LGBT-Rechte in Ostasien: Regenbogen über China
Im Französischen Viertel von Shanghai können Lesben und Schwule offen zu ihrer Sexualität stehen. Doch die Toleranz der Behörden hat ihre Grenzen.
Auch die präsentierten Malereien vermeiden explizite Darstellung von Sexualität, schließlich benötigt jede Ausstellung in China die Genehmigung des lokalen Kulturbüros. In abstrakten Digitaldrucken im Pop-Art-Stil wird gleichgeschlechtliche Liebe nur hauchzart angedeutet. Auf einem der Bilder ist ein sich umarmendes Männerpaar zu sehen, im Hintergrund prangt ein traditioneller chinesischer Scherenschnitt. Der 29-jährige Künstler Yang Yiliang erklärte während der Vernissage die melancholische Botschaft hinter dem vermeintlich idyllischen Werk: Familiäre Einheit und gesellschaftliche Akzeptanz sind für schwule Männer in China oft nur ferne Utopie.
„From the Community and the Allies“ wurde organisiert von der Shanghai Pride; einer Organisation, die jeden Sommer bei Filmfestivals und Diskussionsabenden den Status quo der LGBT-Community der Stadt abzubilden versucht. Dieses Jahr jedoch haben die Mitglieder in einer ominösen Stellungnahme nach zwölf Jahren überraschend sämtliche Aktivitäten eingestellt: „Wir hofften, jedem, der danach suchte, ein Gefühl der Zugehörigkeit zu vermitteln und ein Umfeld der Inklusion und Liebe zu schaffen“, heißt es darin.
Mit der Bitte um Anonymität gibt ein weibliches Mitglied der Pride-Organisation Aufschluss: „Wir haben über die Jahre immer mehr Akzeptanz innerhalb der Gesellschaft bekommen. Je populärer wir wurden, desto stärker hat jedoch auch der Druck der Behörden zugenommen“, sagt die junge Frau. Bereits in der Vergangenheit mussten Veranstaltungen in kleinere Örtlichkeiten verlegt werden. Dieses Jahr jedoch haben sich die Polizeiverhöre und -überwachungen gehäuft. Zudem baten die Behörden mehrmals zu unangekündigten Drogentests – offenbar um Vorwände zu finden, gegen die Organisatoren vorzugehen.
Polizeiverhöre und Überwachungen
„Es ist fast unmöglich zu wissen, was für Motive die chinesischen Behörden hegen – etwa ob sie sich speziell gegen die Homosexuellenbewegung richten oder aber generell gegen die Zivilgesellschaft“, sagt der Filmemacher Fan Popo, der in Peking ein Queer-Filmfestival geleitet hat, ehe er zuletzt nach Berlin gezogen ist. Der 34-Jährige hat sich in der Szene mit Dokumentarfilmen einen Namen gemacht. In „Mama Rainbow“ aus dem Jahre 2012 begleitete er vier Mütter mit ihren schwulen und lesbischen Kindern. Zu jener Zeit sei es noch sehr schwer gewesen, chinesische Eltern zu finden, die offen vor der Kamera zu der Sexualität ihrer Kinder stehen, sagt er.
„Die chinesische Gesellschaft hat sich in den letzten Jahren jedoch stark verändert, zumeist in eine positive Richtung“, sagt Fan Popo. Nichtregierungsorganisationen haben für gesellschaftliche Aufklärung über sexuelle Minderheiten gesorgt. Auf sozialen Medien tauschen sich junge Chinesen freimütig über Outing-Erfahrungen aus. Auch die chinesische Popkultur hat sich längst von starren Gender-Identitäten gelöst. Für ein Land, das Homosexualität noch bis 1997 unter Strafe gestellt hat, ja bis 2001 als mentale Krankheit klassifizierte, ist dies eine beachtliche Entwicklung.
Im liberalen Shanghai sind jene Veränderungen allerorten sichtbar: Im Lucca 390 treffen sich schwule Chinesen zum Feiern und Trinken, der Treffpunkt für Lesben ist die schummrig beleuchtete Roxie-Bar. Wer gut vernetzt ist, taucht tiefer in die Underground-Kultur ab – in die versteckten Kellerclubs, die monatliche „Drag Queen Nights“ veranstalten. Für Dates haben Chinas Schwule ihre eigene App: „Blued“, ein Abklatsch der weltweit verbreiteten Dating-App Grindr, zählt mit rund 50 Millionen registrierten Nutzern als weltweit größte ihrer Art.
