Kurs der Anti-IS-Allianz: 20 Staaten gegen die Terrormiliz
Die Extremisten rücken im West-Irak weiter vor – und wohl auch wieder in Kobani. Der Streit über türkische Stützpunkte droht ein Strategietreffen zu belasten.
WASHINGTON/BAGDAD/AL-RAKKA dpa | Parallel zu hochrangigen Militär-Beratungen über das weitere Vorgehen gegen die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) streiten sich die USA und die Türkei weiter über die Nutzung von Stützpunkten in dem Nato-Land. Ankara dementierte US-Angaben, wonach sich die türkische Regierung bereiterklärt habe, Stützpunkte zur Verfügung zu stellen. Am Dienstag soll in den USA ein erstes Bündnistreffen fortgesetzt werden, bei dem es um langfristige Strategie gegen den IS im Irak und in Syrien geht. Berichten zufolge setzten die Extremisten ihren Vormarsch im Westen des Iraks fort und griffen auch die Kurden in Kobani erneut an.
Das Anti-IS-Bündnis will die Türkei seit längerem enger einbinden. Die Regierung in Ankara sträubt sich jedoch dagegen und pocht unter anderem auf ein gemeinsames Vorgehen, das sich auch gegen das Regime des syrischen Präsidenten Baschar al-Assad richtet. Daran wiederum hat der Westen bislang kein Interesse. Die Türkei spielt eine entscheidende Rolle, weil das Land unmittelbar an Gebiete grenzt, die von den IS-Extremisten kontrolliert werden.
Der türkische Außenminister Mevlüt Cavusoglu sagte am Montag nach Angaben der Nachrichtenagentur Anadolu, es gebe noch keine Einigung, dass die internationale Allianz die türkischen Stützpunkte für den Kampf gegen den IS nutzen könne. Er dementierte damit Aussagen von Susan Rice, der Sicherheitsberaterin von US-Präsident Barack Obama. Cavusoglu bestätigte aber, dass es eine Einigung über die Ausbildung gemäßigter syrischer Rebellen gebe.
Eine der wichtigsten Luftwaffenbasen der Türkei ist die in Incirlik. Der Stützpunkt liegt lediglich 100 Kilometer von Syrien entfernt.
In der Diskussion um das weitere Vorgehen gegen den IS schloss die Bundesregierung den Einsatz deutscher Bodentruppen in Syrien aus. Bei einem Besuch in Saudi-Arabien wies Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) entsprechende Überlegungen aus Reihen der Grünen zurück: „Das lässt sich leicht fordern in Deutschland, wenn man weiß, dass ein solches Mandat nicht zustande kommt“.
Treffen der Militärchefs
Militärchefs aus mehr als 20 Ländern wollten am Dienstag nahe Washington das weitere Vorgehen beraten. Rund zwei Monate nach Beginn der US-Luftangriffe auf IS-Stellungen ist es das erste Treffen dieser Art.
Die Terrormiliz erzielte derweil weitere Geländegewinne. Wie die unabhängige irakische Nachrichtenseite Al-Sumaria News berichtete, eroberten die selbst ernannten Gotteskrieger im Westen des Iraks eine strategisch wichtige Militärbasis in der Stadt Hit. Diese liegt knapp 150 Kilometer nordwestlich der Hauptstadt Bagdad und beherbergte einen der letzten Armeestützpunkte in der vom IS kontrollierten Provinz Anbar. Die Regierungstruppen hätten einen „strategischen Rückzug“ angetreten, hieß es.
Auch im benachbarten Syrien rückten die Dschihadisten vor. Trotz erbitterten Widerstands kurdischer Kämpfer nahmen sie im Häuserkampf einige Gebiete in der seit langem umkämpften Stadt Kobani ein, wie die syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte mitteilte. Die Kurden hatten zuvor angegeben, Teile der Stadt vom IS zurückerobert zu haben. Unterstützt wurden sie dabei von Luftangriffen des internationalen Bündnisses.
Vermutlich in Syrien halten die sunnitischen Extremisten auch noch Ausländer gefangen. Die Schwester einer britischen Geisel flehte die Entführer an, den Kontakt mit ihrer Familie wieder aufzunehmen. Der Journalist war in den vergangenen Wochen in Propaganda-Videos der Gruppe zu sehen, mit dem Tod bedroht wurde er darin nicht.
