: LIEBE OHNE LEIDEN
■ Udo 90 in der Deutschlandhalle
Seit zwanzig Jahren ist er der deutschsprachige Megastar, und das Phänomen Udo Jürgens wurde ganz ausführlich schon von Sachverständigen wie zum Beispiel J.M. Simmel, Axel Eggebrecht, Adolf Sommerauer etc. untersucht.
„Man hat mir oft vorgeworfen, daß ich immer zur richtigen Zeit Lieder berechnend einsetze, und ich möchte jetzt an diesem Tag deutlich sagen, daß ich aus Respekt vor dieser Stadt und den Gefühlen heut‘ abend, kein Lied singen werde, das Berlin zum Inhalt hat. Ich möchte nicht in Verdacht geraten, daß ich ganz bewußt und berechnend auf diese Ereignisse reagiere.“ - Sagt Udo Jürgens. Freitag abend in der Deutschlandhalle. Andere Lieder, so fügt er an, hätten allerdings auch „diese Gefühle“ zum Thema. Und beginnt gleich mit einem Stück, in dem es heißt, „daß die Rechte der andern auch unsre Pflichten sind“.
Ohne Zweifel ist Udo Jürgens, noch vor Harald Juhnke, der souveränste, schönste, größte Entertainer. Und darüber hinaus musikalisch, männlich-elegant. Schlicht perfekt in seinen Bewegungen, wenn er immer leicht nach vorne gebeugt Rock'n'Roll- oder Blues-Einlagen zitiert. Und selbstironisch distanziert wie bei der Präsentation des Fußballnationalmannschafts-Italienliedes: „Ein Lied, das die Vorfreude auf Italien - es wird klappen, klar! - ausdrückt: Wir sind schon auf dem Brenner / wir brennen schon darauf / wir sind schon auf dem Brenner / ja, da kommt Freude auf.“
Begleitet wird er vom Pepe Lienhard Orchester, einer 12köpfig multikulturellen Big Band. Klangteppich a la Juhnke oder Hilde Knef, und jeder hat sein Solo - „einen großen Applaus für sowieso“. Unaufdringlich illustrieren Dias das Geschehen; im roten oder blauen Scheinwerferlicht schmilzt Udo, schmelzen die Herzen der Zuschauer, schmelzen die Violinen, hauchen Bläser, perlen Klaviertöne. - „Ist das nicht ein toller Abend?!“ Der Flügel ist weiß, die Flügelbeine durchsichtig. Ungefähr fünfzig Blumensträuße werden Udo von bewegten Frauen überreicht, die meist zu zweit vor die Bühne eilen.
Sein Timing ist perfekt; ihm gelingt es, über ungefähr 20 Minuten den schmerzenden Abschied, eben mit Liedern, die das thematisieren, vorzubereiten. So vorzubereiten, daß lange vor Schluß plötzlich alle Frauen zur Bühne strömen und ihm die Hände entgegenstrecken. Die er schüttelt oder elegant küßt. „Da capo!“ Ihm gelingt es, sich wirklich zu verabschieden oder den Abschied so hinauszuzögern, daß sein Abschiedsgruß auch der letzte Gruß ist. Irgendwie erinnert er mich an Rainald Goetz. Aber das ist eine andere Geschichte.
Unvergeßlich ist das Publikum. Unaffektiert, würdevoll, schüchtern und freundlich vom Leben gezeichnet. Zerfurchte Männer und ihre Frauen im alten Flitter stehen Schlange vorm Bier. Viele kommen aus der DDR. Alle sind zwischen 40 und 70. Alle rauchen - in den Pausen natürlich. Manche sagen: „So ein eleganter Mann und doch so männlich.“ Am Rande stehen zwei Althippies; mit Janis-Joplin-Pelz, von der RZ? Jedenfalls hat das Publikum seinen eigenen Willen, es klatscht rhythmisch, wenn es nicht klatschen soll; es summt nicht mit, wenn es summen soll. Zeigt dann aber doch, daß es summen kann, als der schwarze Trommler nach vorne kommt und die Leute halt zum Summen animiert: „Düdüdüdüdü düdü düdüdüdüdü düdü düdüdüdüdü düdü düdüdüdüdü“ (Liebe ohne Leiden). Vielleicht ist das die sozialdemokratische Basis, an ihrer Spitze Walter Momper nach einem schweren Tag. Der Papa wird's schon machen.