Samstagabend, in den engen Gassen der ehemaligen Französischen Konzession, einem bis Ende der 1940er Jahre exterritorialen und damals europäisch geprägten Viertel: Hippe Millennials in exzentrischer Kleidung flanieren unter den grünen Platanen, lesbische Pärchen zeigen ihre Zuneigung mit offenem Händchenhalten. In den zweistöckigen Kolonialbauten haben sich unzählige Modeboutiquen schwuler Designer eingenistet, Künstlerstudios und japanische Whisky-Bars. Viele der Party-Gänger sitzen mit ihren Drinks auf dem Trottoir. Masken trägt praktisch niemand mehr, die in Peking obligatorischen Fiebermessungen haben bereits vor Monaten aufgehört.
Chong, schwuler IT-Angestellter aus Shanghai
Auch der 30-jährige Chong – blaues Hawaiihemd, Vokuhila-Schnitt – mit vorne kurzem und hinten langem Haar – und Perlenkette am Hals ist an diesem Samstagabend mit seinen Freunden zum Feiern gekommen. Ob er einen zunehmenden Druck der Behörden gegenüber sexuelle Minderheiten spürt? „Ich werde in meinem Alltag im Grunde gar nicht eingeschränkt“, sagt der Angestellte eines IT-Unternehmens, der offen schwul lebt. Natürlich widerspreche Homosexualität fundamental den konfuzianischen Werten, meint er: „Für den Mann gilt es traditionell als höchstes Ziel, sich fortzupflanzen und die familiäre Blutlinie fortzuführen.“
Doch Chong sagt auch, dass China mittlerweile seine konfuzianische Tradition durch einen beinharten Kapitalismus ersetzt hat: „Heutzutage geht es in der chinesischen Gesellschaft doch vor allem darum, als Mann effizient zu sein und Geld zu machen.“ Die Sexualität sei dabei absolut zweitrangig.
Die Gesellschaft wird liberaler
Die gesellschaftlichen Einstellungen zur Homosexualität haben sich in China seit der Jahrtausendwende dramatisch verändert. Das Institut für Sexual- und Geschlechterforschung an der Pekinger Renmin-Universität hat von 2006 bis 2015 landesweite Studien publiziert. Demnach ist zwar der Anteil innerhalb der Bevölkerung, die dieselben Rechte für Homosexuelle fordern, bei etwa 45 Prozent relativ konstant geblieben. Gleichzeitig ist jedoch der Anteil der Kritiker einer Gleichstellung von über 52 Prozent auf 28 Prozent gesunken. „Was die Aussicht auf Gleichberechtigung der schwulen Gemeinschaft in naher Zukunft betrifft, gibt es keinen Grund für unangemessenen Optimismus – aber definitiv auch keinen Grund für extremen Pessimismus“, heißt es von Institutsleiter Pan Suiming.
Jene Ambivalenz zeigt sich auch in der Gesetzgebung: Rechtlich werden gleichgeschlechtliche Ehen in China nicht anerkannt, sind Adoptionen unter Homosexuellen verboten und es existiert auch kein Antidiskriminerungsgesetz zum Schutz sexueller Minderheiten. In einer Publikation des Entwicklungsprogramms der Vereinten Nationen aus dem Jahr 2016 heißt es, dass sich nur fünf Prozent aller Homosexuellen in ihrer Arbeit oder Schule outen würden. Über die Hälfte von ihnen gibt an, Diskriminierung erfahren zu haben.
Zudem lässt sich mit dem Amtsantritt Xi Jinpings zum Generalsekretär der Kommunistischen Partei im Jahr 2013 eine besorgniserregende Entwicklung beobachten: Nichtregierungsorganisationen werden zunehmend an der kurzen Leine gehalten, das betrifft Umweltaktivisten gleichermaßen wie Menschenrechtsanwälte. 2015 haben die Behörden ausgerechnet zum Weltfrauentag fünf führende Feministinnen verhaftet – und das nur, weil sie Aufklärungsbroschüren gegen sexuelle Belästigung verteilt haben. „Verstoß gegen die soziale Ordnung“ heißt in solchen Fällen meist die Begründung.
Es scheint, als würde die Kommunistische Partei vor allem gesellschaftskritischen Aktivismus fürchten, vor allem wenn dieser von ausländischen Konsulaten, Kulturinstituten oder Denkfabriken gefördert wird. Ob es sich um Schwulenrechte oder Menschenrechte dreht, spielt letztlich nur eine untergeordnete Rolle.
Der Shanghaier Chong sagt jedoch trotz des restriktiveren Gesellschaftsklimas über sein Heimatland: „Für mich ist China tendenziell eher weiblich: Liebend, fürsorglich und weich.“ Wegziehen möchte er auf keinen Fall. Zwar gebe es andere Städte – wie etwa Chengdu in der Provinz Sichuan –, die toleranter seien und eine größere LGBT-Community beherbergten. Doch nur Shanghai biete diese einmalige Mischung aus Freizügigkeit, Kultur und Historie.
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