die unberührte (Claudia Feest) bringt sich hektisch rennend in Schweiß, die coolste (Sygun Schenck) verwandelt ihre unterdrückten Begierden in einen Geier, und die wildeste (Ka Rustler) darf unter den Jungfern mit ihren Lüsten hausieren gehen.

Für das gestorbene Tantchen vereinigen sich die Scheinheiligen im Walzerschritt. Eifersüchtig konkurrieren sie in der Intimität ihrer Beziehung zur Verblichenen. Nachts klopfen sie die Wände ab, scharren am Boden, als würden sie die Erbschaft suchen. Ihre kleinen mausigen Bewegungen, hektisch und versteckt, begleitet eine Comic -Musik wie Disneys trippelnde Trickfiguren.

In Wild wie Milch und Zobelsüß benutzt die Choreographin Sabine Lemke einen ähnlichen Kniff wie in ihrem 1984 entstandenen Tanzstück Irmtraud Franke oder Das himmlische Abenteuer. Damals deutete sie die abgeschiedene Situation eines Klosters an, innerhalb dessen strenger Grenzen der Tanz zur Rebellion wurde. Auf der Jagd nach den letzten Tabus, die es routiniert zu brechen gilt, hat Lemke jetzt die Fiktion der Trauergemeinschaft als Hilfskonstruktion entworfen. Sie baut diesen eigentlich schon vergessenen Rahmen gesellschaftlichen Anstandes, der gedämpften Bewegungen, der Zurückhaltung und der Stille erst auf, um dann um so heftiger mit Exaltation und Exhibition dagegen verstoßen zu können. Denn erst im Verstoß entsteht die Lust an einer ansonsten harmlosen Geste.

Doch der Widerstand, auf den ihre Regelverletzungen sich berufen, verblaßt zur Ungreifbarkeit. Der Umbruch der Trauergesten in die verdächtige Betriebsamkeit der Selbstbefriedigung reicht nicht als choreographisches Konzept. Es bleibt eine bunte Mischung von Solis und Ensembleauftritten übrig, in der zum Schluß die Einfälle verramscht werden. Die vielen Bildwechsel wirken, als wolle die Choreographin unnötigerweise mit dem Schnittempo einer Fernsehshow konkurrieren. Die atmosphärische Einfärbung der Szenen verdankt sich schließlich oft größtenteils der Musik -Collage, die dramatische und komische Akzente setzt.

Katrin Bettina Müller

Wild wie Milch und Zobelsüß, Tanzfabrik. 29. Juni bis 1. Juli, 6. bis 8., 13. bis 15. Juli, jeweils um 20.30 Uhr

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