: Kurzerhand Maulkorb verpaßt
Die Mitarbeiter der EU-Verwaltung in Mostar und der OSZE in Bosnien sollen die Bedingungen für die Wahlen schönreden. Massiver Druck der USA auf den OSZE-Vorsitzenden ■ Aus Sarajevo Andreas Zumach
Die erheblichen Zweifel von MitarbeiterInnen der Europäischen Union (EU) in Mostar und der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) in Sarajevo an der Durchführbarkeit „freier und fairer“ Wahlen zu den vorgesehenen Terminen 30. Juni (Mostar) und 14. September (Gesamtbosnien) sollen nicht mehr an die Öffentlichkeit dringen. Nachdem der US- Chef der OSZE-Mission in Bosnien, Robert Frowick, in der vergangenen Woche allen Mitgliedern der Mission die Weisung gegeben hatte, nur noch positive Berichte zu verfassen, erteilte jetzt auch der EU-Administrator in Bosnien, der Spanier Peres Casado, seinen Mitarbeitern in einer internen Order ein Redeverbot gegenüber Journalisten. Casado hält die Voraussetzungen für den Urnengang am 30. Juni erfüllt. Entsprechend äußerte sich am Wochenende auch der Chefkoordinator für den Wiederaufbau Bosniens, Carl Bildt, bezüglich der gesamtbosnischen Wahlen im September. Diesen Einschätzungen widersprachen Mitarbeiter der EU-Administration wie der OSZE und der Westeuropäischen Union (WEU) gegenüber der taz. Die im Dayton-Abkommen garantierte Bewegungsfreiheit, die Rückkehrmöglichkeit für Flüchtlinge sowie die Medienfreiheit existierten nur ansatzweise in wenigen Regionen des Landes. „Insbesondere junge Männer über 16 können es nicht wagen, die Grenze vom muslimischen Ost-Mostar ins kroatische West-Mostar zu überschreiten“, erklärte Casados Personalchef, der Brite Murray Mc Cullough. Völlig ungeklärt sind die Beteiligungsmöglichkeiten für Zehntausende Flüchtlinge und Vertriebene an dem Urnengang in Mostar. Bedenken gegen die Wahltermine gibt es auch in den Büros des UNO-Hochkomissariats für Flüchtlinge (UNHCR) in Sarajevo und Mostar, bei den Ombudsleuten für Menschenrechte sowie bei regierungsunabhängigen Organisationen. In weiten Teilen des gesamten Landes hätten demokratische Oppositionsparteien keine faire Chance. Ihre KandidatInnen seien zum Teil mit dem Tode bedroht. „Diejenigen, die den Krieg und die Teilung betrieben haben, sind fast noch überall an der Macht und tun derzeit alles, um die Rückkehr von Flüchtlingen und einen Normalisierungsprozeß zu verhindern“, erklärte der Sondergesandte des UNHCR in Bosnien, Soren Jessen-Petersen.
Der OSZE-Vorsitzende, der Schweizer Außenminister Flavio Cotti, mahnte Frowick in einem Schreiben, sein Amt „korrekt und dem Geist der OSZE entsprechend“ auszuüben. Cotti steht unter wachsendem Druck der USA und der EU, entgegen dem bisher OSZE-intern vereinbarten Zeitplan nicht erst Ende Juni, sondern bereits beim Bilanztreffen des Dayton-Vertrages am Freitag dieser Woche in Florenz den 14. September offiziell als Wahltermin zu verkünden. Hierfür plädierten am Wochenende der amtierende EU- Ratspräsident Lamberto Dini und der Chef der EU-Kommission, Jacques Santer. Die Wahlen sollten auch nicht von der vorherigen Festnahme der beiden bosnischen Serbenführer Radovan Karadžić und Ratko Mladić abhängig gemacht werden. Am heutigen Montag wollen Dini und Santer ihre Einschätzung dem Außenministerrat der EU in Brüssel vortragen.
Doch nach Angaben aus seinem Berner Büro will Cotti bei seinem Zeitplan für die Verkündung des Wahltermins bleiben und schließt eine Verschiebung über den 14. September ausdrücklich nicht aus. „Sollten sogar minimale Bedingungen nicht erfüllt sein, dann wird es, glaube ich, besser sein, die Wahlen zu verschieben“ erklärte er in einem Interview mit der New York Times. OSZE-intern diskutiert werden auch Überlegungen, die Wahlen zunächst nur dort durchzuführen, wo die Bedingungen einigermaßen erfüllt sind. Cotti wehrte sich zugleich gegen die Versuche, ihn unter Druck zu setzen: „Die Meinungen der USA und anderer Staaten sind für uns wichtig, die Entscheidung aber treffen wird.“ In Washington herrscht nach Angaben US-amerikanischer Diplomaten erhebliche Irritation über den Außenminister der kleinen Schweiz. „Mit gekreuzten Armen und die Amerikaner schweigend anstarrend“, habe Cotti bei seinem letzten Treffen mit US-Außenminister Warren Christopher und Frowick auf den Versuch reagiert, ihn zu einer schnellen Bekanntgabe des Wahltermins 14. September zu nötigen.
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