LGBTIQ+ im Ukraine-Krieg : Queerness unter Bomben
Was bedeutet der Krieg in der Ukraine für Personen, die dort der LGBTIQ+ Bewegung angehören?
taz lab, 09.03.22 | Seit über einer Woche ist Krieg in der Ukraine. Hunderttausende Ukrainer*innen sind auf der Flucht, einige von ihnen sind mittlerweile in den angrenzenden Staaten untergekommen oder wurden in anderen europäischen Staaten willkommen geheißen, während die meisten noch immer in der Ukraine oder an der Grenze ausharren. Unter ihnen gibt es mehrere besonders vulnerable Gruppen, darunter Abertausende Personen, die der LGBTIQ+ Bewegung angehören.
Die Ukraine und vor allem ihre Hauptstadt Kyiw ist in den vergangenen Jahren zum Zufluchtsort für viele Queers geworden, die ein Leben in Würde und Freiheit führen wollen. Nicht wenige sind aus den umliegenden, repressiven Staaten Belarus und Russland mit homophoben Regierungen geflohen, wo es Gesetze gegen die sogenannte „LGBTQIA+ Propaganda“ gibt.
Schon seit einigen Jahren existiert in den besetzten Gebieten von Donezk und Luhansk ein Folterlager namens Isolazija, das Ähnlichkeit zu den Lagern in Tschetschenien aufweist. Queere Menschen werden dort gefangen gehalten und beispielsweise mit Stromschlägen gefoltert.
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Gleichzeitig gibt es Gerüchte über Deportations- und Todeslisten der russischen Regierung, auf welchen Namen von prominenten ukrainischen LGBTIQ+-Aktivist*innen stehen. In der Nacht auf Dienstag wurden die Zentrale der ältesten ukrainischen LGBTIQ+ Organisation „Nash Svit“ überfallen und ihre Aktivist:innen angegriffen.
Keine Sicherheit vor Diskriminierung in der Ukraine
Auch die ukrainische Gesellschaft ist nicht frei von Homophobie, jedoch werden hier queere Menschen nicht aktiv durch den Staat diskriminiert. Die gesellschaftliche Akzeptanz von LGBTIQ+ Personen ist im letzten Jahrzehnt rapide gestiegen. Neben Kyiw bieten auch andere Großstädte wie Charkiw, Lwiw und Odesa Zufluchtsorte und Safe Spaces für queere Menschen.
Es gibt LGBTIQ+ Organisationen, die jährlich Pride-Märsche organisieren und Queers in jeglichen Hinsichten unterstützen. So schrieb Kyiv Pride, eine dieser Organisationen: die Ukraine ist ein Land, das sich für Menschenrechte, Menschlichkeit, Leben und Individualität entschieden hat.
Wenn der eigentliche Zufluchtsort zur Gefahr wird
Die Bedrohung, die von ukrainischen Nazis gegen ukrainische Queers ausginge, sei eine Kleinigkeit, verglichen mit den Gefahren, welche die russische Invasion und Putins Herrschaft mit sich bringen würden, twitterte eine nicht binäre Person, die aus Russland nach Kyiw geflohen war.
Die queeren Geflüchteten aus Tschetschenien, Russland und Belarus sind erneut zur Flucht gezwungen: In einem Telefonat am Montag erzählte Ilya* (Name geändert aus Sicherheitsgründen), der vor eineinhalb Jahren aus Belarus nach Kyiw geflohen ist und nun erneut im Zug Richtung polnische Grenze sitzt, er hätte als männlich gelesene Person ohne ukrainischen Pass die Hoffnung, ausreisen zu dürfen. Seit Mittwoch jedoch dürfen belarusische und russische Staatsbürger die Ukraine nicht mehr verlassen.
Wehrpflicht besonders für Queers problematisch
Auch ukrainische, wehrfähige Männer zwischen 18 und 60 dürfen aktuell nicht über die Grenze. Sie sollen zur Armee, die Ukraine mit ihren Leben verteidigen, ob sie wollen oder nicht. Das gilt auch für trans Frauen, denn sie gelten noch immer als wehrpflichtige Männer. Ihre Hormonversorgung wird somit verunmöglicht.
Viele Queers hätten Angst vor homophoben oder transfeindlichen Angriffen im Militär, sagt Anja Sjablikowa, Organisatorin der Charkiw Pride. Einige unterstützen deshalb auf andere Weise, zum Beispiel, indem sie Blut spenden.
Es geht auch um Demokratie und Gleichheit
Seit 2018 gibt es auch das sogenannte LGBT-Militär, das von Viktor Pylypenko, einem offen schwulen Veteranen des Donbas-Freiwilligenbataillons, gegründet wurde. Viele Queers würden sich aktuell freiwillig dafür melden und sich nicht nur aktiv an der Verteidigung der Ukraine gegen die russische Invasion an der Front, sondern auch an der Verteidigung von Demokratie und Gleichheit für alle Bürger*innen der Ukraine beteiligen.
Ukrainische LGBTIQ+ Organisationen unterstützen
Gemeinsam mit Kyjiv Pride und weiteren Partnerorganisationen wird über das Netzwerk "All Out" zum Spenden aufgerufen, um in der Ukraine verbliebene und flüchtende Queers zu unterstützen.