LGBTIQ-Strategie der EU: Heikel und notwendig
Für die EU ist es höchste Zeit, LGBTIQ in Polen und Ungarn Solidarität zu zeigen. Doch das Signal könnte den Streit um Rechtsstaatlichkeit erschweren.
Z um ersten Mal legt die EU-Kommission eine LGBTIQ-Strategie vor – und das zu einem höchst kritischen Zeitpunkt. Sexuellen Minderheiten werden in mehreren EU-Mitgliedsländern Rechte verwehrt, sie müssen Angriffe und schlimmste Feindseligkeiten aushalten wie in den polnischen Gemeinden, die sich zu „LGBTIQ-freien“ Zonen erklärt haben. Ihr Dasein und ihre Identität werden mitten in der EU als „Ideologie“ gebrandmarkt. Der letzte Streich erfolgte erst am Dienstag: Ungarns Regierung hatte einen Gesetzentwurf vorgelegt, der Definitionen von Elternschaft und Geschlecht zum Nachteil von Homosexuellen und Transgendern in der Verfassung festschreiben soll.
Deswegen ist es höchste Zeit, den Betroffenen zu sagen: Ihr seid EU-Bürger*innen, und wir schützen euch – so ähnlich hat es Vizekommissionschefin Věra Jourová bei der Vorstellung der Strategie ausgedrückt. Fraglich ist nur das Wie. Es ist nicht so, als hätte die EU-Kommission keine konkreten Ideen, wie sie LGBTIQ-Menschen helfen will – sie kündigte etwa an, die grenzüberschreitende Anerkennung gleichgeschlechtlicher Elternschaft voranzubringen. Auch will sie homophobe Hetze und Hassverbrechen auf die bestehende Liste der „EU-Verbrechen“ setzen, gegen die grenzüberschreitend vorgegangen werden soll.
Doch Brüssel steckt wie so oft in verzwickter Lage: Auf dem Gebiet des Familienrechts etwa hat nicht die EU das Sagen, sondern die Mitgliedstaaten. Letztlich läuft deswegen wieder alles darauf hinaus, wie die EU eine Handhabe gegen Staaten finden kann, die gegen die Grundwerte der Union und die Rechtsstaatlichkeit verstoßen.
Doch der Streit um einen Rechtsstaatlichkeitshebel, notwendig schon wegen kontinuierlicher Angriffe etwa auf die Unabhängigkeit der Justiz, eskaliert gerade. Ungarn weigert sich, dem EU-Haushalt zuzustimmen, wenn es zu einer Regelung kommt, nach der einem Staat Gelder gekürzt werden können, wenn der Rechtsstaat gefährdet ist. Es ist also ein kritischer Zeitpunkt in vielerlei Hinsicht für die EU. Sie muss nun um ihre Handlungsfähigkeit kämpfen.
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