piwik no script img

Kurznachrichtendienst im UmbruchTwitters bester Stratege geht

Evan Williams galt in den letzten fünf Jahren als treibende Kraft bei Twitter: Erst als Firmenchef, dann als höchster Produktstratege. Nun verabschiedet sich der Webpionier.

Genug gezwitschert: Evan Williams. Bild: dpa

Der Abschied kam ganz traditionell per Blog-Posting: Evan "Ev" Williams, Mitgründer von Twitter und langjähriger Unternehmenschef, verlässt das Unternehmen. Er wolle künftig nur noch im Verwaltungsrat der Firma mitwirken und sich aus dem Tagesgeschäft zurückziehen, schrieb der Webpionier, der vorher schon den Weblogdienst "Blogger.com" gegründet und bereits 2003 an Google verkauft hatte.

Williams' Abgang hatte sich in den letzten Monaten angekündigt. Im Oktober gab der Manager bekannt, dass er seinen Chefposten an Dick Costolo abgeben werde, einem ehemaligen Google-Manager, der bei Twitter zuvor als Organisationsleiter tätig war. Seither arbeitete Williams offiziell als oberster Produktstratege des Kurznachrichtendienstes - trotz böser Gerüchte, er sei aus seiner Leitungsposition herausgedrängt worden.

"Seither begannen meine Gedanken abzuschweifen", schreibt er nun im Blog. Blogger.com habe er einst verlassen als ihm klar geworden sei, dass sich das Produkt "nun in fähigen Händen" befunden habe. "Twitter ist, so glaube ich, an einem ähnlichen Punkt." Die Firma zu verlassen, sehe er deshalb als "logischen nächsten Schritt". Und weiter: "Ich war jetzt fünf Jahre bei Twitter."

Der Kurznachrichtendienst erlebe einen großen Schwung und basiere technisch auf einem soliden Fundament. "Die schwarzen Tage des dauernd bevorstehenden technischen Zusammenbruchs sind vorbei", schreibt Williams. Er habe "größtes Vertrauen" in die Twitter-Mannschaft. "Ich würde sagen, dass das eines der feinsten Teams ist, das je in der Internet-Industrie zusammengestellt wurde."

Das Twitter trotz des großen Erfolges - mittlerweile werden Woche für Woche über eine Milliarde Tweets verschickt - noch immer zentrale Elemente fehlen, scheint Williams bewusst zu sein: "Es muss noch ein Geschäft aufgebaut werden." Tatsächlich fehlt dem Kurznachrichtendienst auch im fünften Jahr seines Bestehens ein tragbares Finanzierungsmodell. Momentan lebt Twitter vor allem vom Geld seiner Investoren - zuletzt nahm das Unternehmen im Dezember weitere 200 Millionen Dollar ein. Internet-Risikokapitalgeber taxieren Twitter auf einen Marktwert von bis zu 8 Milliarden Dollar - ob mit Gewinnen oder ohne.

Nun also Jack Dorsey

Gewinner von Williams' Abgangs ist Jack Dorsey. Auch er ist Internet-Unternehmer. Er entwickelte im Jahr 2006 die Idee für Twitter und war der erste Chef. 2008 drängte ihn Williams als Chef des Verwaltungsrats dazu, diesen Posten abzugeben. Dorsey blieb als Chef des Verwaltungsrates, konzentrierte sich aber auf andere Firmen - mit Square schuf er einen neuartigen Kreditkartenbezahldienst. Twitter vergessen konnte der Webexperte nicht.

Kurz vor Williams' Abgang machte Twitter-Chef Dick Costolo Dorsey wieder zum Leiter der Produktentwicklung - und zum "Executive Chairman", also zum Chef des Verwaltungsrates mit Befugnissen fürs Tagesgeschäft. Ob Williams Costolos Entscheidung sauer aufstieß, ist nicht überliefert. Klar ist nur, dass sich Costolo und Dorsey in den letzten Monaten näher gekommen sind, wie die New York Times berichtet.

Was das nun von Williams "befreite" Team Dorsey und Costolo an Twitter verändern wird, ist unklar. Zunächst wird es wohl um ein tragfähiges Geschäftsmodell gehen. Hier kommt die Werbung ins Spiel. Bisherige Modelle laufen nur schleppend an. Zuletzt verärgerte Twitter die Nutzer einer populären iPhone-Anwendung mit der Zwangseinblendung einer sogenannte Trends-Leiste, die stark debattierte Schlagwörter enthält - darunter eben auch Werbung. Im Netz setzte sich die Bezeichnung "Dickbar" durch - für Twitter-Boss Dick Costolo, aber auch für den amerikanischen Slangbegriff für "Penis".

Auch im eigenen Ökosystem rumort es. Jahrelang sorgten externe Programmierer dafür, dass sich Twitter in zahllose Nischen begeben konnte. Sie entwickelten eigene Anwendungen für Smartphones und diverse Zusatzdienste. Mittlerweile will Twitter am liebsten alles selbst übernehmen. Ob sich das mit dem Gespann Dorsey und Costolo nun wieder ändert, darüber herrscht unter IT-Szenebeobachtern noch Unklarheit.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!