Sehnsucht oszilliert im großen Papathema gleich zweifach: Der kleine Junge sehnt sich nach dem Papa respektive dem Großwerden, der Papa sehnt sich nach dem kleinen Jungen, respektive nach dessen Hoffnungen. Der liebe Papa fehlt den Papas.
„Hallo ich bin's
Hallo, bist du's
Ich hab‘ ein Tor geschossen
mit dem linken Fuß
Ist das nicht schön
Und Onkel Andy will mein Taschengeld erhöh‘
Es gibt nur eins, was schade ist
Daß du nicht mehr bei uns
zu Hause bist“
In vielen Liedern ist aber auch die Sehnsucht nach den Kinderträumen zu verspüren; man leidet an der Zeit und fühlt sich ums Leben betrogen? „Nein, ich kann mich nicht beklagen - nein, das kann ich nicht... Nur: daß ich lernen mußte / irgendwann wieder aufzustehn / wenn ich zu Boden fiel.“ Und trotzdem und dennoch: „Nie werd‘ ich den Mut verlieren“, und „wenn das Licht der Sonne stirbt, mein Traum wird überleben“.
Udo Jürgens ist authentischer Ausdruck seiner verlorenen Generation. Großartig! Und am schönsten ist es, wenn sich Teile jener verlorenen Generation mit Teilen einer jüngeren „lost generation“ verbinden - wenn dem Punk die Tränen kommen bei: „Ich wünsch‘ dir Liebe ohne Leiden und eine Hand, die deine hält“ oder bei: „Und immer, immer wieder geht die Sonne auf“. Die rote natürlich. Oder: „Wenn du mitunter traurig bist / es mag sein vielleicht / weil das Geld nie reicht / dann sag dir, daß da manches ist / was der reichste Mann / sich nie kaufen kann / Es gibt: / Sehnsucht. / Träume. / Nachts das Rauschen der Bäume. / Es gibt treue / Freunde / jemand, der zu dir hält / was wirklich zählt auf dieser Welt / bekommst du nicht für Geld.“ Und seine Tränen vermischen sich mit denen der Alten: „Mit 66 Jahren / fängt das Leben an.“
Hilft der Traum aus dem Dilemma? Oder das Fliegen? Vielleicht die Politik, denn: „Unterhaltung hat auch etwas mit Haltung zu tun“ (Udo Jürgens).
Das Verhältnis der sogenannten Linken zum Schlager ist gestört und von einer ekelhaften Selbstgenügsamkeit durchdrungen, die den Ausdruck der Leiden, Schwierigkeiten, des Glücksstrebens der Leute, auf eine oberlehrerhafte Weise denunziert und dabei unfähig ist, einen unaffektierten und nicht verlogenen Ausdruck der im Falschen schon immer unechten Gefühle zuzulassen. Gerne wird auch übersehen, daß Udo Jürgens seit fast zwanzig Jahren viele politische Lieder macht, zum Beispiel die SPD-Hymne von 1970:
„Lieb Vaterland, wofür soll ich dir danken
Für die Versicherungspaläste oder Banken
Und für Kasernen, für die teure Wehr
wo tausend Schulen fehlen, tausend Lehrer und noch mehr. Konzerne dürfen maßlos sich entfalte
im dunkeln stehn die Schwachen und die Alten“ pp
Wem die SPD nicht hilft, dem helfen vielleicht drei, vier wirkliche Weisheiten:
1. „Wer nie verliert / hat den Sieg nicht verdient...“
2. „Wer alles will / muß viel von sich geben.“
3. „Wer niemals schwach war / wird nie wirklich stark.“
4. „Wenn du nie aufgibst / kommt einmal dein Tag.“
Und wem die nicht helfen, der geht zum Psychoanalytiker.
Detlef Kuhlbrodt
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