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„L“ oder „Du musst spülen!“

■ Beziehungsmuster und Eckkneipenphilosophien: St. Pauli-Filme gibt es viele. Mit Georges Paulys Debüt L liegt nun auch ein Schanzenviertel-Film vor

Filmemacher aller Länder strömt herbei und entdeckt die visuelle Kraft des Schanzenviertels! Das Weitwinkelobjektiv sei gepriesen! Was den Anschein eines südfranzösischen oder italienischen Stadtteils erweckt, ist die zu Bild gewordene Alltäglichkeit des Schulterblatts.

Georges Pauly thematisiert in seinem, zum größten Teil mit Eigenkapital zustandegekommenen Debütfilm L die Penetration der partybewussten Kulturschaffenden durch das selbstverliebte Kapital. Erstere, verkörpert durch die freie Kulturjournalistin Lena und ihren Freund Leon, einen DJ und angehenden Schriftsteller, erleben das Ende ihrer fortwährenden Nestbeschauung, als der risikoliebende Investmentberater Kasper in ihr Leben tritt. Wo einst surreale Bargespräche unter dem Einfluss von Alkohol und Heroin stattfanden, zeigen nun tief gehende Dialoge von existentieller Tragweite, mit was für subtilen Mitteln die Macht des Geldes versucht, die Verklärung des Bewusstseins zu erreichen.

Dazu bedient sich Kaspar sogar der poetischen Metonymie: „Kennst du einen Kopf, der klar ist und alles, was ihn umgibt im Visier hat, reflektiert? Das ist kein klarer Kopf. Das ist ein Kopf, der seine Scheiße schön aufgeräumt hat: sortierte Scheiße. Aber darum geht es nicht. Du musst versuchen, das Wesentliche vom Unwesentlichen zu trennen, zu selektieren, Entscheidungen zu treffen. Manchmal geht es mit Koks manchmal mit Alk. Aber du musst spülen!“ Bei solcher Geisteskraft wundert es nicht, dass Kaspar von Lena Besitz ergreift, indem er, in der Villa eines Freundes, taktisch geschickt seine männerharte Coolness ablegt und in einer situationistischen Geschlechtsumwandlung auf feminine Weise seine Gefühle offenbart.

„Dreiecksbeziehungohne den Dritten“, heißt es von nun an, denn Leon ahnt nicht, was er sich mit seinem vermeintlich neuen Freund für ein Ei ins Nest gelegt hat. Und nun der Höhepunkt: Zu dritt wird das Terrain der Stagnation verlassen, um im neutralen Niemandsland, hier symbolisiert durch die Kraft der Natur Dänemarks, das Glück der Freundschaft zu genießen. Es kommt, wie es kommen musste: Der aus dem Rausch erwachte Unwissende findet die Wissenden in einer alttestamentarisch eindeutigen Situation vor. Ein Grund, den Mord im Affekt zu begehen, der jedoch durch eine Autofahrt des Betrogenen Richtung Süden ersetzt wird. Die Betrügenden streiten sich. Trennung!

Die Vermutung liegt nahe, dass uns Pauly emphatisch vorahnend zeigen will, was sich in der Schanze demnächst ereignen wird.

Chara Ganotis

 Fr, 20 Uhr, Zeise (in Anwesenheit des Regisseurs und der Hauptdarsteller Florian Keller, Juliane Gibbins, Henning Diedrich)

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