LESERINNENBRIEFE :
Man differenziert jetzt mehr
■ betr.: „Klassenkampf im Wahlkampf“, taz vom 21. 5. 13
Herzlichen Dank, Frau Bollwahn! Sie haben es, wie Stefan Berg im Spiegel, den Ewiggestrigen in den Medien, was die DDR-Deutung betrifft, mal wieder ordentlich gegeben. Mittlerweile haben die meisten der uns Ossis mit ihrer arroganten, simplen Fehldeutung immer wieder nervenden Westjournalisten längst begriffen, dass es anders war, als sie es sich aus ihrer Perspektive so vorgestellt hatten. Man differenziert jetzt mehr. Die beiden Herren von Welt und Bild konnten mit ihren „neuen Facetten“ in ihrer Merkelbiografie nicht einmal bei ihresgleichen mehr so richtig landen. Die junge Angela Merkel als Parteigängerin der SED-Diktatur, das nimmt ihnen keiner mehr ab! Schon gar nicht mit der Begründung, sie habe die DDR-üblichen Auszeichnungen bekommen und Funktionen innegehabt!
Eigentlich hätte man auch im Westen schon 1989 merken müssen, wie hohl das Ganze war. Von 2,3 Millionen Mitgliedern war niemand bereit, den ständig stereotyp gepriesenen Vorsitzenden zu beherbergen. Sang- und klanglos liefen die Parteigruppen auseinander. Nicht einmal die Genossen, die in der PDS weitermachten, haben offenbar ihre vielen Organisationen, Funktionen, Orden und Ehrenzeichen ernst genommen. JOACHIM LANGE, Bad Doberan
Mich graust es
■ betr.: „Klassenkampf im Wahlkampf“, taz vom 21. 5. 13
Es gab in der DDR genug Nischen, auch ich habe einige Lobe und Bienchen erhalten. Ich war bei den Pionieren und in der FDJ. Einmal Kollektiv der sozialistischen Arbeit. Wer wie ich in der Diktatur DDR aufgewachsen ist, weiß aber auch: Kirche und DDR gingen nicht zusammen. Oder du musstest richtig gute Freunde in wichtigen Positionen, Stasi oder SED haben?! Es gab noch die Möglichkeit, dich zu verkaufen und andere zu bespitzeln. Ein mit meinen Eltern befreundetes Paar ging regelmäßig in die Kirche, sie waren dort Mitglied. Keins der drei Kinder durfte studieren! Jeder wusste: Wenn Kirche, kein Studium. Die Mutter meiner Frau musste sich mit 27 Jahren entscheiden, weiter als Grundschullehrerin zu arbeiten oder weiter zur Kirche gehen. Die Kirche hat sie bis 1990 nicht mehr betreten.
Ich bitte Sie, verharmlosen Sie nicht die Situation, Tochter eines Pfarrers (wie Frau Merkel) zu sein und zu studieren! Das ging nicht mit rechten Dingen zu. Auch die Freundschaft des Vaters mit Manfred Stolpe ist sehr zweifelhaft. Herr Stolpe ist von seinem Ministerposten zurückgetreten wegen angeblicher Verquickung mit der Stasi. Auch musste Frau Merkel im Studium nicht die DDR lobpreisen, sie tat es aus freien Stücken, das ist sehr ungewöhnlich. Mich graust es, wenn ich an diese Zeit zurückdenke. SVEN BOHL, Niebüll
FDJ-Funktion verniedlicht
■ betr.: „betr.: „Klassenkampf im Wahlkampf“, taz vom 21. 5. 13
Nette Anekdötchen, aber Thema verfehlt, da aber FDJ-Sekretärin, trotzdem eine „1“! Sollten im ADAC opportunistische Intriganten und Denunzianten das Wort führen, gehört der Laden abgewickelt. Übrigens gibt es keine Quasi-Pflichtmitgliedschaft, um Auto zu fahren! Ich habe bis 1983 in dem Land gelebt und durfte dank des harmlosen Abnickens einer FDJ-Sekretärin weder Abi machen noch später studieren noch das Ausland kennenlernen. Und für all die Ahnungslosen: Ich durfte nicht einmal ein Einfamilienhaus auf dem Grundstück meines Großvaters bauen – weil ich nicht im FDGB (Gewerkschaft) war! Die Verniedlichung der Funktion der FDJ und der anderer „Massenorganisationen“ steht der taz nicht gut zu Gesicht und beleidigt betroffene Menschen.
INGOLF BENNECKENSTEIN, Freiburg
Klar und unmissverständlich
■ betr.: „Wenn Götter vor sich hin dämmern“, taz vom 18. 5. 13
Ihr Rezensent Tim Caspar Boehme bespricht im Artikel u. a. den soeben im Manesse Verlag erschienenen Roman „Götterdämmerung“ von Élémir Bourges. Der Rezensent stößt sich am manifesten Antisemitismus, der einem nach seiner Meinung am Schluss das ganze Buch verleide, und zitiert in diesem Zusammenhang unseren Nachwortautor Albert Gier mit den merkwürdig indifferent anmutenden Worten, Bourges habe sein Gegeifer als „treffende Beiwörter“ für „die Juden“ betrachtet. Ungesagt bleibt, dass der Nachwortautor auf S. 455 klar und unmissverständlich Stellung bezieht, was von solcher Judenfeindlichkeit zu halten ist: Der höchst raffiniert gestrickte Roman „enthält allerdings auch eine ausgesprochen gehässige Judenkarikatur, die auf widerliche Art die antisemitischen Stereotype der Zeit ausbreitet“, so Albert Gier.
Gar nicht selten stößt man in der klassischen Literatur auf prekäre Geisteshaltungen, die nur schwer mit unseren heutigen Vorstellungen von politischer Korrektheit in Übereinstimmung zu bringen sind. Seriosität heißt für uns als weltliterarischen Verlag, ideologisch anrüchige oder gar menschenverachtende Tendenzen, wie sie im Bodensatz von Klassikern zuweilen zu finden sind, weder unkritisch und unkommentiert wiederzugeben noch sie als Missliebigkeit unter den Teppich zu kehren, sondern offensiv anzusprechen. Hier war es dankenswerterweise unser Nachwortautor, der die unerlässliche politische Einordnung vorgenommen hat. Dass frei flottierender Antisemitismus ein hässlicher Makel bei Bourges ist, gleichwohl einer, der einen nicht an der Lektüre seines höchst bemerkenswerten Wagner-Romans hindern sollte, dies ist auch die Meinung des Verlegers. Sollte bei Ihrer Leserschaft irrtümlich der gegenteilige Eindruck entstanden sein, so wäre mir eine Korrektur desselben wichtig. HORST LAUINGER, Verlagsleiter Manesse, München