Seine Schwester teilte in einem Statement mit, es sei für die Familie „frustrierend“, dass der Kontakt abgebrochen sei. Bisher habe die Terrorgruppe mit ihnen kommuniziert, dann aber die Verbindung gekappt. Der IS hat bereits zwei britische und zwei US-Geiseln getötet und Videos der Morde im Internet verbreitet.
Vereinte Nationen reduzieren Lebensmittelhilfe für Syrien
Die Vereinten Nationen haben wegen Geldmangels damit begonnen, ihre Lebensmittelhilfe für die notleidende Bevölkerung in Syrien zu reduzieren. Die Hilfsleistungen würden diesen Monat um 40 Prozent gesenkt, sagte die Sprecherin des Welternährungsprogramms (WFP), Elisabeth Rasmusson, am Montag. Demnach wird die UN-Organisation zwar wie bisher Lebensmittel an 4,2 Menschen in Syrien verteilen, doch werde sie die individuelle Menge stark reduzieren. Auch die syrischen Bürgerkriegsflüchtlinge außerhalb des Landes seien von November an von den Kürzungen betroffen.
Laut Rasmusson wird im Libanon die Hilfe für die Flüchtlinge um 20 bis 30 Prozent gesenkt. In der Türkei werde das WFP sogar gar keine Hilfen mehr verteilen. Rasmusson sagte, das WFP benötige bis Ende des Jahres 280 Millionen Euro. Die Sprecherin hielt sich in Kuwait zu einem Treffen der wichtigsten Geberländer auf. Kuwait hatte im Januar 2013 und im Januar 2014 zwei Geberkonferenzen für Syrien organisiert, bei denen die Staatengemeinschaft sechs Milliarden Dollar für die notleidende Bevölkerung zugesagt hatte. Nach Angaben Kuwaits wurden die Zusagen jedoch teilweise nicht eingehalten.
Deutsche IS-Kämpfer
Auf Seiten des Islamischen Staates kämpfen auch viele Deutsche. Wie die Bild-Zeitung (Dienstag) berichtete, sind die meisten deutschen Kämpfer jünger als 30 Jahre. Das Blatt berief sich auf Unterlagen deutscher Sicherheitsbehörden, in denen die Daten von 380 Dschihadisten ausgewertet sind. Die meisten sind demnach 15 bis 30 Jahre alt – ihr Anteil beträgt 65 Prozent. Wie es weiter hieß, sind 89 Prozent der deutschen Kämpfer Männer und elf Prozent Frauen.
Knapp jeder Vierte (116 Kämpfer) hat dem Bericht zufolge einen Schulabschluss; 41 haben Abitur und 31 einen Realschulabschluss. Von den Ausgereisten haben demnach 23 eine Ausbildung und acht ein Studium abgeschlossen.
IS-Miliz brüstet sich mit Versklavung von Jesidenfrauen
Die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) brüstet sich mit der Versklavung jesidischer Frauen und Kinder. In einem seit Sonntag im Internet kursierenden Propagandamagazin rechtfertigen die Extremisten die Gefangennahme und den Verkauf von „Abtrünnigen“ mit dem islamischen Recht. Ketten müsse jeder um den Hals tragen, „bis er zum Islam finde“, heißt es in einem vierseitigen Aufsatz in dem IS-Magazin „Dabiq“. Gefangene jesidische Frauen und Kinder seien daher den IS-Kämpfern zugeteilt worden.
„Dabiq“ ist ein im Internet erscheinendes Magazin, das dem IS zugeschrieben wird. Die aktuelle vierte Ausgabe umfasst mehr als 50 Seiten und thematisiert unter anderem den angeblich „gescheiterten Kreuzzug“ der internationalen Allianz gegen den IS.
Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) schätzt, dass die Miliz über 1.000 Jesiden in ihrer Gewalt hält. Die Extremisten hätten „systematisch junge Frauen und Mädchen von ihren Familien getrennt, um sie mit Kämpfern zwangsweise zu verheiraten“, heißt es in einem am Sonntag veröffentlichten HRW-Bericht.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
Deutungskampf nach Magdeburg
„Es wird versucht, das komplett zu leugnen“
Aktionismus nach Magdeburg-Terror
Besser erst mal nachdenken
Anschlag von Magdeburg
Aus günstigem Anlass
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Slowakischer Regierungschef bei Putin im Kreml